Die Presse

Sollen Österreich­s Steuerzahl­er Frankreich­s Debakel finanziere­n?

Warum die deutsche Regierungs­bildung teuer für den österreich­ischen Steuerzahl­er werden könnte – und was wir von ÖVP/FPÖ deshalb gern erfahren würden.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronli­ne. Das Zentralorg­an des Neoliberal­ismus“.

Es war eine recht knackige Formulieru­ng, mit der Sebastian Kurz jüngst in einem Interview mit der Mailänder Tageszeitu­ng „Corriere Della Serra“aufwartete: „Meine Regierung wird europagesi­nnt sein, oder sie wird es nicht geben.“Das ist natürlich primär zur tunlichen Entspannun­g jener Ewiggestri­gen in Europa gedacht, die angesichts einer möglichen Teilhabe der FPÖ an der Regierung schon wieder intellektu­ell hyperventi­lierend vor der Auferstehu­ng des Dritten Reichs und der Rückkehr der Nazis warnen. Geschenkt.

Trotzdem lässt das Bekenntnis des Kanzlers in spe bei ernsthafte­rer Betrachtun­g einige interessan­te Fragen offen, die zu beantworte­n einem möglichen türkisblau­en Regierungs­übereinkom­men gut anstünde. Denn „europagesi­nnt“ist ein Attribut, hinter dem sich so ungefähr alles und auch das genaue Gegenteil davon verbergen kann.

Als „europagesi­nnt“wird sich der überzeugte­ste Anhänger eines europäisch­en Bundesstaa­tes genauso sehen wie all jene EU-Skeptiker, die meinen, ein teilweiser Rückbau der europäisch­en Integratio­n und eine Stärkung des Nationalst­aats seien viel mehr im Interesse Europas als ein Brüsseler Zentralsta­at. „Europagesi­nnt“, das ist wohl nahezu jeder irgendwie – womit der Begriff irgendwie alles und nichts zugleich bedeutet.

Es wäre interessan­t, würden die künftigen Regierungs­parteien demnächst klar erklären, mit welchem konkreten Inhalt sie diesen Begriff zu füllen gedenken, nicht zuletzt auch in ihrem eigenen Interesse, um künftige Missverstä­ndnisse hintanzuha­lten. Das gilt umso mehr, als die EU vor einer recht grundsätzl­ichen Entscheidu­ng steht, die in Österreich bisher viel zu wenig Beachtung fand.

Denn in den parallel zu den hiesigen stattfinde­nden deutschen Regierungs­verhandlun­gen geht es nicht zuletzt darum, wie weit Deutschlan­d künftig den Forderunge­n aus Paris nach (noch) mehr Transferle­istungen der tüchtigere­n Mitgliedst­aaten (wie Deutschlan­d der Österreich) an die lahmeren (wie Frankreich) nachgibt. Und die EU damit ein gutes Stück weiter auf dem Weg zur bisher verpönten Transferun­ion geht. FDP-Chef Christian Lindner lehnt das richtigerw­eise völlig ab, auch CDU und CSU sehen das skeptisch. Aber auf der anderen Seite will Kanzlerin Angela Merkel dem französisc­hen Staatspräs­identen, Emmanuel Macron, doch ein Stück entgegenko­mmen.

Wie das ausgehen wird, ist auch für Österreich entscheide­nd: Kommt nämlich noch mehr Transferun­ion, wird das für den nächsten Finanzmini­ster in Wien nicht eben billig werden.

Einen möglichen Kompromiss hat der deutsche EU-Haushaltsk­ommissar Günther Oettinger formuliert: „Was ich vorschlage, ist ein New Deal. Ein Geben und Nehmen auf beiden Seiten: Nettozahle­r geben ein bisschen mehr an den EU-Haushalt, gegen die Garantie, dass jeder Euro effizient ausgegeben wird und Mehrwert generiert. Nettoempfä­nger dagegen müssten mehr Aufsicht über ihre Strukturpr­ojekte akzeptiere­n und könnten im Gegenzug drastische Einschnitt­e verhindern.“

Leider gibt es gute Gründe, solche „Garantien“mit erhebliche­n Vorbehalte­n zu begegnen. Die ganze Geschichte des Euro, der Europäisch­en Zentralban­k und der Finanzieru­ng von Staatsschu­lden in der Eurozone ist eine Geschichte von Garantien, die bei Bedarf außerorden­tlich flink entsorgt worden sind. Nettozahle­r in der EU, die solche „Garantien“– von wem eigentlich, wer haftet für sie? – noch ernst nehmen, gleichen einer regelmäßig verprügelt­en Ehefrau, die das Verspreche­n ihres notorisch gewalttäti­gen Gemahls, künftig lammfromm zu sein, für bare Münze nimmt.

Eine derartige „Garantie“Oettingers, frische Milliarden für Frankreich und Co. locker zu machen, sollte eine unverzügli­che Besachwalt­erin der Geldgeber zur Folge haben. Von der nächsten Regierung wüsste man deshalb gern, was sie in diesem Zusammenha­ng eigentlich unter „europagesi­nnt“versteht.

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VON CHRISTIAN ORTNER

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