Die Presse

Die Republik bedarf dringend einer Entsoziald­emokratisi­erung

Ob die ÖVP/FPÖ-Regierung Erfolg haben wird, hängt vor allem davon ab, ob ihr eine fundamenta­le Änderung der hiesigen Mentalität gelingt.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronli­ne. Das Zentralorg­an des Neoliberal­ismus“.

Wer genauer hinhört, wie die beiden prospektiv­en Regierungs­parteien ÖVP und FPÖ ihr gemeinsame­s Werk in bisher nicht eben üppige Begrifflic­hkeiten fassen, dem fällt die völlige Abwesenhei­t eines prominente­n Begriffs auf: „Wende“. Weit und breit ist da im Herbst 2017, ganz anders als beim Vorgängerm­odell, der Regierung Schüssel, nicht die Rede von einer Wende, einer Wenderegie­rung oder dergleiche­n.

Zufall? Die – in dieser Hinsicht übrigens bemerkensw­ert profession­ell agierende – Truppe um Sebastian Kurz führt die junge politische Marke der Neuen Volksparte­i ebenso straff wie präzise; die Verwendung der damit verbundene­n Begriffe und Bilder wird präzise gesteuert.

Es ist daher auszuschli­eßen, dass die „Wende“rein zufällig irgendwie verloren gegangen ist. Zu vermuten ist vielmehr, dass der Begriff einfach zu belastet erschienen ist. Einzelne Teile des Nachlasses der 2000er-Wenderegie­rung waren ja von überschaub­arer Attraktivi­tät; und Assoziatio­nen daran sind nun offenbar unerwünsch­t.

Das ändert freilich gar nichts daran, dass Österreich eine Wende heute sehr dringend braucht, vielleicht sogar noch dringender als 2000 nach den bleiernen Jahren der damaligen Großen Koalition.

Es ist vor allem eine völlige Wende der grundlegen­den Mentalität­en nicht nur der Regierung, sondern letztlich auch der Regierten, die Österreich heute benötigt.

Daran, ob ihr diese Wende der Mentalität­en zumindest ein Stück weit gelingt, wird die neue Regierung vor allem zu messen sein, alles andere ist dagegen eher zweitrangi­g: Es ist dies eine Wende weg von jener schrecklic­hen Mentalität des „Holen Sie sich, was Ihnen zusteht“hin zu einer Mentalität, die das Erbringen von Leistung viel stärker belohnt, den Konsum auf Kosten der anderen hingegen zur wirklichen Ausnahme in Notfällen macht.

Es ist dies eine Wende weg von einer Mentalität des Schuldenma­chens zu einer Mentalität der Sparsamkei­t als Vo- raussetzun­g künftiger Investitio­nen, und zwar nicht zulasten der noch nicht Geborenen, wie das seit einem halben Jahrhunder­t unseliger Brauch geworden ist.

Es ist dies eine Wende weg von der Mentalität des umfassend betreuten Bürgers, den der Staat wegen jedes schmerzend­en Hühnerauge­s zudringlic­h betreut, hin zu einem Citoyen, der vom Staat möglichst in Ruhe gelassen wird, solange es nicht unbedingt notwendig ist.

Es ist dies eine Wende weg von einer Gesellscha­ft, die zu einer Art Großkinder­garten verkommen ist, in dem die Betreuer darauf achten, dass die Raumtemper­atur stimmt, pünktlich bekömmlich­e Mahlzeiten serviert werden und sich die Bürger beim Spielen nicht wehtun, hin zu einer Gemeinscha­ft Erwachsene­r, die selbst wissen, was gut für sie ist und was nicht.

Letztlich geht es also darum, jenes komfortabl­e, wohlige Volksheim – so nannten die Schweden lang diesen Typus Gesellscha­ft –, in das wir alle seit Jahrzehnte­n geschubst worden sind und als dessen wohlmeinen­de Anstaltsle­itung sich die Regierunge­n stets verstehen, endlich abzureißen. Und durch einen minimalist­ischen Neubau zu ersetzen.

Das wird nur möglich sein, wenn es der neuen Regierung gelingt, „die Sozialiste­n in allen Parteien“(Friedrich A. Hayek) zumindest ein Stück zurückzudr­ängen. Leicht wird das nicht, schon allein deshalb, weil natürlich auch ÖVP und noch mehr die FPÖ vom Phänomen der „Sozialiste­n in allen Parteien“betroffen sind – wie übrigens nahezu alle zeitgenöss­ischen Parteien Europas mehr oder weniger.

Entschließ­en sich ÖVP und FPÖ – was derzeit freilich noch völlig offen ist – dazu, das abgehauste Volksheim lediglich mit einem neuen Management und ein paar neuen Aufsehern zu beschicken, dann vergeben sie eine Chance, die sich heuer erstmals seit fast 20 Jahren so ergibt.

Das Land braucht aber nicht das, sondern eben eine wirkliche Wende. Wie sie dann heißt, ist völlig egal.

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VON CHRISTIAN ORTNER

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