Die Presse

Neue Rollen im Nationalra­t

Der neu gewählte Nationalra­t trat erstmals zusammen – mit völlig vertauscht­en Rollen.

- VON THOMAS PRIOR

Wien. Blumen, fast überall. Rote Nelken, wie sich das gehört, am Revers der Sozialdemo­kraten. Pinke Kakteen vor den Neos (Stachel im Sitzfleisc­h und so). Und die Freiheitli­chen tragen dieses Mal Edelweiß und keine Kornblumen, was dann doch überrascht. Weniger botanisch ist die ÖVP-Delegation unterwegs, sie kommt mit türkisen Ansteckern, auf denen ausnahmswe­ise nicht Liste Kurz steht, sondern – man glaubt es kaum: ÖVP-Klub.

Die bunte Kulisse für die konstituie­rende Sitzung des Nationalra­ts steht also. Es geht jetzt darum, die Rollen neu zu verteilen. Kurz nach zehn Uhr eröffnet Doris Bures ihre letzte Sitzung als Erste Präsidenti­n. Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen sieht sich das Spektakel von der Besucherga­lerie an, er hat ja jetzt ein Heimspiel, seit die Hofburg zum Ersatzparl­ament geworden ist.

Der FPÖ-Mandatar Harald Stefan hat sich entschuldi­gen lassen, deshalb hört Van der Bellen nur 182-mal „Ich gelobe“. Einige wenige verwenden den Zusatz: „So wahr mir Gott helfe.“Die FPÖ-Koalitions­verhandler­in Anneliese Kitzmüller etwa. Und natürlich Andrä Rupprechte­r, der sich sicherheit­shalber angeloben lässt für den Fall, dass er nicht Landwirtsc­haftsminis­ter bleiben darf.

Der erste Redner ist Sebastian Kurz, heute mit Krawatte. Er übt schon fürs Kanzleramt und beginnt mit einem Requiem für die Grünen, die nun nicht mehr „unter uns“im Parlament weilen: „Respekt ist angebracht“, sagt Kurz. Schöne Grüße in die grünen Wohnzimmer, in denen die Live-Übertragun­g läuft.

Der ÖVP-Chef dankt auch den langjährig­en Abgeordnet­en, die es am 15. Oktober nicht mehr in den Nationalra­t geschafft haben – „von Jakob Auer bis Josef Cap“. Und denen, die er selbst in die zweite Reihe befördert hat: Ex-Klubchef Reinhold Lopatka und Karlheinz Kopf, der schon bald nicht mehr Zweiter Nationalra­tspräsiden­t sein wird. Lopatka ist amüsiert, Kopf eher nicht.

Einige Reihen dahinter haben die Quereinste­iger Platz genommen. Professor Rudolf Taschner und der frühere Grüne Efgani Dönmez wirken noch ein wenig verloren. Opernball-Organisato­rin Maria Großbauer hat sich schon mit ihren Sitznachba­rinnen angefreund­et. Selfies inklusive. 32 neue Abgeordnet­e sind es im ÖVP-Klub, wie Kurz nicht zu erwähnen vergisst, 86 im gesamten Plenum. Dazwischen sitzen alte Bekannte: Noch-Innenminis­ter Wolfgang Sobotka zum Beispiel. Und gleich hinter ihm ein Mann, den man hier schon lang nicht mehr gesehen hat: Martin Graf, zwischen 2008 und 2013 Dritter Nationalra­tspräsiden­t für die FPÖ, gibt grinsend sein Comeback im Hohen Haus.

Türkise Braut und schwarze Witwe

Auch die FPÖ-Spitze in der ersten Reihe hat es lustig. Heinz-Christian Strache und sein Stellvertr­eter, Norbert Hofer, witzeln hinter dem Rücken von Generalsek­retär Herbert Kickl über Generalsek­retär Herbert Kickl, der dann auch mitwitzelt. Auf Straches Schummelze­ttel für die bevorstehe­nde Rede sind etliche Passagen mit gelbem Leuchtstif­t markiert. Könnte heute wieder länger dauern.

Aber nach Kurz ist erst einmal Christian Kern am Wort, der zwar immer noch Kanzler ist, aber irgendwie auch schon Opposition­sführer. Zuerst erinnert er, ganz Staatsmann, an die November-Pogrome vor 79 Jahren und mahnt die Kollegen: Für Rassismus und die Mobilisier­ung niederer Instinkte dürfe im Parlament kein Platz sein. Alle applaudier­en, nur die Freiheitli­chen nicht.

Dann macht Kern zwei Witze. Der erste geht so: Er sei überrascht gewesen von der „Innigkeit und Intimität“nach den bisherigen Koalitions­verhandlun­gen zwischen ÖVP und FPÖ. Fast sei er versucht, zu sagen: „Freunde, kauft’s Euch eine Wohnung.“Sogar das Lächeln in den SPÖ-Reihen wirkt aufgesetzt. Der zweite, als Warnung an die FPÖ getarnt, ist eine Spur besser: „Wer mit der türkisen Braut ins Bett steigt, muss aufpassen, dass er nicht neben der schwarzen Witwe aufwacht.“Jetzt huscht sogar über das Gesicht von Sebastian Kurz ein Lächeln.

Nach Kern wird es poetisch, weil HeinzChris­tian Strache Friedrich Schiller zitiert: „Dreifach ist der Schritt der Zeit: Zögernd kommt die Zukunft hergezogen, pfeilschne­ll ist das Jetzt entflogen, ewig still steht die Vergangenh­eit.“Es dauert ein bisschen, bis alle im Saal begreifen, dass das eine Bewerbung für die Regierung ist. Danach gibt sich Strache gnädig. Sein Lob für Doris Bures und Karlheinz Kopf fällt überrasche­nd überschwän­glich aus: „Das Parlament kann stolz sein, solche Präsidente­n gehabt zu haben.“Über Norbert Hofer sagen die anderen Fraktionen später Ähnliches, weshalb Martin Graf ganz kurz zu grinsen aufhört.

Peter Pilz wäre auch gern gekommen, überließ aber Martha Bißmann sein Mandat, weil man ihm sexuelle Belästigun­g in mehreren Fällen vorwirft. Anwesend ist Pilz trotzdem irgendwie, nicht nur, weil es jetzt ganz hinten im Plenarsaal eine kleine Fraktion gibt, die seinen Namen trägt. „Sie sehen, ich bin nicht Peter Pilz“, sagt Ersatzklub­chef Peter Kolba und beklagt sich über die „beispiello­se Medienjust­iz“. Ex-Frauenmini­sterin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) findet das überhaupt nicht lustig: „Peter Pilz ist kein Opfer.“

Für die Neos spricht heute nicht nur Matthias Strolz, der auf Wahlkampfe­ntzug gewesen sein dürfte, sondern auch die älteste Abgeordnet­e im Hohen Haus. Die 71-jährige Irmgard Griss verordnet dem Parlament „Aufmerksam­keit, Achtsamkei­t und Anstand“. Alexander Van der Bellen wird jetzt von einer Müdigkeits­attacke heimgesuch­t.

67 Prozent für Köstinger, 66 für Bures

Erst die Wahl des Nationalra­tspräsidiu­ms muntert ihn wieder auf: Elisabeth Köstinger, Kandidatin der ÖVP für den Vorsitz, bekommt nur 67 Prozent, weil die Neos und Teile der SPÖ glauben, dass sich die KurzVertra­ute schon bald wieder Richtung Regierung verabschie­den wird. Das Parlament, sagt Matthias Strolz, sei „kein Durchhaus“. 56 Mandatare wählen Karlheinz Kopf, obwohl der gar nicht angetreten ist. Was Sebastian Kurz überhaupt nicht witzig findet. Die Rache der ÖVP-Abgeordnet­en bekommt dann Doris Bures in der Wahl zur Zweiten Präsidenti­n zu spüren – nur 66,1 Prozent.

Mit 38 Jahren ist Elisabeth Köstinger nun die jüngste Nationalra­tspräsiden­tin der Geschichte. Sie will ihr „Bestes dafür tun, eine Präsidenti­n für alle zu sein“, sagt sie. Und wie lang? „Diese Frage stellt sich nicht.“

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Sebastian Kurz führte am Donnerstag keine Koalitions­verhandlun­gen mit Heinz-Christian Strache, Herbert Kick ert Hofer (v. l.). Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen sah die Amtsüberga­be von Doris Bures (3. Bild, rechts) an Elisabeth Köstinger und...
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[ Pauty, APA (3)]

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