Die Republik bedarf dringend einer Entsozialdemokratisierung
Ob die ÖVP/FPÖ-Regierung Erfolg haben wird, hängt vor allem davon ab, ob ihr eine fundamentale Änderung der hiesigen Mentalität gelingt.
Wer genauer hinhört, wie die beiden prospektiven Regierungsparteien ÖVP und FPÖ ihr gemeinsames Werk in bisher nicht eben üppige Begrifflichkeiten fassen, dem fällt die völlige Abwesenheit eines prominenten Begriffs auf: „Wende“. Weit und breit ist da im Herbst 2017, ganz anders als beim Vorgängermodell, der Regierung Schüssel, nicht die Rede von einer Wende, einer Wenderegierung oder dergleichen.
Zufall? Die – in dieser Hinsicht übrigens bemerkenswert professionell agierende – Truppe um Sebastian Kurz führt die junge politische Marke der Neuen Volkspartei ebenso straff wie präzise; die Verwendung der damit verbundenen Begriffe und Bilder wird präzise gesteuert.
Es ist daher auszuschließen, dass die „Wende“rein zufällig irgendwie verloren gegangen ist. Zu vermuten ist vielmehr, dass der Begriff einfach zu belastet erschienen ist. Einzelne Teile des Nachlasses der 2000er-Wenderegierung waren ja von überschaubarer Attraktivität; und Assoziationen daran sind nun offenbar unerwünscht.
Das ändert freilich gar nichts daran, dass Österreich eine Wende heute sehr dringend braucht, vielleicht sogar noch dringender als 2000 nach den bleiernen Jahren der damaligen Großen Koalition.
Es ist vor allem eine völlige Wende der grundlegenden Mentalitäten nicht nur der Regierung, sondern letztlich auch der Regierten, die Österreich heute benötigt.
Daran, ob ihr diese Wende der Mentalitäten zumindest ein Stück weit gelingt, wird die neue Regierung vor allem zu messen sein, alles andere ist dagegen eher zweitrangig: Es ist dies eine Wende weg von jener schrecklichen Mentalität des „Holen Sie sich, was Ihnen zusteht“hin zu einer Mentalität, die das Erbringen von Leistung viel stärker belohnt, den Konsum auf Kosten der anderen hingegen zur wirklichen Ausnahme in Notfällen macht.
Es ist dies eine Wende weg von einer Mentalität des Schuldenmachens zu einer Mentalität der Sparsamkeit als Vo- raussetzung künftiger Investitionen, und zwar nicht zulasten der noch nicht Geborenen, wie das seit einem halben Jahrhundert unseliger Brauch geworden ist.
Es ist dies eine Wende weg von der Mentalität des umfassend betreuten Bürgers, den der Staat wegen jedes schmerzenden Hühnerauges zudringlich betreut, hin zu einem Citoyen, der vom Staat möglichst in Ruhe gelassen wird, solange es nicht unbedingt notwendig ist.
Es ist dies eine Wende weg von einer Gesellschaft, die zu einer Art Großkindergarten verkommen ist, in dem die Betreuer darauf achten, dass die Raumtemperatur stimmt, pünktlich bekömmliche Mahlzeiten serviert werden und sich die Bürger beim Spielen nicht wehtun, hin zu einer Gemeinschaft Erwachsener, die selbst wissen, was gut für sie ist und was nicht.
Letztlich geht es also darum, jenes komfortable, wohlige Volksheim – so nannten die Schweden lang diesen Typus Gesellschaft –, in das wir alle seit Jahrzehnten geschubst worden sind und als dessen wohlmeinende Anstaltsleitung sich die Regierungen stets verstehen, endlich abzureißen. Und durch einen minimalistischen Neubau zu ersetzen.
Das wird nur möglich sein, wenn es der neuen Regierung gelingt, „die Sozialisten in allen Parteien“(Friedrich A. Hayek) zumindest ein Stück zurückzudrängen. Leicht wird das nicht, schon allein deshalb, weil natürlich auch ÖVP und noch mehr die FPÖ vom Phänomen der „Sozialisten in allen Parteien“betroffen sind – wie übrigens nahezu alle zeitgenössischen Parteien Europas mehr oder weniger.
Entschließen sich ÖVP und FPÖ – was derzeit freilich noch völlig offen ist – dazu, das abgehauste Volksheim lediglich mit einem neuen Management und ein paar neuen Aufsehern zu beschicken, dann vergeben sie eine Chance, die sich heuer erstmals seit fast 20 Jahren so ergibt.
Das Land braucht aber nicht das, sondern eben eine wirkliche Wende. Wie sie dann heißt, ist völlig egal.