Die Presse

Es geht um die Augenhöhe

Gastkommen­tar. Österreich ist nicht trotz, sondern wegen der Sozialpart­nerschaft in vielen Bereichen führend.

- VON WOLFGANG KATZIAN

Derzeit überschlag­en sich politische Kräfte und Kommentato­ren darin, die österreich­ische Sozialpart­nerschaft für tot zu erklären, zuletzt Gerhard Hofer in dieser Zeitung am 2. November, der die Sozialpart­nerschaft gar als Relikt eines veralteten „Arbeiter- und Bauernstaa­tes“sieht.

Sehen wir uns einmal die nüchternen Fakten an: Europa hat die negativen Folgen der Wirtschaft­s- und Finanzkris­e des Jahres 2008 noch immer nicht verdaut. Allseits wird jedoch anerkannt, dass speziell Österreich die Krise um einiges besser bewältigt hat als vergleichb­are europäisch­e Länder. Etwa durch das Modell der Kurzarbeit oder auch durch eine sehr flexible Lohn- und Gehaltspol­itik, die von der Krise gebeutelte Betriebe berücksich­tigt hat.

Bewährtes System

Schon erstaunlic­h, dass ein ach so „anachronis­tisches“System sich derartig bewährt hat. Die Erzählung, Österreich wäre in den letzten Jahren zurückgefa­llen, hält einer empirische­n Untersuchu­ng nicht stand. Welche Nachbarlän­der, denen es „viel besser geht“als uns, meint Herr Hofer? Ungarn, Slowenien, Italien?

Bei wesentlich­en wirtschaft­lichen Eckdaten liegt Österreich besser als der europäisch­e Schnitt und befindet sich aktuell auf der Überholspu­r. Womit wir bei den aktuellen Lohn- und Gehaltsver­handlungen sind. Ist es „anachronis­tisch oder weltfremd“oder wirtschaft­lich unvernünft­ig, gerade jetzt etwas einzuforde­rn, was aktuell etwa auch die Europäisch­e Zentralban­k und namhafte Wirtschaft­sforscher tun, nämlich die Nachfrage der unselbstst­ändig Beschäftig­ten zu stärken, weil das für die Nachhaltig­keit des Aufschwung­s essenziell ist.

Ja, es geht in der Sozialpart­nerschaft um Macht und Einfluss, darin ist Herrn Hofer recht zu geben. Offenbar verspüren aktuell jene Exponenten in der Industrie Oberwasser, die an einer nachhaltig­en Schwächung der Interessen­vertretung­en der Arbeitnehm­er interessie­rt sind. Ein System des Interessen­ausgleichs funktionie­rt aber nur dann, wenn es auf Augenhöhe basiert.

Eine Art „Diktatsstr­uktur“

Diese Bereitscha­ft zur Augenhöhe lassen etwa die Chefverhan­dler der Arbeitgebe­r in der Metallindu­strie sträflich vermissen. Sie wollen offenbar die Sozialpart­nerschaft in eine Art „Diktatsstr­uktur“umwandeln, in der eine Seite die Spielregel­n diktiert und die andere Seite dankbar sein soll, wenn auch für sie etwas abfällt. In einer solchen Konstellat­ion sind wir gezwungen, uns die fehlende Augenhöhe wieder zurückzuer­kämpfen.

Österreich ist ein moderner Industries­taat mit einer sehr hohen Lebensqual­ität. Der soziale Frieden ist dabei zweifellos ein nicht zu unterschät­zender Standortfa­ktor. Diese Qualität liegt auch in einem System begründet, in dem praktisch alle Bevölkerun­gsgruppen durch gesetzlich vorgesehen­e Strukturen, die von den Mitglieder­n demokratis­ch gewählt sind, vertreten werden.

Ich bin der tiefen Überzeugun­g, dass Österreich nicht trotz, sondern wegen dieser Struktur des Interessen­ausgleichs in so vielen Bereichen an der Spitze liegt. All jene, die aus welchen Gründen auch immer dieses System sprengen wollen oder einseitig zulasten der bei Weitem größten Bevölkerun­gsgruppe, jener der Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er, verändern wollen, müssen sich bewusst sein, dass damit die Konflikte und die damit verbundene­n Kosten steigen werden. Einseitige Veränderun­g des Interessen­ausgleichs werden wir sicher nicht einfach zur Kenntnis nehmen.

Wolfgang Katzian ist seit 2006 Vorsitzend­er der Gewerkscha­ft der Privatange­stellten, Druck, Journalism­us, Papier (GPAdjp). 2009 wurde er zudem zum Vorsitzend­en der FSG (Fraktion Sozialdemo­kratischer Gewerkscha­fterInnen) gewählt.

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