Neue Rollen im Nationalrat
Der neu gewählte Nationalrat trat erstmals zusammen – mit völlig vertauschten Rollen.
Wien. Blumen, fast überall. Rote Nelken, wie sich das gehört, am Revers der Sozialdemokraten. Pinke Kakteen vor den Neos (Stachel im Sitzfleisch und so). Und die Freiheitlichen tragen dieses Mal Edelweiß und keine Kornblumen, was dann doch überrascht. Weniger botanisch ist die ÖVP-Delegation unterwegs, sie kommt mit türkisen Ansteckern, auf denen ausnahmsweise nicht Liste Kurz steht, sondern – man glaubt es kaum: ÖVP-Klub.
Die bunte Kulisse für die konstituierende Sitzung des Nationalrats steht also. Es geht jetzt darum, die Rollen neu zu verteilen. Kurz nach zehn Uhr eröffnet Doris Bures ihre letzte Sitzung als Erste Präsidentin. Bundespräsident Alexander Van der Bellen sieht sich das Spektakel von der Besuchergalerie an, er hat ja jetzt ein Heimspiel, seit die Hofburg zum Ersatzparlament geworden ist.
Der FPÖ-Mandatar Harald Stefan hat sich entschuldigen lassen, deshalb hört Van der Bellen nur 182-mal „Ich gelobe“. Einige wenige verwenden den Zusatz: „So wahr mir Gott helfe.“Die FPÖ-Koalitionsverhandlerin Anneliese Kitzmüller etwa. Und natürlich Andrä Rupprechter, der sich sicherheitshalber angeloben lässt für den Fall, dass er nicht Landwirtschaftsminister bleiben darf.
Der erste Redner ist Sebastian Kurz, heute mit Krawatte. Er übt schon fürs Kanzleramt und beginnt mit einem Requiem für die Grünen, die nun nicht mehr „unter uns“im Parlament weilen: „Respekt ist angebracht“, sagt Kurz. Schöne Grüße in die grünen Wohnzimmer, in denen die Live-Übertragung läuft.
Der ÖVP-Chef dankt auch den langjährigen Abgeordneten, die es am 15. Oktober nicht mehr in den Nationalrat geschafft haben – „von Jakob Auer bis Josef Cap“. Und denen, die er selbst in die zweite Reihe befördert hat: Ex-Klubchef Reinhold Lopatka und Karlheinz Kopf, der schon bald nicht mehr Zweiter Nationalratspräsident sein wird. Lopatka ist amüsiert, Kopf eher nicht.
Einige Reihen dahinter haben die Quereinsteiger Platz genommen. Professor Rudolf Taschner und der frühere Grüne Efgani Dönmez wirken noch ein wenig verloren. Opernball-Organisatorin Maria Großbauer hat sich schon mit ihren Sitznachbarinnen angefreundet. Selfies inklusive. 32 neue Abgeordnete sind es im ÖVP-Klub, wie Kurz nicht zu erwähnen vergisst, 86 im gesamten Plenum. Dazwischen sitzen alte Bekannte: Noch-Innenminister Wolfgang Sobotka zum Beispiel. Und gleich hinter ihm ein Mann, den man hier schon lang nicht mehr gesehen hat: Martin Graf, zwischen 2008 und 2013 Dritter Nationalratspräsident für die FPÖ, gibt grinsend sein Comeback im Hohen Haus.
Türkise Braut und schwarze Witwe
Auch die FPÖ-Spitze in der ersten Reihe hat es lustig. Heinz-Christian Strache und sein Stellvertreter, Norbert Hofer, witzeln hinter dem Rücken von Generalsekretär Herbert Kickl über Generalsekretär Herbert Kickl, der dann auch mitwitzelt. Auf Straches Schummelzettel für die bevorstehende Rede sind etliche Passagen mit gelbem Leuchtstift markiert. Könnte heute wieder länger dauern.
Aber nach Kurz ist erst einmal Christian Kern am Wort, der zwar immer noch Kanzler ist, aber irgendwie auch schon Oppositionsführer. Zuerst erinnert er, ganz Staatsmann, an die November-Pogrome vor 79 Jahren und mahnt die Kollegen: Für Rassismus und die Mobilisierung niederer Instinkte dürfe im Parlament kein Platz sein. Alle applaudieren, nur die Freiheitlichen nicht.
Dann macht Kern zwei Witze. Der erste geht so: Er sei überrascht gewesen von der „Innigkeit und Intimität“nach den bisherigen Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP und FPÖ. Fast sei er versucht, zu sagen: „Freunde, kauft’s Euch eine Wohnung.“Sogar das Lächeln in den SPÖ-Reihen wirkt aufgesetzt. Der zweite, als Warnung an die FPÖ getarnt, ist eine Spur besser: „Wer mit der türkisen Braut ins Bett steigt, muss aufpassen, dass er nicht neben der schwarzen Witwe aufwacht.“Jetzt huscht sogar über das Gesicht von Sebastian Kurz ein Lächeln.
Nach Kern wird es poetisch, weil HeinzChristian Strache Friedrich Schiller zitiert: „Dreifach ist der Schritt der Zeit: Zögernd kommt die Zukunft hergezogen, pfeilschnell ist das Jetzt entflogen, ewig still steht die Vergangenheit.“Es dauert ein bisschen, bis alle im Saal begreifen, dass das eine Bewerbung für die Regierung ist. Danach gibt sich Strache gnädig. Sein Lob für Doris Bures und Karlheinz Kopf fällt überraschend überschwänglich aus: „Das Parlament kann stolz sein, solche Präsidenten gehabt zu haben.“Über Norbert Hofer sagen die anderen Fraktionen später Ähnliches, weshalb Martin Graf ganz kurz zu grinsen aufhört.
Peter Pilz wäre auch gern gekommen, überließ aber Martha Bißmann sein Mandat, weil man ihm sexuelle Belästigung in mehreren Fällen vorwirft. Anwesend ist Pilz trotzdem irgendwie, nicht nur, weil es jetzt ganz hinten im Plenarsaal eine kleine Fraktion gibt, die seinen Namen trägt. „Sie sehen, ich bin nicht Peter Pilz“, sagt Ersatzklubchef Peter Kolba und beklagt sich über die „beispiellose Medienjustiz“. Ex-Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) findet das überhaupt nicht lustig: „Peter Pilz ist kein Opfer.“
Für die Neos spricht heute nicht nur Matthias Strolz, der auf Wahlkampfentzug gewesen sein dürfte, sondern auch die älteste Abgeordnete im Hohen Haus. Die 71-jährige Irmgard Griss verordnet dem Parlament „Aufmerksamkeit, Achtsamkeit und Anstand“. Alexander Van der Bellen wird jetzt von einer Müdigkeitsattacke heimgesucht.
67 Prozent für Köstinger, 66 für Bures
Erst die Wahl des Nationalratspräsidiums muntert ihn wieder auf: Elisabeth Köstinger, Kandidatin der ÖVP für den Vorsitz, bekommt nur 67 Prozent, weil die Neos und Teile der SPÖ glauben, dass sich die KurzVertraute schon bald wieder Richtung Regierung verabschieden wird. Das Parlament, sagt Matthias Strolz, sei „kein Durchhaus“. 56 Mandatare wählen Karlheinz Kopf, obwohl der gar nicht angetreten ist. Was Sebastian Kurz überhaupt nicht witzig findet. Die Rache der ÖVP-Abgeordneten bekommt dann Doris Bures in der Wahl zur Zweiten Präsidentin zu spüren – nur 66,1 Prozent.
Mit 38 Jahren ist Elisabeth Köstinger nun die jüngste Nationalratspräsidentin der Geschichte. Sie will ihr „Bestes dafür tun, eine Präsidentin für alle zu sein“, sagt sie. Und wie lang? „Diese Frage stellt sich nicht.“