Die Linken realisieren erst jetzt den Verlust ihrer Hegemonie
Die türkis-blaue Koalition setzt auf Regierungsebene Mehrheitsverhältnisse jenseits der Linken um, die es unter Wählern längst gibt. Das Pendel schwang nach rechts.
Schon vor 30 Jahren war der Wechsel von der sozialdemokratisch geführten zu einer bürgerlichen Regierung fällig.
Die Linke müsste die Hegemonie zurückgewinnen“, schreibt Armin Thurnher, als Herausgeber des „Falter“seit vielen Jahren interessanteste Medienfigur des linksalternativen Lagers. Doch: „Die Affäre Pilz ist jedenfalls ein weiterer Schritt zum Zusammenbrechen dieser Hegemonie, die ja ohnehin mehr halluziniert war, als dass sie im Boulevardland Österreich wirklich bestand.“Thurnher hat doppelt recht. Die Linksalternativen haben spätestens mit der jüngsten Wahl und der künftigen Mitte-rechts-Koalition die Dominanz über das gesellschaftliche Klima und Denken verloren. Und sie realisieren das erst jetzt.
Tatsächlich blieben seit 30 Jahren SPÖ und Grüne bei allen Nationalratswahlen in der Minderheit. Vor zehn Jahren schafften sie gemeinsam noch rund 40 Prozent, diesmal reichte es selbst bei Einrechnung der Liste Pilz mit 35 Prozent gerade noch zu leicht mehr als einem Drittel der Wählerschaft.
In linksalternativen politischen, intellektuellen und journalistischen Zirkeln wurde das gern übersehen oder verdrängt. Man stellte schließlich in den 47 Jahren seit der ersten Mehrheit Bruno Kreiskys – mit Ausnahme des sechsjährigen schwarz-blauen Interregnums von Wolfgang Schüssel – immer den Kanzler und verantwortete die gesellschaftlich wichtigen Ressorts für Bildung, Kultur und Soziales.
Spätestens vor 30 Jahren wäre nach den Gesetzmäßigkeiten voll entwickelter Demokratien der Wechsel von der sozialdemokratisch geführten zu einer bürgerlichen Regierung fällig gewesen. Das gesellschaftspolitische Pendel war nach der Ära Kreisky nach rechts geschwungen. An sich eine gesunde und normale Entwicklung von Gesellschaften mit dem ständigen Wechsel zwischen der Vorherrschaft von eher progressiven sowie eher konservativen Wertvorstellungen und Regierungen.
Dass dies in Österreich vor allem durch fragwürdige Positionen der rechtspopulistischen und nach extrem rechts nicht wasserdichten FPÖ blockiert wurde, verschaffte dem linksalternativen Lager tatsächlich die von Thurnher ange- deutete Halluzination einer dauerhaften, fast schon naturgegebenen progressiven Hegemonie. Das führte zwangsläufig bei vielen zur elitären Abgehobenheit von den Lebensrealitäten und -problemen breiter Schichten.
Der Philosoph Robert Pfaller spitzte das in dieser Zeitung am Samstag zu: „Wenn in Europa die Sozialdemokratie nur noch steht für Binnen-Is, Rauchverbote und Ratschläge für den Umgang mit Zwischengeschlechtlichkeit, dann braucht man sich nicht wundern, dass Eltern, die nicht wissen, wie sie ihren Kindern den Schulausflug bezahlen sollen, anders wählen.“
Hierzulande manifestierte sich in den vergangenen Jahren der Bruch zwischen linken Eliten und Bevölkerungsmehrheit gleich in drei Bereichen: Dem Schwärmen von einer Multikultigesellschaft stehen die realen Probleme und Sorgen mit mangelnder Integration und der Bildung von Parallelgesellschaften gegenüber. Die wohlmeinende Willkommenskultur prallt auf begründete Ängste vor der Überforderung durch die hohe Zahl von Flüchtlingen und Migranten. Und schließlich kontrastiert die weitgehende Toleranz gegenüber dem Islam mit dem Gefährdungsgefühl durch den politischen Islamismus.
Gegenwärtig wird diese Entfremdung zwischen den linken Eliten und der überwiegenden Bevölkerungsmehrheit schlagend. Bis zu zwei Drittel der Wähler sind laut Umfragen mit einer Kurz-Strache-Koalition einverstanden. Manche Sorgen um das Personal der Freiheitlichen erscheinen aber weiter sehr berechtigt.
Umso wichtiger, dass sich das linke Lager rasch neu sortiert. Gefragt sind für die kommenden Jahre vor allem eine starke und schlagkräftige Opposition und eine scharfe Kontrolle der Regierung. Wenn das am Ende das politische Pendel irgendwann wieder nach links schwenken lässt, soll es dem Demokraten nur recht sein.