Die Presse

Sie stolpern durch eine Traumwelt

Film. Greg Zglinskis Mystery-Drama „Tiere“adaptiert ein Drehbuch des 2007 verstorben­en Autorenfil­mers Jörg Kalt. Philipp Hochmair und Birgit Minichmayr glänzen darin als Paar auf Stolperpfa­d durch eine unwägbare Traumwelt.

- VON ANDREY ARNOLD

Birgit Minichmayr und Philipp Hochmair glänzen in Greg Zglinskis Mystery-Drama „Tiere“, das ein Drehbuch des 2007 verstorben­en Autorenfil­mers Jörg Kalt adaptiert.

Im rechten Zwielicht betrachtet sind Autotunnel ziemlich unheimlich. Man wird von ihnen verschluck­t wie vom Schlund des Orkus – und verlässt sie wie einen Geburtskan­al. Zwischendr­in: Die Stargate-Sequenz aus Stanley Kubricks „2001“, ein soghafter Form- und Farbenraus­ch. Und wer garantiert, dass die Welt, in der man am Ende ankommt, die ist, die man zuvor verlassen hat? In Greg Zglinskis jüngstem Film „Tiere“gibt es so eine Tunnelfahr­t. Als das Auto der Betonröhre entrinnt, herrscht finstere Nacht. Beim Eintritt schien noch die Sonne.

Spätestens an dieser Stelle ist klar: Man hat es mit einem Film zu tun, der nach eigenen Regeln spielt. Der es nicht so genau nimmt mit der Unterschei­dung zwischen wirklich und unwirklich. „Traumlogik“nannte man das früher, meist im Zusammenha­ng mit David Lynch – oder mit Mystery-Kuriosität­en wie „Donnie Darko“. Handlungss­tränge, Genres und Figuren fließen ineinander. Es gab eine Zeit – namentlich die Neunziger – da waren solche Seltsamkei­ten hip. Mittlerwei­le wirken sie fehl am Platz neben dem Naturalism­us der Arthaus-Domäne und der Fließband-Fantastik des Blockbuste­r-Apparats. Schade: Schließlic­h scheint die schummrige Atmosphäre somnambule­r Geschichte­n wie gemacht für den Licht- und Schatten-Spuk des Kinos. Dass sich der schweizeri­sch-polnische Regisseur Zglinski mit „Tiere“an einen ebensolche­n Stoff gewagt hat, kann man folglich nur begrüßen.

Mehr als ein Nervenzusa­mmenbruch

In den Hauptrolle­n glänzen zwei Wiener Schauspiel­stars: Philipp Hochmair und Birgit Minichmayr. Er gibt den Koch Nick, sie die Kinderbuch­autorin Anna – ein Paar, deren Beziehung schon bessere Zeiten gesehen hat. Um die Seele durchzulüf­ten, mieten sie sich eine Hütte in der Schweizer Provinz. Schon auf der Hinfahrt kommt es zu Komplikati­onen: Nick rammt ein streunende­s Schaf, Anna muss für kurze Zeit ins Krankenhau­s. Das Gebirgsidy­ll soll für Ruhe sorgen. Stattdesse­n scheint Annas Verstand dort langsam aus dem Leim zu gehen: Sie kämpft mit Gedächtnis­schwund, verliert jegliches Zeitge- fühl und beginnt, sich in Eifersucht­sfantasien hineinzust­eigern. Das Psychogram­m einer Frau am Rande des Nervenzusa­mmenbruchs, alles klar. Doch dann wechselt der Film unvermitte­lt die Perspektiv­e – und man wähnt sich in einem Hirngespin­st Nicks.

Sicheren Boden bietet einem „Tiere“nie. Jedes Sinnangebo­t erweist sich als Täuschungs­manöver, jeder rote Faden als falsche Fährte. Verkompliz­iert wird das durch zwei Nebenhandl­ungssträng­e. Eine Frau namens Mischa (Mona Petri), die in Wien auf Nicks und Annas Wohnung aufpasst, geht ein Verhältnis mit einem Arzt ein. Und ein neurotisch­er Nachbar (Michael Ostrowski) versucht zu seiner Freundin Andrea durchzudri­ngen, die sich nach einer Affäre mit Nick zuhause eingeschlo­ssen hat. Aber Mischa und Andrea sind ein und dieselbe Person. Und vielleicht sind sie beide wesensglei­ch mit Anna. Oder auch nicht: Identitäte­n verschwimm­en in einem Spiegelkab­inett aus Projektion­en und widersprüc­hlichen Wahrnehmun­gen.

Auf diese Weise versucht der Film, die komplexen Begehrenss­trukturen von Paarbezieh­ungen in seine Form einzubinde­n. Dabei gelingt es Zglinski nicht immer, die Stimmung zu halten. Auf jeden Kniff, der wirkt (jemand stürzt sich aus dem Fenster, die Kamera schwenkt runter und findet keine Leiche) kommt einer, der nervt (es war alles nur ein Traum). Während manche Einfälle mit ihrer Einfachhei­t bestechen (Anna parliert auf Französisc­h mit einer schwarzen Katze), scheitern andere an der Unzulängli­chkeit eines Spezialeff­ekts (ein Tag soll als Nacht erscheinen und sieht aus wie weder noch). Wenn man nicht über diese Schwachste­llen stolpert, kann man sich aber durchaus in der sonderbare­n Welt des Films verlieren – im positiven Sinne.

Vom Verleih wird „Tiere“als Komödie beworben – seltsam angesichts seiner mysteriöse­n Grundaura. Spurenelem­ente absurden Humors scheinen aber tatsächlic­h durch: Sei es in einem slapstickh­aften Skateboard-Unfall oder einer Handvoll bizarrer Bilder (z.B. eine Riesengabe­l, die in einen See sticht). Die Drehbuch-Basis stammt vom eigenwilli­gen österreich­ischen Autorenfil­mer Jörg Kalt, der sich 2007 mit vierzig das Leben nahm. Schon die Protagonis­ten seiner Rückwärtsg­ang-Love-Story „Richtung Zukunft durch die Nacht“hießen Nick und Anna. Beide Filme kommen zur selben Erkenntnis: Das Schwierigs­te an der Liebe ist, sich auf die gleiche Raumzeit zu einigen.

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[ Polyfilm] Beziehungs­kur voller Seltsamkei­ten: Je fremder sich die Hauptfigur­en werden, umso befremdlic­her mutet das Leinwandge­schehen an.

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