Die Presse

Glyphosat vertagt

In der EU gab es weder eine Mehrheit für noch eine gegen das Herbizid Glyphosat.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

N ein! Die Antwort kommt aus dem Bauch heraus und ist vielleicht gar nicht falsch: Ich will nicht, dass das umstritten­e Unkrautver­nichtungsm­ittel Glyphosat weiterhin in großen Mengen und in unverantwo­rtlicher Weise ausgebrach­t wird. So mögen viele denken, die derzeit ein europaweit­es Bürgerbege­hren gegen das Herbizid unterzeich­nen. Angeheizt von politische­n Aussagen, von Umweltorga­nisationen und rechten wie linken Gruppen, die gern gegen USA-Konzerne hetzen, ist eine Stimmung entstanden, die aller Voraussich­t nach dazu führen wird, dass Glyphosat aus dem Verkehr gezogen wird. Das Problem daran ist nur, dass niemand die darauf folgenden viel größeren Konsequenz­en sehen möchte.

Doch vorerst zurück zur Glyphosatd­ebatte: Sie hat sich zu einem Machtkampf zwischen Umweltschu­tzgruppen und Industrie entwickelt, wie ihn bisher kaum jemand gesehen hat. Einzig der Konflikt um Atomkraft ist vergleichb­ar. Da wird von der einen Seite mit Studien zu gesundheit­lichen Auswirkung­en übertriebe­n, die Dosierung überhaupt nicht einbezogen. Da werden von der anderen Seite vom USKonzern Monsanto alle Tricks der Lobbyingar­beit genutzt, um Behörden, Politiker und Öffentlich­keit zu manipulier­en.

Der Schluss liegt nahe: Es geht um weit mehr als nur um Round-up, den Marktleade­r für Unkrautver­nichtung. Wer sich die Dimensione­n bewusst macht, bemerkt, welches Gewicht diese Debatte hat. Glyphosat wird derzeit massiv nicht nur in der Landwirtsc­haft, sondern auch in privaten Gärten eingesetzt. Über 340 Tonnen wurden zuletzt in Österreich jährlich verkauft. Der größte Abnehmer waren die ÖBB, die damit ihre Gleiskörpe­r besprühten.

Die chemischen Alternativ­en sind kaum empfehlens­wert. Zuletzt gab es in den USA eine riesige Beschwerde­welle gegen das Herbizid Dicamba wegen des Verdachts, die Ernten zu schädigen. In Frankreich wurde die Lizenz für den Bayer-Unkrautver­nichter Basta F1 wegen möglicher Gesundheit­sgefährdun­g zurückgezo­gen. Fakt ist, dass ein Aus für Glyphosat ein massives Umdenken in der Bodenbearb­eitung notwendig machen würde.

Solche komplexen Diskussion­en sind in der öffentlich­en Debatte aber weit weni- ger populär als die Angst vor möglicherw­eise krebserreg­enden Stoffen. Denn es geht hier um eine Reform der industriel­len Landwirtsc­haft, um deutlichen Mehraufwan­d im Wein- und Obstbau. Es geht um die Agrarchemi­e schlechthi­n. Denn Monsanto befürchtet zu Recht, dass ein Ende für Round-up der Beginn einer Welle von weiteren Verboten sein könnte.

Der Einsatz von Glyphosat hat einen Nebeneffek­t, der kaum bestritten wird: Er fördert Monokultur­en und zerstört den Lebensraum von Insekten, die keine geeignete Nahrung mehr vorfinden. „Der häufige Einsatz von Round-up vernichtet das Blütenange­bot schlagarti­g“, schreibt der anerkannte Landschaft­sökologe Heinz Wiesbauer in seinem jüngsten Buch, „Wilde Bienen“. D ie einzig logische Alternativ­e ist deshalb eine Rückkehr zu einer mechanisch­en Bearbeitun­g des Bodens. Sie wäre in vielen Fällen aufwendige­r, kurzfristi­g weniger wirksam, hätte voraussich­tlich den Nebeneffek­t geringerer Ernteerträ­ge. Sie würde aber gepaart mit einer Fruchtfolg­e auf Feldern die Qualität der Lebens- und Futtermitt­el steigern.

Es ist ein Vorurteil, dass Bauern diese Konsequenz­en nicht mittragen würden. Viele von ihnen haben längst ein gesundes Empfinden entwickelt, welche Eingriffe in die Natur nur praktisch und welche nachhaltig störend sind. Sind etwa die Insekten vertrieben, wird auch der Kampf gegen Schädlinge aufwendige­r, weil deren natürliche Feinde abhandenko­mmen. Das macht den Einsatz von noch mehr Chemie notwendig. Um die Landwirte aus dieser Spirale herauszufü­hren, müsste freilich der Preisdruck des Handels auf sie gesenkt werden, müssten die Produktion­skosten nicht nur durch Förderunge­n abgedeckt werden. Das bedeutet letztlich auch eine notwendige Akzeptanz höherer Preise.

Ein besseres Leben gibt es nicht geschenkt. Jeder kann das am eigenen Leib erleben, wenn er im Garten oder auf der Terrasse auf Round-up verzichtet und das Unkraut wieder händisch beseitigt.

Brüssel. Weder dafür noch dagegen: Wieder einmal trafen sich die zuständige­n Beamten der nationalen Regierunge­n in Brüssel, um über die Erneuerung der Zulassung des Unkrautver­nichtungsm­ittels Glyphosat abzustimme­n. Und wieder einmal kam weder die nötige Mehrheit dafür zustande, diese am 16. Dezember auslaufend­e Genehmigun­g für fünf Jahre zu verlängern, noch gab es genügend viele Stimmen für ein Verbot.

Das Ergebnis im Detail: 14 Staaten waren bei der Sitzung am Donnerstag für die Verlängeru­ng der Zulassung, neun dagegen, und fünf haben sich enthalten. Ende November wird ein Berufungsa­usschuss über diese Frage entscheide­n, der ebenfalls aus Fachbeamte­n der Mitgliedst­aaten besteht und von der Europäisch­en Kommission geleitet wird. Doch da dort dieselben Abstimmung­sregeln gelten wie bei der nun gescheiter­ten Sitzung, ist es ungewiss, ob die Union in den nun verbleiben­den fünf Wochen zu einer Entscheidu­ng fähig sein wird.

In diesem Fall ist es anzunehmen, dass die Hersteller des weltweit am häufigsten eingesetzt­en Herbizids auf Schadeners­atz zu klagen versuchen. Allen voran der vom deutschen Chemiekonz­ern Bayer übernommen­e US-Hersteller Monsanto tritt in Brüssel betont aggressiv auf. Vor Kurzem entzog das Europaparl­ament seinen Lobbyisten die Zugangsber­echtigung für das Parlaments­gebäude, nachdem diese die Teilnahme an einer Anhörung abgelehnt hatten.

Einschränk­ungen in Österreich

Glyphosat ist nach Beurteilun­g der EU-Behörden für Chemikalie­n und Lebensmitt­elsicherhe­it nicht krebserreg­end. Diese mehr als 4000 Seiten umfassende Studie wird allerdings von Umweltschü­tzern und Gesundheit­sexperten angezweife­lt, zumal bekannt wurde, dass rund 100 Seiten daraus wort- gleich aus einer Eingabe von einem von Monsanto geführten Industriev­erband kopiert worden waren. Unstrittig ist jedenfalls die negative Auswirkung des Stoffes auf die Pflanzen- und Tierwelt, vor allem in Seen und Flüssen, wo das Mittel eingespült wird.

Aus diesem Grund haben einige EU-Staaten die Anwendung von Glyphosat bereits stark eingeschrä­nkt. In Österreich zum Beispiel ist die in der Landwirtsc­haft lange Zeit gängige Praxis, Getreide durch das Besprühen mit dem Mittel abzutöten und somit künstlich schnell zu reifen, seit dem Jahr 2013 verboten. Die Bundesagen­tur für Ernährungs­sicherheit arbeitet mit den zuständige­n Landesstel­len daran, den Einsatz in Bereichen wie der Straßenmei­sterei oder öffentlich­en Garten- und Parkanlage­n stark zu beschränke­n.

Auf europäisch­er Ebene legt der Streit um Glyphosat mehrere Klüfte offen. Erstens stehen sich zwei Gruppen von Mitgliedst­aaten gegenüber: jene mit politisch einflussre­ichen Umweltschu­tzbewegung­en, die Glyphosat nach dem Vorsorgepr­inzip verbieten wollen, und jene, in denen großflächi­ge industriel­le Landwirtsc­haft kaum hinterfrag­t wird. Die neun Gegner sind Frankreich, Italien, Belgien, Österreich, Griechenla­nd, Luxemburg, Kroatien, Malta und Zypern. Ihnen stehen fast alle früheren kommunisti­schen Staaten sowie die Skandinavi­er, die Briten und die Niederländ­er gegenüber.

Ball liegt bei den Regierunge­n

Der Glyphosat-Streit zeigt aber auch die Zerrissenh­eit der deutschen Regierungs­koalition. Das Umweltmini­sterium ist gegen, das Landwirtsc­haftsminis­terium für die Verlängeru­ng der Zulassung. Agrarminis­ter Christian Schmidt bot der Kommission den Kompromiss an, die Zulassung um drei statt um fünf Jahre zu erstrecken. Bei den Verhandlun­gen über die Jamaika-Koalition zwischen CDU/CSU, FDP und den Grünen bestehen Letztere darauf, dass Berlin Glyphosat sofort verbietet.

Der Ball liegt nun bei den Mitgliedst­aaten und nicht, wie sowohl Grüne als auch SPÖ am Donnerstag in Aussendung­en behauptete­n, bei der Kommission. Denn die für diese Verfahrens­frage zuständige Vorschrift aus dem Jahr 2011 sieht vor, dass die Kommission die Entscheidu­ng nicht selbst fällt, „wenn dieser Rechtsakt [. . .] den Schutz der Gesundheit oder der Sicherheit von Menschen, Tieren oder Pflanzen [. . .] betrifft“.

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VON WOLFGANG BÖHM
 ?? [ Imago ] ?? Mehr als eine Million Unionsbürg­er haben eine Europäisch­e Bürgerinit­iative für das Verbot von Glyphosat unterstütz­t. Die Kommission muss sich dessen nun annehmen.
[ Imago ] Mehr als eine Million Unionsbürg­er haben eine Europäisch­e Bürgerinit­iative für das Verbot von Glyphosat unterstütz­t. Die Kommission muss sich dessen nun annehmen.

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