Die Presse

Jemen stürzt in eine Hungersnot

Blockade. Saudiarabi­en sperrt Zugänge ins benachbart­e Bürgerkrie­gsland. Die Vereinten Nationen und Hilfsorgan­isationen warnen eindringli­ch vor der schwersten humanitäre­n Katastroph­e seit Jahrzehnte­n.

- Von unserem Korrespond­enten KARIM EL-GAWHARY

Kairo/Sanaa. Das Leiden im Jemen erreicht seit Beginn der Woche eine neue Dimension. Und das will in einem Land, in dem schon zuvor sieben Millionen Menschen von Hunger bedroht waren, etwas heißen. In einem von jahrzehnte­langem Bürgerkrie­g verwüstete­n Armenhaus, in dem derzeit eine Choleraepi­demie 900.000 Kinder, Frauen und Männer heimsucht. Doch damit nicht genug. Seit Montag ist der 27-Millionen-EinwohnerS­taat am Südzipfel der arabischen Halbinsel praktisch von der Außenwelt abgeschlos­sen.

Bis Donnerstag waren alle Zugänge de facto dicht: Häfen, Flughäfen und der Landweg. Ausgerufen hat diese Blockade das Nachbarlan­d Saudiarabi­en. Am Wochenende war von jemenitisc­hem Gebiet aus eine Rakete auf den Flughafen der saudischen Hauptstadt, Riad, abgeschoss­en worden. Das Geschoss wurde abgefangen, aber die Saudis werfen den Iranern vor, hinter dem Angriff zu stehen, den offenbar deren verbündete schiitisch­e Houthi-Rebellen ausführten. Das saudische Königshaus, das seit zwei Jahren im Jemen militärisc­h intervenie­rt, verkündete danach eine See-, Land- und Luftblocka­de gegen den südlichen Nachbarn.

Millionen Hungertote befürchtet

Die Maßnahme führte bei Hilfsorgan­isationen und der UNO zu einem Aufschrei. „Es wird eine Hungerkata­strophe geben, wenn nichts geschieht“, sagte Mark Lowcock, UNKoordina­tor für humanitäre Angelegenh­eiten, voraus und warnte: „Das wird nicht so sein wie die Hungersnot im Südsudan Anfang des Jahres, die Zehntausen­de Menschen getroffen hat. Es wird auch nicht so sein wie die Hungerkata­strophe 2011 in Somalia, die 250.000 Menschen das Leben gekostet hat. Es wird die größte Hungersnot der Welt seit vielen Jahrzehnte­n mit Millionen von Opfern.“

Vor dieser neuen Krise kamen 80 bis 90 Prozent der Nahrungsmi­ttelimport­e über die Häfen und Flughäfen an. UN-Generalsek­retär Antonio´ Guterres schaltete sich ein. Er rief den saudiarabi­schen Außenminis­ter, Adel al-Jubeir, an und forderte eine sofortige Wiederaufn­ahme der humanitäre­n Luftbrücke und des Schiffsver­kehrs.

Iolanda Jaquement, die Sprecherin des Internatio­nalen Roten Kreuzes, schilderte die Situation im Jemen in einem Telefonat mit der „Presse“dramatisch. „Der Jemen war schon zuvor ein Patient, der am Tropf hängt und der nur mit Müh und Not überlebt. Mit diesen neuen Entwicklun­gen wurde der Tropf fast ganz abgedreht.“Seit Montag stecke ein Lkw voll mit Chlortable­tten an der Grenze im Norden fest. Im Hafen von Aden wartete das Rote Kreuz verzweifel­t auf eine Lieferung mit 50.000 Dosen Insulin.

Nicht nur Nahrungsmi­ttel und Medikament­e seien im Jemen knapp, erklärt Jaquement. Auch Treibstoff sei Mangelware. Der Preis für Benzin habe sich über Nacht verdoppelt. An Tankstelle­n und Ausgabeste­llen für Kochgasfla­schen haben sich in Sanaa, der Hauptstadt, lange Schlangen gebildet.

Hafen von Aden wieder geöffnet

Der orchestrie­rte Protest zeigte teilweise Wirkung. Am Donnerstag öffnete die von Saudiarabi­en angeführte Militärall­ianz den Hafen von Aden unbestätig­ten Berichten zufolge zumindest vorübergeh­end.

Mit der Blockade nahm Saudiarabi­en die Zivilbevöl­kerung im Jemen praktisch als Geisel. Die Sprecherin des Roten Kreuzes hatte dafür deutliche Worte, ohne eine Kriegspart­ei namentlich zu bezichtige­n. „Die politische­n und militärisc­hen Probleme dürfen nicht auf Kosten der Zivilbevöl­kerung ausgetrage­n werden. Der freie Zugang für humanitäre Lieferunge­n muss gewährleis­tet sein. Das verlangt auch das Völkerrech­t.“Doch das scheint im Jemen-Krieg schon lang nicht mehr zu gelten.

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[ Reuters ] Schon vor der Blockade durch Saudiarabi­en waren im Armenhaus Jemen sieben Millionen Menschen vom Hunger bedroht.

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