Wie die Mafia Italien kontrolliert
Organisiertes Verbrechen. Die brutale Attacke eines Mafioso gegen einen Journalisten zeigt: Die Mafia ist nicht nur allgegenwärtig in Italien – sie ist inzwischen Teil des Systems geworden.
Rom/Wien. Die Mauern der heruntergekommenen Wohnhäuser sind mit Graffiti besprüht, auch Hakenkreuze sind darunter. Am verwaisten Strand Ostias, der im Sommer von den Römern gestürmt wird, türmt sich der Müll. Auffallend an diesem 230.000-Einwohner-Vorort von Rom, und speziell am Armenviertel Nuova Ostia, sind die vielen Bodybuilder-Klubs. Dort trifft man die wirklich wichtigen Leute. Die meisten Klubs gehören dem mächtigen Spada-Clan. Den bekanntesten Klub, Palestra Femus, leitet Roberto Spada, der Boss von Ostia, persönlich.
Spada, ein tätowierter Muskelprotz mit geschorenem Haar, sitzt derzeit in Untersuchungshaft: Er hat unlängst einen TV-Reporter krankenhausreif geschlagen. Der Journalist hatte ihn zur rechtsextremen Partei CasaPound befragen wollen. Die Neofaschisten fuhren in Ostia bei Regionalwahlen mit neun Prozent überraschend das beste Ergebnis in ihrer Geschichte ein. Offenbar trugen Spadas Leute wesentlich zum Sieg bei: Man spricht von brutalen Wählereinschüchterungen. Spadas Bruder Carmine sitzt übrigens auch im Gefängnis – wegen Mafiamethoden.
Roberto Spadas brutale Attacke hat aller Welt gezeigt, mit welch unverschämter Offenheit Mafiaclans ihre politische Macht in Italien ausüben. Sie wirft aber auch erneut ein Licht auf die Mafia Capitale der Spadas. Diese Mafiagruppe mit en- gen Verbindungen zur rechtsradikalen Szene kontrolliert Rom und Umgebung. Der Spada-Clan, ursprünglich eine Sinti-Familie, hat in Ostia ein Terrorregime errichtet.
„Ostia ist wie Corleone (in Sizilien): eine Hauptstadt der Mafia“, schreibt der berühmte Aufdeckerjournalist und Mafiaexperte Roberto Saviano. Lange wurde die Existenz von Mafia Capitale verschwiegen. Als das Autorenduo Giancarlo De Cataldo und Carlo Bonini in seinem Krimi „Suburra“2013 diese römische Mafiagruppe beschrieb, wurde es belächelt – und beschimpft. Zwei Jahre später bestätigten Ermittler, was der Roman vorweggenommen hatte: Nicht nur macht Mafia Capitale mit Drogen- geschäften, Menschenhandel, Erpressung, Schutzgeldeintreibungen, Bauspekulation und Geldwäsche den etablierten Organisationen Cosa Nostra (Sizilien), ’Ndrangheta (Kalabrien) oder Camorra (Neapel) Konkurrenz. Sondern sie mischt bei öffentlichen Bauvorhaben in der Hauptstadt mit – und hat Kontakte in den höchsten Machtzirkeln.
25 Jahre nach den Anschlägen auf die Mafiajäger Giovanni Falcone und Paolo Borsellino hat Italien den Kampf gegen das organisierte Verbrechen verloren: Die Mafia boomt, man spricht von Umsätzen im Wert von mehr als 130 Mrd. Euro im Jahr. Während lokale Gruppierungen wie in Rom oder Apulien (Sacra Corona Unita) ihre kriminellen Aktivitäten auf ihre Territorien konzentrieren, agieren die „großen Brüder“aus Sizilien, Neapel und Kalabrien über Regionalgrenzen hinweg. Nicht nur sind sie in Norditalien verankert, sie haben „Operationsfilialen“auch im Ausland: Europol nennt Deutschland und Spanien als beliebte Orte für Geldwäsche und Rückzugsgebiete für Bosse.
Ermittlungen gegen Berlusconi
In Italien ist die organisierte Kriminalität Teil des Systems, so das ernüchternde Fazit des jüngsten Berichts der Anti-Mafia-Kommission in Rom: Die Mafia sei heute „in Politik, Verwaltung und Wirtschaft vertreten. Ziel ist der Zugang zu öffentlichen Geldern.“Besonders begehrt, weil lukrativ, ist die Kontrolle von Flüchtlingszentren. Ermittlungen zeigen, dass die Mafia Mittelsmänner in fast allen Parteien hat.
Ein hochrangiger Politiker, dem Cosa-Nostra-Verbindungen nachgesagt werden, ist Silvio Berlusconi. Hartnäckig hält sich das Gerücht, der Baulöwe habe dank Mafiahilfe sein wirtschaftliches Imperium und später seine politische Karriere aufgebaut. Vor wenigen Wochen nahm die Staatsanwaltschaft von Florenz erneut Ermittlungen gegen den Ex-Premier wegen Mafiaverstrickungen auf. Der 81-Jährige, der gerade an seinem politischen Comeback arbeitet, ist empört. Den Sieg seiner Mitte-rechts-Allianz bei der Regionalwahl in Sizilien lässt er sich dadurch aber nicht verderben.