Grapschern droht die „Fristlose“
Arbeitsrecht. Sexuelle Belästigung wird jetzt auch in Unternehmen stärker thematis siert. Selbst Fälle, die länger zurückliegen, können noch zu Konsequenzen führen – bis hin zur Entlassung des Belästigers.
Wien. „MeToo“. Selten hat eine Social-Media-Kampagne so viel Resonanz ausgelöst wie diese. Immer mehr Vorfälle werden publik, auch innerhalb von Unternehmen werden Belästigungsvorwürfe gegen Kollegen oder Vorgesetzte laut, die bisher totgeschwiegen wurden. Für Arbeitgeber wirft das die Frage auf: Wie geht man damit um – speziell wenn es um Dinge geht, die schon längere Zeit zurückliegen?
Soviel steht fest: Solche Anschuldigungen einfach zu negieren, ist keine Option. Egal, wie lange die Sache her ist. Sind die Vorwürfe berechtigt, muss der Arbeitgeber „angemessene Abhilfe“schaffen. Das ist nicht nur Teil seiner Fürsorgepflicht, sondern auch durch das Gleichbehandlungsgesetz geboten.
Aber was ist in einem solchen Fall „angemessen“? Das hängt von den jeweiligen Gegebenheiten ab. Und geht, wie Rechtsanwalt Philipp Maier sagt, „von der Abmahnung bis zur Entlassung“. Wobei dann doch auch der Zeitfaktor eine Rolle spielt – speziell bei der schärfsten Konsequenz, der Entlassung. Ob eine solche gerechtfertigt ist, hängt generell von zwei Faktoren ab: Ist die weitere Beschäftigung des Mitarbeiters unzumutbar? Und hat der Arbeitgeber unverzüglich reagiert?
Große Bandbreite
Mit Unzumutbarkeit zu argumentieren, wird für den Arbeitgeber tendenziell schwieriger, wenn eine bloß einmalige Verfehlung schon lange zurückliegt. Es komme dabei auch auf die Schwere der Tat an, sagt Maier. Auch da ist die Bandbreite groß, denn das Gleichbehandlungsgesetz fasst den Begriff der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz sehr weit. Jedes „der sexuellen Sphäre zugehörige Verhalten, (...) das die Würde einer Person beeinträchtigt oder dies bezweckt, für die betroffene Person unerwünscht, unangebracht oder anstößig ist“kann darunter fallen. Laut Arbeiterkammer beginnt das bei „Fotos von Pin-ups im Arbeitsbereich, auch am Computer“, Hinterherstarren oder anzüglichen Wit- zen. Am anderen Ende der Skala stehen körperliche Übergriffe, die auch gerichtlich strafbar sind. Was das betrifft, hat sich die Rechtslage in letzter Zeit verschärft: Strafbar ist jetzt auch, wer eine andere Person „durch eine intensive Berührung einer der Geschlechtssphäre zuzuordnenden Körperstelle in ihrer Würde verletzt“. Zu diesem sogenannten „Pograpsch-Paragrafen“gibt es noch keine Judikatur, er lässt jedoch Raum für eine weite Auslegung. Selbst eine intensive Berührung am Knie könnte darunter fallen, meint Maier.
Sobald aber eine gerichtlich strafbare Handlung vorliegt, die im Zusammenhang mit der beruflichen Sphäre steht, ist auch ein Entlassungsgrund gegeben. Fazit: Erfährt ein Arbeitgeber, dass ein Mitarbeiter eine Kollegin (oder umgekehrt) in einer strafbaren Weise begrapscht hat, ist eine Entlassung wohl angebracht. Das umso mehr, solange die Tat nicht verjährt ist. Die Verjährungsfrist beträgt in diesem Fall ein Jahr.
Ganz generell kommt Maier zu einem Schluss: „Das Verstreichen von Zeit schützt nicht vor Konsequenzen.“Er verweist auf ein OGH-Urteil, in dem es um Handgreiflichkeiten eines Hausmeisters gegenüber einer Reinigungskraft ging. Der Arbeitgeber erfuhr nach über einem halben Jahr davon und sprach die „Fristlose“aus. Zurecht, entschied der OGH: Eine Weiterbeschäftigung sei unzumutbar und der Dienstgeber schon deshalb zur Auflösung des Dienstverhältnisses berechtigt, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, nicht für Abhilfe gesorgt zu haben (9ObA64/04h).
Versetzung kann reichen
Das bedeutet aber noch lange nicht, dass wegen sexueller Belästigung ausgesprochene Entlassungen immer halten. Selbst in „verbal heftigen Fällen“hätten Gerichte auch schon anders entschieden, sagt Rechtsanwältin Angelika Pallwein-Prettner. Je nach Lage des Falles könnte auch eine Versetzung des Belästigers als Abhilfe ge-
nügen. Oder eine Kündigung unter Wahrung der Kündigungsfrist.
Pallwein-Prettner betont zudem die Bedeutung der Prävention: „Auch das ist Teil der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers.“Wichtig sei eine „Null-Toleranz-Politik“. Und eine Atmosphäre im Betrieb, „in der man so etwas überhaupt ansprechen kann“. Was freilich nicht heißt, dass das Opfer das auch tun muss: Der Arbeitgeber müsse eingreifen, sobald er eine Belästigung wahrnimmt, sagt Pallwein-Prettner – auch wenn das Opfer ihn nicht um Hilfe bittet. Das Opfer muss auch keine dezidierten Abwehrhandlungen setzen, damit sexuelle Belästigung vorliegt. Es genügt, dass ein Verhalten der sexuellen Sphäre zuzurechnen und subjektiv unerwünscht ist. Und dass es weiters – siehe oben – die Würde der Person beeinträchtigt und für diese eine einschüchternde, feindselige oder demütigende Arbeitsumwelt schafft.
Letzteres kann, wie die Anwältin einräumt, im Einzelfall schwierig festzustellen sein. Bis zu einem gewissen Grad kommt es dann doch auch auf die Reaktion des Opfers an. Pallwein-Prettner verweist auf einen kürzlich vom OGH entschiedenen Fall, in dem sexuelle Belästigung letztlich verneint wurde (9ObA38/17d): Die Klägerin sei auf den „lockeren, teils freizügig-scherzhaften Umgangston mit zum Teil sexuell konnotierten Bemerkungen“ihres Vorgesetzten eingestiegen und habe ihn teilweise erwidert. Von einer „einschüchternden, feindseligen oder demütigenden Arbeitsumwelt für die betroffene Person“könne da nicht die Rede sein, fand das Gericht.