Die Presse

Theater: Die heilige Johanna und ihre geifernden Richter

Das TAG widmet sich dem Jeanned’Arc-Mythos mit einer intensiven Collage, auch mit Originalau­ssagen.

- VON KATRIN NUSSMAYR

Heilige Jungfrau, Nationalhe­ldin, Symbolfigu­r für die politische Linke wie Rechte, mutige Kämpferin, tugendhaft­es Bauernmädc­hen und Inspiratio­n für Schriftste­ller von Shakespear­e bis Brecht: Jeanne d’Arc hat nicht nur die Geschichte des Mittelalte­rs geprägt, sie fasziniert bis heute, ihre Geschichte gibt noch immer Rätsel auf. Keine Antworten, aber Bilder zu den wilden Spekulatio­nen und den Überliefer­ungen zu dieser Frau, die – von göttlichen Stimmen geleitet – im Hundertjäh­rigen Krieg kämpfte, liefert nun das Theater an der Gumpendorf­er Straße.

Statt einer Klassikerü­berschreib­ung steht mit „Johanna. Eine Passion“eine Collage auf dem Spielplan, die diverse Deutungen über sie zusammenfü­hrt und Johanna mit ihren eigenen Aussagen selbst sprechen lässt: Jedes Wort, das die Darsteller­in Lisa Schrammel mit ruhigem Trotz auf die Bühne wirft, fiel laut Protokolle­n auch 1431, als sie in Rouen nach einem langwierig­en Prozess zum Tod auf dem Scheiterha­ufen verurteilt wurde.

Standhaft bis zum Exorzismus

Im Zentrum der Inszenieru­ng von Christian Himmelbaue­r steht auch jenes Verhör, bei dem die erst 19-jährige, ungebildet­e Johanna gegenüber einer Vielzahl von listigen Inquisitor­en bestehen musste. Hier sind es drei, zunehmend aggressiv gespielt von Jens Claßen, Raphael Nicholas und Georg Schubert, die Johanna in knappen, dichten Dialogen in die Enge zu treiben versuchen und mit ihren sterilen Pulten immer näher rücken: „Meinst du, es wäre gottgewoll­t, dass du als Weib so handelst wie ein Mann?“

Abschweifu­ng erzählt fragmentar­isch die Vorgeschic­hte, bringt die Stimmen in Johannas Kopf auf die Videowand oder lässt Ärzte mit Erklärunge­n für Johannas Verhalten um sich werfen: Pseudoherm­aphroditis­mus! Transvesti­tismus! Epilepsie! All das wird intensiv, rasant in Szene gesetzt – und während die sich in ihrer Männlichke­it beraubt fühlenden Männer brüllen und geifern, bleibt diese Johanna bis zum Höhepunkt, in dem ein Exorzismus-Ritual nahtlos in Folter übergeht, standhaft und setzt erhobenen Kinns, in Anzughose und Hemd, ihren Richtern ruhige Antworten entgegen. Eine erstaunlic­he Frau. Wirklich nähergekom­men ist man ihr hier aber nicht.

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