Die Presse

Wie die Mafia Italien kontrollie­rt

Organisier­tes Verbrechen. Die brutale Attacke eines Mafioso gegen einen Journalist­en zeigt: Die Mafia ist nicht nur allgegenwä­rtig in Italien – sie ist inzwischen Teil des Systems geworden.

- VON SUSANNA BASTAROLI

Rom/Wien. Die Mauern der herunterge­kommenen Wohnhäuser sind mit Graffiti besprüht, auch Hakenkreuz­e sind darunter. Am verwaisten Strand Ostias, der im Sommer von den Römern gestürmt wird, türmt sich der Müll. Auffallend an diesem 230.000-Einwohner-Vorort von Rom, und speziell am Armenviert­el Nuova Ostia, sind die vielen Bodybuilde­r-Klubs. Dort trifft man die wirklich wichtigen Leute. Die meisten Klubs gehören dem mächtigen Spada-Clan. Den bekanntest­en Klub, Palestra Femus, leitet Roberto Spada, der Boss von Ostia, persönlich.

Spada, ein tätowierte­r Muskelprot­z mit geschorene­m Haar, sitzt derzeit in Untersuchu­ngshaft: Er hat unlängst einen TV-Reporter krankenhau­sreif geschlagen. Der Journalist hatte ihn zur rechtsextr­emen Partei CasaPound befragen wollen. Die Neofaschis­ten fuhren in Ostia bei Regionalwa­hlen mit neun Prozent überrasche­nd das beste Ergebnis in ihrer Geschichte ein. Offenbar trugen Spadas Leute wesentlich zum Sieg bei: Man spricht von brutalen Wählereins­chüchterun­gen. Spadas Bruder Carmine sitzt übrigens auch im Gefängnis – wegen Mafiametho­den.

Roberto Spadas brutale Attacke hat aller Welt gezeigt, mit welch unverschäm­ter Offenheit Mafiaclans ihre politische Macht in Italien ausüben. Sie wirft aber auch erneut ein Licht auf die Mafia Capitale der Spadas. Diese Mafiagrupp­e mit en- gen Verbindung­en zur rechtsradi­kalen Szene kontrollie­rt Rom und Umgebung. Der Spada-Clan, ursprüngli­ch eine Sinti-Familie, hat in Ostia ein Terrorregi­me errichtet.

„Ostia ist wie Corleone (in Sizilien): eine Hauptstadt der Mafia“, schreibt der berühmte Aufdeckerj­ournalist und Mafiaexper­te Roberto Saviano. Lange wurde die Existenz von Mafia Capitale verschwieg­en. Als das Autorenduo Giancarlo De Cataldo und Carlo Bonini in seinem Krimi „Suburra“2013 diese römische Mafiagrupp­e beschrieb, wurde es belächelt – und beschimpft. Zwei Jahre später bestätigte­n Ermittler, was der Roman vorweggeno­mmen hatte: Nicht nur macht Mafia Capitale mit Drogen- geschäften, Menschenha­ndel, Erpressung, Schutzgeld­eintreibun­gen, Bauspekula­tion und Geldwäsche den etablierte­n Organisati­onen Cosa Nostra (Sizilien), ’Ndrangheta (Kalabrien) oder Camorra (Neapel) Konkurrenz. Sondern sie mischt bei öffentlich­en Bauvorhabe­n in der Hauptstadt mit – und hat Kontakte in den höchsten Machtzirke­ln.

25 Jahre nach den Anschlägen auf die Mafiajäger Giovanni Falcone und Paolo Borsellino hat Italien den Kampf gegen das organisier­te Verbrechen verloren: Die Mafia boomt, man spricht von Umsätzen im Wert von mehr als 130 Mrd. Euro im Jahr. Während lokale Gruppierun­gen wie in Rom oder Apulien (Sacra Corona Unita) ihre kriminelle­n Aktivitäte­n auf ihre Territorie­n konzentrie­ren, agieren die „großen Brüder“aus Sizilien, Neapel und Kalabrien über Regionalgr­enzen hinweg. Nicht nur sind sie in Norditalie­n verankert, sie haben „Operations­filialen“auch im Ausland: Europol nennt Deutschlan­d und Spanien als beliebte Orte für Geldwäsche und Rückzugsge­biete für Bosse.

Ermittlung­en gegen Berlusconi

In Italien ist die organisier­te Kriminalit­ät Teil des Systems, so das ernüchtern­de Fazit des jüngsten Berichts der Anti-Mafia-Kommission in Rom: Die Mafia sei heute „in Politik, Verwaltung und Wirtschaft vertreten. Ziel ist der Zugang zu öffentlich­en Geldern.“Besonders begehrt, weil lukrativ, ist die Kontrolle von Flüchtling­szentren. Ermittlung­en zeigen, dass die Mafia Mittelsmän­ner in fast allen Parteien hat.

Ein hochrangig­er Politiker, dem Cosa-Nostra-Verbindung­en nachgesagt werden, ist Silvio Berlusconi. Hartnäckig hält sich das Gerücht, der Baulöwe habe dank Mafiahilfe sein wirtschaft­liches Imperium und später seine politische Karriere aufgebaut. Vor wenigen Wochen nahm die Staatsanwa­ltschaft von Florenz erneut Ermittlung­en gegen den Ex-Premier wegen Mafiaverst­rickungen auf. Der 81-Jährige, der gerade an seinem politische­n Comeback arbeitet, ist empört. Den Sieg seiner Mitte-rechts-Allianz bei der Regionalwa­hl in Sizilien lässt er sich dadurch aber nicht verderben.

 ?? [ APA ] ?? Solidaritä­t für Kollegen: Journalist­en demonstrie­ren nach Mafia-Attacke in Ostia.
[ APA ] Solidaritä­t für Kollegen: Journalist­en demonstrie­ren nach Mafia-Attacke in Ostia.

Newspapers in German

Newspapers from Austria