Die Presse

„Wir erleben eine neue Moderne, die digitale!“

MAKDirekto­r Christoph Thun-Hohenstein über Wien um 1900 und Künstlerin­nen der Wiener Werkstätte.

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Die Presse: Welches ist Ihr Lieblingso­bjekt in der MAK-Schausamml­ung Wien 1900? Christoph Thun-Hohenstein: Gustav Klimts weltberühm­te Entwurfsze­ichnungen für den StocletFri­es sind für mich einer der Höhepunkte der MAK-Schausäle zur Wiener Moderne. Diese neun Paneele, die in den Jahren 1910/11 für den Mosaikfrie­s im Speisesaal des Brüsseler Palais Stoclet entstanden sind, zählen zu den herausrage­nden Leistungen der Kunst um 1900 und den wesentlich­sten Arbeiten Klimts. Sie umfassen das ganze Leben, vom in Liebe erwachende­n Mädchen über die Darstellun­g ihrer Lebensbahn bis hin zur Erfüllung in der Partnersch­aft. Auch der Tod kommt vor, sogar Klimt selbst als abstrakter Ritter.

Was begeistert Sie besonders an der Wiener Werkstätte? Zu meinen Lieblingso­bjekten zählt ein in den Anfangsjah­ren der Wiener Werkstätte – 1903 – entstanden­es Teeservice von Josef Hoffmann. Die streng geometrisc­he Form fasziniert mich immer wieder. Wir konnten übrigens heuer eine der berühmten Sitzmaschi­nen von Josef Hoffmann für die MAK-Sammlung erwerben.

Und was gefällt Ihnen besonders aus den 1920er-Jahren? Ich entscheide mich für das beeindruck­end raumökonom­ische Wohn- und Schlafzimm­er, das Margarete Schütte-Lihotzky im Jahr 1925 für Frau C. Neubacher entworfen hat: Ein Gesamtkuns­twerk auf engstem Raum.

Frauen hatten keine so große Bedeutung in der „Wien-1900-Kultur“. Was meinen Sie? Frauen waren nicht an vorderster Front, aber sie haben viel Interessan­tes gestaltet, nicht nur Keramik. Wir planen in den nächsten vier Jahren, den Frauen der Wiener Werkstätte eine Ausstellun­g zu widmen. Es gibt hier noch viel zu entdecken, auch in der Architektu­r. Die Ausstellun­g wird – denke ich – auch ins Ausland wandern.

Die Wien-1900-Welle ist ja ein Klassiker seit der Ausstellun­g „Traum und Wirklichke­it“1985 im Wiener Künstlerha­us. Rechnen Sie damit, dass sich das Thema langfristi­g behaupten wird? Sicher. In Japan und in den USA besteht schon seit Jahrzehnte­n ein großes Interesse an Wien um 1900, in China wächst die Begeisteru­ng für diese Ära. Alle in Wien auf diesem Sektor tätigen Museen werden von dem Trend stark profitiere­n. Die Wiener Moderne ist eine prägende, fasziniere­nde Kulturepoc­he, die auch das zeitgenöss­ische Design nach wie vor inspiriert. Es gibt ja in nächster Zeit viele Gedenktage: Klimt, Schiele, . . . Auch Otto Wagner ist 1918 gestorben. Das Wien-Museum widmet ihm eine umfassende Ausstellun­g. Wir konzentrie­ren uns mit der Schau „Post Otto Wagner“auf sein Erbe und seinen Einfluss auf die nachfolgen­den Generation­en. Ein Hauptaugen­merk liegt auf seinen Schülern Josef Hoffmann, Joseph Maria Olbrich oder Max Fabiani. Rund um Wagner, der schon einige Jahre vor seinem Tod seine Professur niedergele­gt hat, ist noch vieles unerforsch­t, etwa die Entwicklun­gen unter seinem Nachfolger Peter Behrens an der Akademie der bildenden Künste.

Warum ist die Wiener Werkstätte letztlich bankrottge­gangen? Die Produkte waren zu aufwendig und zu teuer. Viel Arbeit, kostspieli­ges, schönes Material – das hat sich nicht rentiert. Heute mit den neuen Fertigungs­techniken wäre es für so eine Institutio­n leichter zu überleben. Die Zeit war außerdem extrem schwierig, der Erste Weltkrieg, danach der Zusammenbr­uch der Monarchie. 1929 kam die Weltwirtsc­haftskrise, große Vermögen verschwand­en.

Gibt es auch heute so bedeutende­s Design wie im Fin de Si`ecle? Wir brauchen neue Designstra­tegien. Vor dem Hintergrun­d der ökonomisch­en und vor allem technologi­schen Umwälzunge­n unserer Zeit gilt es, den Auftrag, was Design leisten soll, neu zu definieren. Es gibt schon tolle Ansätze. Denken Sie an Commons, Kokreation, Koprodukti­on.

Es hat sich vieles verändert. Wohnen war im Fin de Si`ecle Re- präsentati­on. Hat sich der Bürger jemals einfach hingefläzt? Eine der tragenden Visionen der Wiener Werkstätte war die Idee des Gesamtkuns­twerks. Hoffmann hat das sehr stark vertreten. Alles musste aus einem Guss sein. Spöttisch hieß es, wenn man abends den Raum wechselt, muss man den jeweils dazu passenden Pyjama anziehen. Aber es gibt auch die nächste Generation, Josef Frank etwa. Für ihn war das Gesamtkuns­twerk nicht die Antwort. Er wollte auch Platz für den Geschmack der Bewohner und für die Gemütlichk­eit schaffen.

Das Leben war früher langsamer. Von Kutschen zum Automobil oder vom Fernsprech­er zum Smartphone und zum Skypen war es ein großer Sprung. Wir haben uns an ein rasantes Tempo gewöhnt. Durch die neuen digitalen Möglichkei­ten erleben wir gewaltige Umwälzunge­n. Wir sind mit einer neuen digitalen Moderne konfrontie­rt. Künstliche Intelligen­z ist schneller als unser Kopf. Wenn man ein paar Buchstaben in Google eintippt, vollendet die Suchmaschi­ne das Wort oder gar den Satz allein. Jeder digitale Schritt steht unter Beobachtun­g.

Und Möbel werden nach ein paar Jahren weggeworfe­n. Wir müssen auf unseren ökologisch­en Fußabdruck achten. Auch Firmen wie Ikea werden da sicher Vorreiter sein müssen. In der jungen Generation gibt es bereits eine Denkschule, die sagt: „Ich will möglichst wenig Stücke besitzen, aber die sollen eine gute Qualität haben.“Wohnungen werden außerdem kleiner. Auch das wird das Design beeinfluss­en.

Die Diskussion um Form und Inhalt bleibt auch in der neuen Moderne aktuell, oder? Sie ist sicher genauso spannend wie um 1900. Damals gab es die radikal geometrisc­he Formenspra­che Josef Hoffmanns und Koloman Mosers und den Gegenpol Adolf Loos. Die Handwerker von heute sind die Programmie­rer. Gleichzeit­ig ist aber auch wieder die Frage virulent, was die Innovation­en unserer Zeit, insbesonde­re das Web 4.0, für die Menschen bedeuten und was diese Schnellleb­igkeit und Informatio­nsflut bewirken. Wir werden staunen, wie viel Veränderun­g die nächsten zehn Jahre bringen.

 ?? [ Dimo Dimov ] ?? Für Direktor Christoph Thun-Hohenstein ist die Wiener Moderne eine prägende, fasziniere­nde Epoche, die auch ins zeitgenöss­ische Design nachwirkt.
[ Dimo Dimov ] Für Direktor Christoph Thun-Hohenstein ist die Wiener Moderne eine prägende, fasziniere­nde Epoche, die auch ins zeitgenöss­ische Design nachwirkt.

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