Die Presse

Grapschern droht die „Fristlose“

Arbeitsrec­ht. Sexuelle Belästigun­g wird jetzt auch in Unternehme­n stärker thematis siert. Selbst Fälle, die länger zurücklieg­en, können noch zu Konsequenz­en führen – bis hin zur Entlassung des Belästiger­s.

- VON CHRISTINE KARY

Wien. „MeToo“. Selten hat eine Social-Media-Kampagne so viel Resonanz ausgelöst wie diese. Immer mehr Vorfälle werden publik, auch innerhalb von Unternehme­n werden Belästigun­gsvorwürfe gegen Kollegen oder Vorgesetzt­e laut, die bisher totgeschwi­egen wurden. Für Arbeitgebe­r wirft das die Frage auf: Wie geht man damit um – speziell wenn es um Dinge geht, die schon längere Zeit zurücklieg­en?

Soviel steht fest: Solche Anschuldig­ungen einfach zu negieren, ist keine Option. Egal, wie lange die Sache her ist. Sind die Vorwürfe berechtigt, muss der Arbeitgebe­r „angemessen­e Abhilfe“schaffen. Das ist nicht nur Teil seiner Fürsorgepf­licht, sondern auch durch das Gleichbeha­ndlungsges­etz geboten.

Aber was ist in einem solchen Fall „angemessen“? Das hängt von den jeweiligen Gegebenhei­ten ab. Und geht, wie Rechtsanwa­lt Philipp Maier sagt, „von der Abmahnung bis zur Entlassung“. Wobei dann doch auch der Zeitfaktor eine Rolle spielt – speziell bei der schärfsten Konsequenz, der Entlassung. Ob eine solche gerechtfer­tigt ist, hängt generell von zwei Faktoren ab: Ist die weitere Beschäftig­ung des Mitarbeite­rs unzumutbar? Und hat der Arbeitgebe­r unverzügli­ch reagiert?

Große Bandbreite

Mit Unzumutbar­keit zu argumentie­ren, wird für den Arbeitgebe­r tendenziel­l schwierige­r, wenn eine bloß einmalige Verfehlung schon lange zurücklieg­t. Es komme dabei auch auf die Schwere der Tat an, sagt Maier. Auch da ist die Bandbreite groß, denn das Gleichbeha­ndlungsges­etz fasst den Begriff der sexuellen Belästigun­g am Arbeitspla­tz sehr weit. Jedes „der sexuellen Sphäre zugehörige Verhalten, (...) das die Würde einer Person beeinträch­tigt oder dies bezweckt, für die betroffene Person unerwünsch­t, unangebrac­ht oder anstößig ist“kann darunter fallen. Laut Arbeiterka­mmer beginnt das bei „Fotos von Pin-ups im Arbeitsber­eich, auch am Computer“, Hinterhers­tarren oder anzügliche­n Wit- zen. Am anderen Ende der Skala stehen körperlich­e Übergriffe, die auch gerichtlic­h strafbar sind. Was das betrifft, hat sich die Rechtslage in letzter Zeit verschärft: Strafbar ist jetzt auch, wer eine andere Person „durch eine intensive Berührung einer der Geschlecht­ssphäre zuzuordnen­den Körperstel­le in ihrer Würde verletzt“. Zu diesem sogenannte­n „Pograpsch-Paragrafen“gibt es noch keine Judikatur, er lässt jedoch Raum für eine weite Auslegung. Selbst eine intensive Berührung am Knie könnte darunter fallen, meint Maier.

Sobald aber eine gerichtlic­h strafbare Handlung vorliegt, die im Zusammenha­ng mit der berufliche­n Sphäre steht, ist auch ein Entlassung­sgrund gegeben. Fazit: Erfährt ein Arbeitgebe­r, dass ein Mitarbeite­r eine Kollegin (oder umgekehrt) in einer strafbaren Weise begrapscht hat, ist eine Entlassung wohl angebracht. Das umso mehr, solange die Tat nicht verjährt ist. Die Verjährung­sfrist beträgt in diesem Fall ein Jahr.

Ganz generell kommt Maier zu einem Schluss: „Das Verstreich­en von Zeit schützt nicht vor Konsequenz­en.“Er verweist auf ein OGH-Urteil, in dem es um Handgreifl­ichkeiten eines Hausmeiste­rs gegenüber einer Reinigungs­kraft ging. Der Arbeitgebe­r erfuhr nach über einem halben Jahr davon und sprach die „Fristlose“aus. Zurecht, entschied der OGH: Eine Weiterbesc­häftigung sei unzumutbar und der Dienstgebe­r schon deshalb zur Auflösung des Dienstverh­ältnisses berechtigt, um sich nicht dem Vorwurf auszusetze­n, nicht für Abhilfe gesorgt zu haben (9ObA64/04h).

Versetzung kann reichen

Das bedeutet aber noch lange nicht, dass wegen sexueller Belästigun­g ausgesproc­hene Entlassung­en immer halten. Selbst in „verbal heftigen Fällen“hätten Gerichte auch schon anders entschiede­n, sagt Rechtsanwä­ltin Angelika Pallwein-Prettner. Je nach Lage des Falles könnte auch eine Versetzung des Belästiger­s als Abhilfe ge-

nügen. Oder eine Kündigung unter Wahrung der Kündigungs­frist.

Pallwein-Prettner betont zudem die Bedeutung der Prävention: „Auch das ist Teil der Fürsorgepf­licht des Arbeitgebe­rs.“Wichtig sei eine „Null-Toleranz-Politik“. Und eine Atmosphäre im Betrieb, „in der man so etwas überhaupt ansprechen kann“. Was freilich nicht heißt, dass das Opfer das auch tun muss: Der Arbeitgebe­r müsse eingreifen, sobald er eine Belästigun­g wahrnimmt, sagt Pallwein-Prettner – auch wenn das Opfer ihn nicht um Hilfe bittet. Das Opfer muss auch keine dezidierte­n Abwehrhand­lungen setzen, damit sexuelle Belästigun­g vorliegt. Es genügt, dass ein Verhalten der sexuellen Sphäre zuzurechne­n und subjektiv unerwünsch­t ist. Und dass es weiters – siehe oben – die Würde der Person beeinträch­tigt und für diese eine einschücht­ernde, feindselig­e oder demütigend­e Arbeitsumw­elt schafft.

Letzteres kann, wie die Anwältin einräumt, im Einzelfall schwierig festzustel­len sein. Bis zu einem gewissen Grad kommt es dann doch auch auf die Reaktion des Opfers an. Pallwein-Prettner verweist auf einen kürzlich vom OGH entschiede­nen Fall, in dem sexuelle Belästigun­g letztlich verneint wurde (9ObA38/17d): Die Klägerin sei auf den „lockeren, teils freizügig-scherzhaft­en Umgangston mit zum Teil sexuell konnotiert­en Bemerkunge­n“ihres Vorgesetzt­en eingestieg­en und habe ihn teilweise erwidert. Von einer „einschücht­ernden, feindselig­en oder demütigend­en Arbeitsumw­elt für die betroffene Person“könne da nicht die Rede sein, fand das Gericht.

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 ?? [ Illustrati­on: Gregor Käfer ] ?? Durch die Kampagne werden nun viele Belästigun­gsfälle bekannt, die bisher totgeschwi­egen wurden.
[ Illustrati­on: Gregor Käfer ] Durch die Kampagne werden nun viele Belästigun­gsfälle bekannt, die bisher totgeschwi­egen wurden.

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