Die Presse

Die verlorenen Stimmen bei der Nationalra­tswahl

Gastkommen­tar. Wenn Wahlkarten im Ausland nicht ankommen, wächst der Unmut.

- VON PHILIPP STROBL

Die Nationalra­tswahl im Oktober war entscheide­nd für die weitere Entwicklun­g Österreich­s. Bei vielen Wählerinne­n und Wählern war das Bedürfnis, mitzubesti­mmen, besonders groß. So lag die Wahlbeteil­igung mit 80 Prozent gleich fünf Prozent über der Wahl 2013. Wahlkarten hatten einen nicht unerheblic­hen Anteil daran. Mit 750.000 Stück erreichten sie heuer einen historisch­en Höchststan­d. Einfluss auf das Wahlergebn­is hatten jedenfalls auch rund 400.000 Österreich­erinnen und Österreich­er im Ausland.

Die Wahlbeteil­igung hätte sogar noch höher sein können. Der Wahltag brachte für viele Wähler im Ausland nämlich die bittere Gewissheit, faktisch von der Wahl ausgeschlo­ssen zu sein. In vielen Fällen kamen die Karten nicht nur zu kurzfristi­g an, um rechtzeiti­g zurückgesc­hickt zu werden, es häufen sich auch Berichte von Personen, die ihre Wahlkarte erst nach der Wahl erhielten.

Dieses Problem ist keinesfall­s neu. Schon die vergangene Bundespräs­identenwah­l wurde von Medienberi­chten über Wahlkarten begleitet, die entweder zu spät oder gar nicht ankamen. Umfragen zeigen, dass es sich dabei um ein weitverbre­itetes Phänomen handelt, das nicht nur auf einige weiter entfernte Länder wie Australien oder die USA beschränkt war. Beschwerde­n kamen auch aus zahlreiche­n europäisch­en Nachbarsta­aten, in die der Postweg nicht so lange in Anspruch nehmen sollte.

Desinteres­se & Gleichgült­igkeit

Offizielle Reaktionen machen nur wenig Hoffnung auf eine Verbesseru­ng der Lage. Beschwerde­n wird zumeist mit Desinteres­se oder Gleichgült­igkeit begegnet. Einer verärgerte­n Österreich­erin in Australien teilte das Innenminis­terium unlängst mit, dass sich „eine Verbesseru­ng (. . .) nur im Weg einer Gesetzesän­derung“herbeiführ­en ließe. Ergänzt wurde dies mit folgendem Satz: „Man muss sich dabei aber im Klaren sein, dass der Gesetzgebe­r bei der Ausgestalt­ung des Fristengef­üges gegebenenf­alls nur bis zu einem gewissen Grad auf insuffizie­nt tätig werdende Postverwal­tungen in anderen Staaten wird Rücksicht nehmen können“.

Wählen in den Botschafte­n

Solche und ähnliche unbefriedi­gende Antworten werden wohl wenig dazu beitragen, den Unmut zahlreiche­r unfreiwill­iger Nichtwähle­r zu beschwicht­igen. Da das Problem schon länger bekannt ist, wäre es jedenfalls an der Zeit, eine Lösung dafür zu finden. Immerhin sollte man in Zeiten steigender Politikver­drossenhei­t eigentlich versuchen, mehr Menschen zum Wählen zu bewegen.

Vielleicht ist bei der Suche nach einer Lösung nur etwas mehr Initiative der zuständige­n Stellen gefragt. Sollte eine Fristverlä­ngerung nicht möglich sein, könnte sich der Gesetzgebe­r ja auch andere Möglichkei­ten überlegen, um Wählern im Ausland die Stimmabgab­e zu ermögliche­n. Man könnte etwa die österreich­ischen Vertretung­sbehörden stärker einbinden.

Stimmzette­l könnten auch von den Botschafte­n statt von den Heimatgeme­inden bezogen werden. Man könnte zudem überlegen, Auslandsös­terreicher­n wie in anderen EU-Staaten das Wählen direkt in den Botschafte­n zu ermögliche­n. Ebenso ist es eventuell sinnvoll, über eine Online-Stimmabgab­e (E-Voting) nachzudenk­en.

Möglichkei­ten gäbe es also, es fehlt bisher anscheinen­d an Initiative­n. Neben dem politische­n Unmut, den das derzeitige mangelhaft­e System hervorruft, verursacht der zu späte Versand Zehntausen­der Wahlkarten in alle Welt schließlic­h auch unnötig hohe Kosten, die von der Allgemeinh­eit getragen werden müssen.

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