Im Raucherkammerl der Koalitionsgespräche
„Learning on the job“heißt es für die freiheitlichen Verhandler bei den Gesprächen über die Bildung einer neuen Regierung. An der Pflichtmitgliedschaft bei den Kammern wird die schwarz-blaue Koalition nicht scheitern.
Es gehört zum festen Bestand von Politikeraussagen am Beginn von Regierungsverhandlungen: Zuerst werde nur über Inhalte einer Koalitionsvereinbarung geredet, und erst ganz am Ende, wenn man alles unter Dach und Fach habe, entscheide man über Ministerien und Personen. In Wirklichkeit geht es von Anfang an natürlich auch um die Besetzung der Posten.
In diesem Jahr ist das schon deshalb so, weil einer der Verhandler, Heinz-Christian Strache, für sich das Innenministerium reklamiert hat und der Bundespräsident dem potenziellen Kanzler angeblich signalisiert hat, er habe dagegen Bedenken. Auch das Außenamt möchte er nicht mit einem Freiheitlichen besetzt sehen.
Sebastian Kurz hat sich bisher in Personalangelegenheiten als einfallsreich erwiesen. Für das Problem Strache und Innenminister böte sich etwa an, die Materien von Polizei, Innerer Sicherheit und Verfassungsschutz in einem von der ÖVP geleiteten Ministerium zu belassen und für Strache eine Art Ministerium für Heimat zu schaffen, in dem die Agenden von Personenstandswesen, Fremdenrecht, Integration, Zivilschutz zusammengefasst werden.
Was Strache versprochen hat
Das wäre ein guter Teil dessen, wofür Strache sich bei seinen Wählern starkgemacht hat. Dagegen könnte Alexander Van der Bellen schwerlich etwas haben. Und Strache könnte zeigen, was ihm zur Begrenzung der Zuwanderung einfällt, oder wie beispielsweise Beamte des (bisherigen) Innenministeriums in einem Maghreb-Staat ein Rückführungsabkommen erfolgreicher verhandeln können als EU-Diplomaten. Das hat er nämlich auch einmal versprochen.
Wie die Ministerien und ihre Kompetenzen aufgestellt werden, liegt im Ermessen der jeweiligen Regierung. Nicht einmal die „klassischen“Materien staatlicher Vollziehung sind streng umrissen. So ist etwa Integration kürzlich mit dem Inhaber der Funktion vom Innen- ins Außenministerium „gewandert“. Wissenschaft wurde zuletzt ins Wirtschaftsministerium verlagert, obwohl als sinnvoll erscheinen würde, die Bildung vom Kindergarten bis zur Universität in einem Ministerium zusammenzu- fassen, woran wieder gedacht wird. Und dann gibt es eine größere Manövriermasse aus Familie, Gesundheit, Frauen, Beamten, für die man nicht jeweils ein Ministerium oder Staatssekretariat braucht. Man darf Kurz die Kreativität zutrauen, dass er für jene Ministerien, die die ÖVP haben möchte, interessante Persönlichkeiten ins Spiel bringt, gegen die die FPÖ niemanden aufzubieten hat. Die neue, in diesem Fall alte ÖVP kann aus einem viel größeren Reservoir schöpfen. Dass Karin Kneissl als potenzielle Außenministerin genannt wird, ist ein Beispiel dafür.
Im jüngsten Zwischenbericht, den VP-Generalsekretär Stefan Steiner verbreitet, kommen nur Themen vor, die die ÖVP für wichtig und vordringlich hält: An dem der EU-Kommission gemeldeten Budgetpfad soll „trotz der nicht gegenfinanzierten Maßnahmen aus den Beschlüssen der letzten Parlamentssitzungen vor der Nationalratswahl“festgehalten werden.
Etikett der „sozial kalten ÖVP“
Die Staatsschulden sollen weiter zurückgeführt werden von einer Quote von 82 Prozent des BIPs „in Richtung 70 Prozent“. Die Steuer- und Abgabenquote soll von 43,2 in Richtung 40 Prozent sinken. Die Steuerquote gibt das Verhältnis zwischen den Einnahmen aus Steuern und Abgaben sowie der Wirtschaftsleistung wieder. Wenn das BIP kräftig wächst, geht die Steuerquote automatisch zurück. Die Einnahmen sind derzeit auf Rekordniveau und sollten zumindest real nicht noch weiter steigen.
Eingestellt werden soll jedenfalls die teure „Aktion 20.000“staatlicher Arbeitsbeschaffung. In Zeiten der Hochkonjunktur sei dergleichen nicht notwendig, sagt ein Verhandler. Die ÖVP macht sich aber Sorgen darüber, dass man ihr wegen solcher Maßnahmen das Etikett „sozialer Kälte“umhängen könnte.
Einig sind sich die Verhandlungspartner darüber, die Anzahl der Sozialversicherungen zu reduzieren. Hier sind die Details völlig offen. Denkbar ist die Zusammenfassung der Krankenversicherer einerseits und Pensionsversicherungsanstalten anderseits. Für die ÖVP ist das heikel, denn sie hat Hunderte Leute in den diversen Funktionärsgremien der Kassen sitzen, die ungern von diesen Pfründen lassen.
Verflixte Pflichtmitgliedschaft
Von der Aufhebung der Pflichtmitgliedschaft in den Kammern ist in dem Zwischenbericht nicht die Rede. Die FPÖ hat sich darauf eingeschworen, für die ÖVP hingegen hat sich Nochminister Harald Mahrer für die Pflichtmitgliedschaft ausgesprochen. Damit spricht er natürlich im Interesse der Wirtschaftskammer, deren Chef er eines Tages werden soll.
Die Abschaffung der verpflichtenden Mitgliedschaft in den Kammern, die vor einigen Jahren unglückseligerweise in der Bundesverfassung verankert wurde, ist aus ebendiesem Grund kaum möglich – selbst wenn die künftigen Koalitionspartner sich darüber einig würden und mit den Neos (die sich nichts sehnlicher wünschen als das) die dafür nötige Zweidrittelmehrheit im Nationalrat fänden. Das könnte die SPÖ im Verein mit den Grünen im Bundesrat verhindern, der über Verfassungsänderungen, die die Länder betreffen, eine Volksabstimmung erzwingen kann.
Möglich ist aber eine substanzielle Reduzierung der Beiträge. „Sowohl die Wirtschaftskammer als auch die Arbeiterkammer schwimmen geradezu in Geld“, formuliert es die Agenda Austria drastisch. Bekanntlich werden die AK-Beiträge je zur Hälfte vom Arbeitgeber und Arbeitnehmer getragen. Warum die Kammern daraus ein enormes Vermögen bilden können, ist unerfindlich.
Heinz-Christian Strache und Alexander Van der Bellen haben sich seinerzeit immer im „Raucherkammerl“des Parlaments getroffen. Die Gewohnheiten zweier Männer wollen wir hier nicht beurteilen, die Aufhebung des generellen Rauchverbots in der Gastronomie ab 1. Mai 2018 wäre aber ein zivilisatorischer Rückschritt. Die ÖVP hüllt sich zu Straches Vorstoß in Schweigen.
Neuland für die FPÖ
Als Neuland für die FPÖ hat ihr Generalsekretär Herbert Kickl die Regierungsgespräche bezeichnet. Über Politik braucht man den Freiheitlichen, gerade Kickl, nichts zu erzählen. Aber vom Staat und seinem verästelten System können sie nicht so viel wissen wie die ÖVP, die seit Jahrzehnten in allen Strukturen tief verankert ist. „Wir beschäftigen sie jedenfalls sehr intensiv“, sagt ein ÖVP-Verhandler.
Wie lange es noch dauern wird, ist nicht abzusehen. Kurz hat ursprünglich versprochen, dass es zu Weihnachten die neue Regierung geben werde. Jetzt ist auch von einem früheren Zeitpunkt die Rede. Ein Datum ist jedenfalls nicht uninteressant: Am 12. Dezember beginnt der Prozess gegen Karl-Heinz Grasser, den die Opposition und ein Teil der Öffentlichkeit wohl zum Fanal für SchwarzBlau inszenieren wird. Das zu konterkarieren ist im Interesse beider potenzieller Regierungspartner.