Die trügerische Gewissheit des Regionalen
Na,
warst du auch schon mit dem Putsch-Dämon im Wald spazieren?“, unkten wir einander beim Mittagessen unter Korrespondenten zu. Schließlich hatte der Kollege des belgischen „Soir“am Wochenende ein Interview mit dem katalanischen Separatistenführer Carles Puigdemont veröffentlicht, welches er während eines langen Spazierganges im Arboretum von Tervuren nahe Brüssel geführt hatte. So ein Scoop gibt, zumindest einen Tag lang, im Maschinenraum des Europäischen Einigungswerks reichlich Gesprächsstoff ab.
Die katalanischen Begebenheiten haben mich zur Beschäftigung mit jenem Gemeinplatz angeregt, demzufolge die Region jene quasi ewige, unverfälschte kulturelle Heimat sei, in die wir uns vor den Zumutungen der Welt zurückziehen können. Hier duftet noch der handgeselchte Speck, hier klingen die vertrauten Weisen, hier kennt man seine Tracht und trägt sie auch beim Oktoberfest in der städtischen Mehrzweckhalle. Ich halte diese Vorstellung für problematisch, gerade bei uns in Mittel- und Osteuropa. Ist Schlesien rein polnisch? Böhmen rein tschechisch? Die Gottschee rein slowenisch? Das Burgenland rein österreichisch? Ist Lemberg eine rein ukrainische Stadt? Wenn ja: seit wann? Unter welchen Umständen wurden sie das? Und was bedeutet „rein“in diesem Zusammenhang?
Wer sich diese Fragen nicht stellt, kann schnell in die unschöne Lage stolpern, das mörderische Vermächtnis von Hitler und Stalin gleichsam zum raumpolitischen Ordnungselement und Identitätsstifter hochzujubeln. Im Sommer fiel mir Martin Pollacks feiner Langessay „Kontaminierte Landschaften“wieder in die Hände. „Die Gräber sollen unsichtbar werden, in der Landschaft verschwinden, um die namenlosen Opfer für immer aus der Welt zu schaffen“, schreibt Pollack. „Ohne Leiche kein Verbrechen, und ohne Verbrechen keine Anklage.“Das ist hart. Aber es sollte jeder Verfechter der Idee, die Region sei urwüchsig und unbefleckt, zumindest einmal bedacht haben.