Die Presse

„Wir sind in Österreich nicht so weit“

Fußball. Während das ÖFB-Team seit 1998 zuschauen muss, fahren die Eidgenosse­n einmal mehr zur WM. Der Schweizer Rapid-Sportdirek­tor Fredy Bickel kennt das Erfolgsrez­ept seiner Landsleute.

- VON JOSEF EBNER

Wien. „Es ist nicht mehr Talent in der Schweiz, es sind nicht die besseren Trainer in der Schweiz. Das hält sich die Waage“, sagt Fredy Bickel. Der 52-Jährige kennt sowohl den Schweizer als auch den österreich­ischen Fußball, war Sportdirek­tor bei Young Boys Bern und FC Zürich, seit knapp einem Jahr ist er Geschäftsf­ührer Sport bei Rapid. Die Voraussetz­ungen der Nachbarlän­der sind vergleichb­ar, auch das Niveau der Liga. Hier und dort sind es Legionäre, die das Rückgrat des Nationalte­ams stellen, viele davon mit Migrations­hintergrun­d. Nur die Ausbeute der beiden Mannschaft­en könnte unterschie­dlicher nicht sein.

Die Eidgenosse­n haben neun Siege in zehn WM-Qualifikat­ionspartie­n eingefahre­n, darunter ein 2:0 über Europameis­ter Portugal, am Wochenende das Play-off gegen Nordirland gewonnen (gesamt 1:0) und fahren nun zum vierten Mal in Folge zu einer WM. Sie sind Stammgäste bei Endrunden (2004, 2006, 2008, 2010, 2014, 2016), scheiterte­n zuletzt zweimal nur unglücklic­h im Achtelfina­le. Eine Ausbeute, von der selbst Holland, Belgien oder die Türkei nur träumen können, Österreich sowieso: seit 1998 nicht mehr bei einer WM, die EM-Qualifikat­ion 2016 blieb ein kurzer Lichtblick der jüngeren ÖFBGeschic­hte. Dabei waren Österreich und die Schweiz 2008 noch Ko-Gastgeber der EM, seither ist der Nachbar enteilt.

Im Vorfeld der gemeinsame­n Euro, vor zehn, 15 Jahren, hat in der Schweiz ein Umdenken stattgefun­den, die Eidgenosse­n erklärten ihre Liga zur Ausbildung­sliga. Die Klubs hätten das „unheimlich gut umgesetzt“, sagt Bickel: Spieler werden auf hohem Niveau ausgebilde­t, bekommen relativ schnell Einsätze in den Kampfmanns­chaften und werden nicht gleich ins Ausland verkauft, sondern erst, wenn sie auch in den Topligen das Zeug zu Leistungst­rägern haben. Schweizer Nachwuchss­pieler hätten diese Geduld, weil sie wüssten, dass ihr Verein Strukturen geschaffen hat, die sie weiterbrin­gen.

Aus diesen Profis rekrutiert Teamchef Vladimir Petkovic,´ ein Schweiz-Bosnier, seinen Kader. Der Spielmache­r und aktuelle Schweizer Fußballer des Jahres, Granit Xhaka, 25, kam von Basel über Mönchengla­dbach zu Arsenal London, ist derzeit einer der besten Passgeber der Premier League. Jüngstes Beispiel ist Denis Zakaria, der in Bern geblieben ist, obwohl unter anderem Liverpool lockte, und nun mit seinen 20 Jahren auf Anhieb Stammspiel­er in Mönchengla­dbach wurde. Dort ist auch Teamgoalie Yann Sommer, ein Basel-Export, die Nummer eins, längst ist die Schweiz ein Tormannlan­d geworden.

Bickel will nicht alle heimischen Klubs über einen Kamm scheren, meint aber: „Wir sind in Österreich nicht so weit.“Viele Vereine hätten diese Nachwuchsk­ultur nicht, er habe das Gefühl, „es wird etwas zu wenig für die Jugend gemacht“. Früh wechseln Talente ins Ausland und spielen dort nicht regelmäßig, das Wort Ausbildung­sliga werde hierzuland­e noch immer nicht gern gehört, ist sein Eindruck. Dabei gehe die Schere zwischen Ländern wie Österreich und der Schweiz und den großen Fußballnat­ionen immer weiter auseinande­r. „Du musst dir eine Nische suchen, zu dieser stehen und sie mit Freude durchziehe­n.“

In der Schweiz sind nun auch die Erwartunge­n gestiegen. Trotz erfolgreic­her WM-Qualifikat­ion gab es beim 0:0 im Play-off-Rückspiel in Basel gegen Nordirland Pfiffe von den Rängen. Das Ticket für Russland 2018 galt schon als Pflichtauf­gabe, die „Nati“muss nun den nächsten Schritt machen: bei einem großen Turnier gegen ein großen Gegner bestehen.

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[ imago] Nordirland verzweifel­te nach Abpfiff, Schweiz rettete ein 0:0 über die Zeit und sicherte sich das WM-Ticket.

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