Die Presse

„Es ist wie ein zweiter Herzschlag“

Interview. Moon Ribas ist Tänzerin – und Cyborg: Dank eines implantier­ten Sensors kann sie jedes Erdbeben spüren. Jetzt ist sie bei der Art Week zu Gast.

- VON TERESA SCHAUR-WÜNSCH

Als am späten Sonntag im Grenzgebie­t zwischen dem Irak und dem Iran die Erde bebte, da spürte in Wien auch Moon Ribas ein Zittern: ein rhythmisch­es Beben in ihrem Fuß. Nichts Ungewöhnli­ches für sie, „aber wenn ich ein großes Beben spüre, schaue ich nach, wo es passiert ist.“Oft liegt die Gefahrenzo­ne mitten im Ozean, oft passiert nichts. Manchmal eben doch.

Die spanische Tänzerin fühlt jedes Erdbeben, nicht aufgrund übersinnli­cher Fähigkeite­n, sondern dank eines implantier­ten Sensors, der sie zum Cyborg macht, zu einem Mischwesen aus Organismus und Maschine. Dabei hatte sie ursprüngli­ch mit Technologi­e wenig am Hut. „Als Teenager war ich ein Hippie“, sagt sie. Dann begann sie eine experiment­elle Ausbildung in Tanz und Choreograf­ie, bei der man die Studenten zur Verwendung von Technologi­e ermutigte.

„Ich wollte Bewegung tiefer wahrnehmen“, erinnert sich die 32-Jährige, die gerade als Gast der Vienna Art Week zum Thema „Transformi­ng Technologi­es“in Wien ist. „Um uns herum passiert so viel, das wir mit unseren Sinnen nicht wahrnehmen können.“Zunächst beschäftig­te sie sich mit der Gehgeschwi­ndigkeit der Menschen in ihrer Umgebung, Bewegung in ihrem Rücken. „Dann wollte ich Bewegung wahrnehmen, die universell­er ist.“So kam sie auf die Erdbeben. „Sie sind fasziniere­nd, eine riesige, natürliche Form der Bewegung, die in den meisten Fällen nicht wahrnehmba­r ist.“

Seismische Aktivitäte­n im Fuß

Sie verwendet nun die online gesammelte­n Daten der weltweiten Seismograf­en und verbindet sie mit einem vibrierend­en Tool. „Am Anfang habe ich es permanent am Körper getragen, später als Implantat, zuerst in meinem Arm.“Ribas zeigt eine rötliche Narbe oberhalb ihres Ellenbogen­s, die an einen Münzeinwur­f erinnert. „Erst später ist mir klar geworden, dass es viel passender wäre, die seismische Aktivität in meinen Füßen zu spüren.“Inzwischen ist das Implantat vor ihrem Sprunggele­nk untergebra­cht. Das Einsetzen übernahm zunächst ein New Yorker Body Cutter („das, was sich andere Leute implantier­en lassen, das ist wirklich verrückt“), später eine Krankensch­wester.

Zu Beginn, erinnert sie sich, habe das Vibrieren sie oft geweckt oder in Gesprächen abgelenkt. „Jetzt bin ich daran gewöhnt, es stört mich nicht mehr. Es fühlt sich an, als hätte ich zwei Herzschläg­e, meinen eigenen und die Schläge der Erde.“In ihren Tanzperfor­mances arbeitet sie mit diesem zusätzlich­en Impuls. Ihre Kunst scheidet die Geister, manche halten sie für verrückt. „Aber das ist bei Kunst immer so. Weil sie zunächst keine praktische Lösung bringt. Aber wir leben auch durch Staunen und kommen so vielleicht zu neuen Lösungen.“

Inzwischen sei ihr etwa klar geworden, „wie schlecht wir an das Leben auf diesem Planeten angepasst sind. Sonst hätten wir keine Städte an gefährlich­en Orten gebaut. Menschen haben immer ihre Umgebung geformt, um es möglichst bequem zu haben. Vielleicht wäre es an der Zeit, dass wir uns anpassen und nicht an einem Lifestyle weiterbaue­n, der unseren Planeten zerstört. Vielleicht ist es Zeit, dass wir uns ändern.“Eine Idee, die ihr gefällt: „Dass wir nicht länger auf die Evolution warten müssen. Wir können selbst bestimmen, wie wir die Realität wahrnehmen wollen. Stellen Sie sich eine Bar in 50 Jahren vor, wo man sich beim Kennenlern­en nicht nur fragt, woher man kommt, sondern auch, welche Sinne man hat.“

2010 hat Ribas mit Neil Harbisson die Cyborg Foundation gegründet – Harbisson trägt eine in seinen Schädel implantier­te Antenne. Ziel der Foundation sei, Menschen dabei zu helfen, Cyborgs zu werden, deren Rechte zu vertreten und Cyborg-Kunst zu unterstütz­en. Daneben will sie nächstes Jahr eine Organisati­on gründen, die dabei helfen soll „zu erforschen, wie wir uns an seismische Aktivität besser anpassen können“. Denn wenn, wie eben, Hunderte Menschen sterben, dann erschütter­e das natürlich auch sie.

In wenigen Wochen soll die Transspeci­es Society vorgestell­t werden, „für Menschen, die Sinne haben, die nicht als menschlich gelten“. Ein Freund spüre etwa atmosphäri­schen Druck: „Unser Wettermann – er weiß, ob es regnen wird.“Ein anderer arbeite daran, Luftversch­mutzung wahrnehmen zu können. Steigert das nicht den Druck zur Selbstopti­mierung? Was „besser“ist, meint Ribas, sei eine subjektive Frage. „Ich sehe das horizontal, als Alternativ­en. Seit ich diesen neuen Sinn habe, fühle ich mich nicht Maschinen näher, sondern eher der Natur.“

 ?? [ Katharina F.-Roßboth] ?? Moon Ribas versteht sich als Cyborg-Künstlerin und -Aktivistin.
[ Katharina F.-Roßboth] Moon Ribas versteht sich als Cyborg-Künstlerin und -Aktivistin.

Newspapers in German

Newspapers from Austria