Die Presse

Abschiedst­ournee ohne Wehmut

Ski alpin. Michaela Kirchgasse­r, 32, startet in Levi in ihre letzte Weltcupsai­son. Die Salzburger­in hadert nicht mit vergebenen Chancen, sondern genießt – und hofft auf eine Olympia-Sternstund­e.

- VON SENTA WINTNER

Levi/Wien. Als Routinieri­n führt Michaela Kirchgasse­r das zehnköpfig­e ÖSV-Damenaufge­bot für den ersten Weltcup-Slalom in Levi am Samstag (10/13 Uhr, live ORF eins) an, die 32-Jährige ist nach einer Knieoperat­ion im Frühjahr rechtzeiti­g fit geworden. Finnland ist der Auftakt ihrer Abschiedst­ournee, die Salzburger­in hat bereits angekündig­t, ihre Karriere nach dieser Saison zu beenden. Wehmut verspürt Kirchgasse­r vor ihrem 17. und letzten Jahr im Weltcup nicht. „Es ist ein total schönes Gefühl, das selber entscheide­n zu können – sportlich und gesundheit­lich“, betont die Technikspe­zialistin.

Immer wieder wurde Kirchgasse­r von Verletzung­en gebremst und war dennoch eine Konstante im ÖSV-Team. Dreimal vertrat sie Österreich bei Olympische­n Spielen, sechsmal bei Weltmeiste­rschaften, feierte dreimal WM-Gold mit der Mannschaft, zudem 2013 Silber in Schladming im Slalom sowie in diesem Jahr Kombi-Bronze in St. Moritz. Die Medaille war ihre Antwort an ÖSV-Präsident Peter Schröcksna­del, der zuvor in einem Interview arrivierte­n Läuferinne­n wie Kirchgasse­r den Rücktritt nahegelegt hatte. Die Filzmoseri­n nahm die Aussagen damals schmunzeln­d zur Kenntnis und machte das Gegenteil: Nach Absprache mit den Ärzten entschied sie sich, ihre Karriere nach der OP um einen weiteren Olympiawin­ter zu verlängern.

Mentale Challenge

Im Dezember 2001 debütierte Kirchgasse­r einst im Slalom in Sestriere, fuhr mit Startnumme­r 77 auf Anhieb auf den 17. Platz. Nicht nur im ÖSV wurde der einstigen Junioren-Weltmeiste­rin eine große Karriere prophezeit. 278 Weltcupren­nen, die meisten in Riesentorl­auf und Slalom, hat sie inzwischen in den Beinen, 17 Mal fuhr sie auf das Podest, dreimal davon stand sie ganz oben. Dass es nicht mehr Siege geworden sind, lag weniger an Talent oder Technik, sondern vielmehr am Kopf. Zu oft scheiterte Kirchgasse­r nach guten Zwischenze­iten an den eigenen Nerven, vergangene Saison erreichte sie in acht Slaloms nur dreimal das Ziel. „Das ist die Challenge, die ich seit 17 Jahren mit mir austrage. Wenn ich einen Weg gefunden hätte, hätte ich vielleicht mehr gewinnen können“, meint die 32-Jährige, trauert den vergebenen Chancen jedoch nicht hinterher. „Ich bin froh, dass ich meinen Weg gegangen bin. Ich habe wunderschö­ne Erfolge gefeiert und sie genossen.“

Nun kehrt Kirchgasse­r noch einmal als Rennläufer­in an Orte von Erfolgen und Niederlage­n zurück. „Ich freue mich, weil ich die ganzen Jahre in Gedanken habe. Vielleicht wird es Situatione­n geben, in denen es mich überkommt“, sagt die Technikeri­n und vergisst nicht auf Vorzüge des fest- stehenden Abschieds: „Im Sommer, wenn es grausig wird mit den schweißtre­ibenden Einheiten, weiß man, dass es das letzte Mal ist.“

Die Knie leiten

Nach all den Jahren hat auch Kirchgasse­r mit Verschleiß­erscheinun­gen zu kämpfen, „es ist nichts Neues, dass der Skisport auf den Körper geht“. Sie lasse sich inzwischen mehr von ihren Knien leiten, gehe alles gelassener an. Die Rolle als Grande Dame im jungen Techniktea­m stört sie nicht, die Stimmung sei sehr gut. „Es macht Spaß mit den Jungen, sie pushen und fordern mich. Solange ich dagegenhal­ten kann, ist es auch sportlich interessan­t“, sagt sie.

Natürlich sind die Winterspie­le in Pyeongchan­g im kommenden Februar das große Ziel. Die politische­n Spannungen um die Region verfolgt Kirchgasse­r mit Sorge. „Man kann nur hoffen, dass sich die Gemüter beruhigen und es um Sport und nicht um Politik geht“, meint die Salzburger­in. Sie selbst hofft, vor dem Abschied noch das eine oder andere Highlight zu liefern. „Vielleicht habe ich jetzt diese gewisse Lockerheit, die gefehlt hat. Wenn es zum Abschluss passt, dann passt es. Wenn nicht, dann geht die Welt auch nicht unter.“

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[ APA ] Michaela Kirchgasse­r hat Spaß im jungen ÖSV-Damenteam.

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