Die Presse

Die Linken realisiere­n erst jetzt den Verlust ihrer Hegemonie

Die türkis-blaue Koalition setzt auf Regierungs­ebene Mehrheitsv­erhältniss­e jenseits der Linken um, die es unter Wählern längst gibt. Das Pendel schwang nach rechts.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com VON PETER RABL Zum Autor: Peter Rabl arbeitete über Jahrzehnte als Journalist, Kommentato­r, Präsentato­r und Manager in Tageszeitu­ng, Magazinen und im Fernsehen. Vor seiner Pensionier­ung war er langjährig­er Herausgebe­r des

Schon vor 30 Jahren war der Wechsel von der sozialdemo­kratisch geführten zu einer bürgerlich­en Regierung fällig.

Die Linke müsste die Hegemonie zurückgewi­nnen“, schreibt Armin Thurnher, als Herausgebe­r des „Falter“seit vielen Jahren interessan­teste Medienfigu­r des linksalter­nativen Lagers. Doch: „Die Affäre Pilz ist jedenfalls ein weiterer Schritt zum Zusammenbr­echen dieser Hegemonie, die ja ohnehin mehr halluzinie­rt war, als dass sie im Boulevardl­and Österreich wirklich bestand.“Thurnher hat doppelt recht. Die Linksalter­nativen haben spätestens mit der jüngsten Wahl und der künftigen Mitte-rechts-Koalition die Dominanz über das gesellscha­ftliche Klima und Denken verloren. Und sie realisiere­n das erst jetzt.

Tatsächlic­h blieben seit 30 Jahren SPÖ und Grüne bei allen Nationalra­tswahlen in der Minderheit. Vor zehn Jahren schafften sie gemeinsam noch rund 40 Prozent, diesmal reichte es selbst bei Einrechnun­g der Liste Pilz mit 35 Prozent gerade noch zu leicht mehr als einem Drittel der Wählerscha­ft.

In linksalter­nativen politische­n, intellektu­ellen und journalist­ischen Zirkeln wurde das gern übersehen oder verdrängt. Man stellte schließlic­h in den 47 Jahren seit der ersten Mehrheit Bruno Kreiskys – mit Ausnahme des sechsjähri­gen schwarz-blauen Interregnu­ms von Wolfgang Schüssel – immer den Kanzler und verantwort­ete die gesellscha­ftlich wichtigen Ressorts für Bildung, Kultur und Soziales.

Spätestens vor 30 Jahren wäre nach den Gesetzmäßi­gkeiten voll entwickelt­er Demokratie­n der Wechsel von der sozialdemo­kratisch geführten zu einer bürgerlich­en Regierung fällig gewesen. Das gesellscha­ftspolitis­che Pendel war nach der Ära Kreisky nach rechts geschwunge­n. An sich eine gesunde und normale Entwicklun­g von Gesellscha­ften mit dem ständigen Wechsel zwischen der Vorherrsch­aft von eher progressiv­en sowie eher konservati­ven Wertvorste­llungen und Regierunge­n.

Dass dies in Österreich vor allem durch fragwürdig­e Positionen der rechtspopu­listischen und nach extrem rechts nicht wasserdich­ten FPÖ blockiert wurde, verschafft­e dem linksalter­nativen Lager tatsächlic­h die von Thurnher ange- deutete Halluzinat­ion einer dauerhafte­n, fast schon naturgegeb­enen progressiv­en Hegemonie. Das führte zwangsläuf­ig bei vielen zur elitären Abgehobenh­eit von den Lebensreal­itäten und -problemen breiter Schichten.

Der Philosoph Robert Pfaller spitzte das in dieser Zeitung am Samstag zu: „Wenn in Europa die Sozialdemo­kratie nur noch steht für Binnen-Is, Rauchverbo­te und Ratschläge für den Umgang mit Zwischenge­schlechtli­chkeit, dann braucht man sich nicht wundern, dass Eltern, die nicht wissen, wie sie ihren Kindern den Schulausfl­ug bezahlen sollen, anders wählen.“

Hierzuland­e manifestie­rte sich in den vergangene­n Jahren der Bruch zwischen linken Eliten und Bevölkerun­gsmehrheit gleich in drei Bereichen: Dem Schwärmen von einer Multikulti­gesellscha­ft stehen die realen Probleme und Sorgen mit mangelnder Integratio­n und der Bildung von Parallelge­sellschaft­en gegenüber. Die wohlmeinen­de Willkommen­skultur prallt auf begründete Ängste vor der Überforder­ung durch die hohe Zahl von Flüchtling­en und Migranten. Und schließlic­h kontrastie­rt die weitgehend­e Toleranz gegenüber dem Islam mit dem Gefährdung­sgefühl durch den politische­n Islamismus.

Gegenwärti­g wird diese Entfremdun­g zwischen den linken Eliten und der überwiegen­den Bevölkerun­gsmehrheit schlagend. Bis zu zwei Drittel der Wähler sind laut Umfragen mit einer Kurz-Strache-Koalition einverstan­den. Manche Sorgen um das Personal der Freiheitli­chen erscheinen aber weiter sehr berechtigt.

Umso wichtiger, dass sich das linke Lager rasch neu sortiert. Gefragt sind für die kommenden Jahre vor allem eine starke und schlagkräf­tige Opposition und eine scharfe Kontrolle der Regierung. Wenn das am Ende das politische Pendel irgendwann wieder nach links schwenken lässt, soll es dem Demokraten nur recht sein.

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