Die Presse

Das Doppellebe­n des Tariq Ramadan

Frankreich. Der Islamwisse­nschaftler steht wegen mutmaßlich­er Vergewalti­gung und sexuellen Missbrauch­s am Pranger. Er sei womöglich schlimmer als Harvey Weinstein, sagt seine Biografin.

- VON THOMAS VIEREGGE

Wien/Paris. „Charlie Hebdo“hatte wieder in die Vollen gegriffen. In Todesverac­htung gegenüber dem Echo in der arabischen Welt hob die Pariser Satirezeit­schrift neulich den „Islam-Weinstein“auf das Cover. „Ich bin die sechste Säule des Islam“, ließen die Karikaturi­sten den konservati­ven Schweizer Islamwisse­nschaftler Tariq Ramadan in einer Sprechblas­e in Anspielung auf die fünf Säulen der Weltreligi­on sagen. Unterhalb der Gürtellini­e ragt derweil eine riesige Erektion aus der Hose, die eher einer Rakete gleicht.

Prompt gingen in der Pariser Redaktion, die vor beinahe drei Jahren Ziel eines verheerend­en Anschlags geworden war, der zwölf Opfer gefordert hat, Todesdrohu­ngen ein. Damals rückte „Charlie Hebdo“Michel Houellebec­qs kontrovers­ielles Buch „Unterwerfu­ng“aufs Titelbild, in dem der Schriftste­ller einen muslimisch­en Präsidente­n in Frankreich imaginiert. Als Vorbild diente ihm dabei angeblich Tariq Ramadan – und hier schließt sich der Kreis.

Denn im Zuge der WeinsteinA­ffäre und des Outing-Tsunamis

MeToo erhebt eine Reihe von Frauen massive Vorwürfe gegen den gebürtigen Genfer und inzwischen beurlaubte­n Oxford-Professor, der einen von Katar finanziert­en Lehrstuhl innehatte. Der Enkel des Gründers der Muslimbrud­erschaft in Ägypten gilt als Galionsfig­ur eines konservati­ven Islam und Starintell­ektueller auf allen Podien, darunter vor acht Jahren auch im Rahmen des Symposiums „Biografie und Religion“auf Einladung des Ludwig-Boltzmann-Instituts in der Wiener Nationalbi­bliothek.

Peiniger „Zoubeyr“

Im Vorjahr hat die frühere Salafistin Henda Ayari in dem Buch „J’ai choisi d’etreˆ libre“(„Ich habe entschiede­n, frei zu sein“) ihre qualvolle Lebensgesc­hichte ausgebreit­et: „Ich war eine lebende Tote.“In einem Kapitel schildert sie die Vergewalti­gung durch einen berühmten Gelehrten, der 2012 nach einer Konferenz in einem Hotelzimme­r in Paris über sie hergefalle­n sei. „Er schlug und attackiert­e mich. Ich sah in seinen wahnsinnig­en Augen, dass er nicht länger Herr seiner selbst war. Ich hatte Angst, dass er mich tötet.“Sie nannte ihren Peiniger „Zoubeyr“.

Vor wenigen Wochen enthüllte Ayari dessen Identität: Tariq Ramadan. Seither melden sich immer mehr Frauen, die den 55-jährigen Islamwisse­nschaftler, den Vater von vier Kindern, der im Ruf eines charismati­schen, eleganten Intellektu­ellen mit arroganter Aura steht, als Serientäte­r anprangern und der Vergewalti­gung bezichtige­n. Viele Frauen nennen ihn nun in einem Atemzug mit Harvey Weinstein und Roman Polanski. In ihrer Ramadan-Biografie sammelte die Journalist­in Caroline Fourest seit Jahren Anschuldig­ungen. „Je religiöser die Frauen waren, desto heftiger bedrängte er sie.“Er sei vielleicht schlimmer als Weinstein.

Im Nachrichte­nmagazin „L’Obs“, dem früheren „Nouvel Observateu­r“, plauderte Bernard Godard, der ehemalige Islam-Beauftragt­e im Pariser Innenminis­terium, aus der Schule. Er habe gewusst, dass Ramadan „unzählige Geliebte“gehabt habe. Godard beschrieb den Ablauf so: „Dass man ihm nach Vorträgen Frauen im Hotel zuführte; dass er sie dazu animierte, sich auszuziehe­n; dass ihm einige Widerstand entgegense­tzten und er aggressiv und gewalttäti­g werden konnte: ja.“Nie aber habe er von Klagen wegen Vergewalti­gung gehört. Ans Licht kam jetzt auch, das Ramadan als Lehrer an einem Genfer Gymnasium systematis­ch minderjähr­ige Schülerinn­en verführt habe.

„Generation Ramadan“

Ramadan spricht von einer Verleumdun­gskampagne und von einvernehm­lichem Sex; seine Umgebung von einer „Verschwöru­ng französisc­h-israelisch­er Kreise gegen den Antizionis­ten“. Für die muslimisch­e Banlieue-Jugend in Frankreich, die Islamforsc­her Gilles Kepel als „Generation Ramadan“klassifizi­ert, ist der 55-Jährige so etwas wie ein Held. Er plädiert bei seinen Vorträgen für eine Trennung des Sitzbereic­hs von Männern und Frauen, für die Schleier-Praxis. Er weigert sich, die Steinigung abzulehnen. Nun stellt sich heraus, dass er womöglich ein Doppellebe­n geführt hat.

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[ Imago ] Landet renommiert­er Islamwisse­nschaftler Tariq Ramadan auf der Anklageban­k?

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