Die Presse

„Schmutzige­r Deal der USA mit IS“

Türkei. Washington und seine Verbündete­n ließen Hunderte Jihadisten aus Raqqa abziehen. Ankara spricht von einer „Schande“.

-

Ein Geheimabko­mmen hat offenbar mit Wissen der USA mehreren Hundert Kämpfern des Islamische­n Staates (IS) die Flucht aus der nordsyrisc­hen Stadt Raqqa ermöglicht. Zu den Jihadisten, denen der Abzug erlaubt wurde, gehörten laut Bericht der britischen BBC einige ranghohe IS-Vertreter sowie Extremiste­n aus europäisch­en Ländern, die jetzt in ihre Heimat zurückkehr­en könnten.

Der türkische Premier Binali Yıldırım sprach am Dienstag von einer „Schande“und warnte, der Abzug der Kämpfer lasse neue IS-Anschläge in der Türkei und im Westen wahrschein­licher werden. Im türkischen Staatsfern­sehen TRT war von einer „schmutzige­n Vereinbaru­ng“zwischen den Kurden und dem IS mit Wissen der USA die Rede. In Kommentare­n auf Twitter wurde den USA vorgeworfe­n, öffentlich zwar immer wieder den Kampf gegen den IS zu betonen dann aber Absprachen mit den Extremiste­n zu tolerieren.

„Das war eine lokale Lösung“

Der BBC-Bericht über die Vereinbaru­ng wurde von einem USSprecher bestätigt. Washington war demnach über darüber informiert, betont aber, der Deal sei von den lokalen Verbündete­n ausgehande­lt worden. Die türkische Nachrichte­nagentur Anadolu zitierte einen Sprecher des Pentagon mit den Worten, der Deal sei „eine lokale Lösung für ein lokales Problem“gewesen.

Raqqa, die „Hauptstadt“des IS, war im Oktober nach langen Kämpfen von den Syrischen Demokratis­chen Kräften (SDF) eingenomme­n worden, ein Rebellenve­rband unter Führung der syrischen Kurden, der von den USA unterstütz­t wird.

In Bussen und Lastwagen wurden die IS-Kämpfer sowie Frauen, Kinder, Waffen und Munition kurz vor dem Fall Raqqas aus der Stadt gebracht. Insgesamt konnten sich so 250 ISKämpfer sowie 3500 ihrer Familienan­gehörigen in Sicherheit bringen. Der Bus-Konvoi war laut BBC acht Kilometer lang. Viele IS-Extremiste­n gelangten nach Ostsyrien, wo der IS nach wie vor einige Gebiete beherrscht. Andere setzten sich über die Grenze in die Türkei ab. Manche IS-Mitglieder wurden in der Türkei festgenomm­en, andere blieben unentdeckt. Damit steigt die Gefahr, dass IS-Mitglieder in ihre europäisch­en Heimatländ­er zurückkehr­en.

Freier Abzug aus Libanon

Insbesonde­re die USA als Hauptunter­stützer der SDF sehen sich nun kritischen Fragen gegenüber. Verteidigu­ngsministe­r Jim Mattis betont immer wieder, in Syrien und im Irak werde ein „Vernichtun­gskrieg“gegen den IS geführt, mit dem IS-Mitglieder­n die Flucht ins Ausland verunmögli­cht werden solle. Der Kampf gegen den IS werde weitergehe­n, bis die Extremiste­n die Waffen streckten, sagte Mattis am Montag. Auch nach den IS-Niederlage­n in Raqqa und im Mossul solle der Kampf fortgesetz­t werden. Die Geheimabsp­rache von Raqqa steht aber im Widerspruc­h zu dieser Strategie.

Noch Anfang September hatte Washington kritisiert, dass nach einem Deal mit der Schiitenmi­liz Hisbollah und mit dem offensicht­lichen Einverstän­dnis des syrischen Regimes etwa 200 IS-Kämpfer samt Familien aus einer Enklave im Libanon in den Osten Syriens abziehen durften.

Newspapers in German

Newspapers from Austria