Wie viel „Gift“darf ins Bio-Essen?
Landwirtschaft. Die EU will weniger Pestizide in Biolebensmitteln und die Bauern stärker in die Pflicht nehmen. Die Abstimmung über die Bio-Verordnung wird knapp ausfallen. Österreich bremst.
Die EU will künftig weniger Pestizide in Biolebensmitteln erlauben.
Wien. Biolebensmittel sind gefragt wie nie zuvor. Was als Nische für Ökoidealisten begann, ist heute längst Mainstream. Der Markt für Bioprodukte in Europa hat sich im letzten Jahrzehnt mehr als vervierfacht. In Österreich arbeitet schon jeder fünfte Bauer nach den Regeln der Biolandwirtschaft. Mit wachsendem Erfolg wird die Branche aber auch anfälliger für Betrügereien. Immer öfter werden konventionelle Waren als teure Bioprodukte verkauft. Seit Jahren kämpft die EU darum um eine striktere Bio-Verordnung für die Branche. Nun liegt ein Kompromissvorschlag am Tisch, doch der Streit findet kein Ende. Ob die neuen Regeln am Montag in Brüssel abgesegnet werden, entscheidet auch Österreich.
Großer Knackpunkt ist die Frage, wie viele Pestizide in Biolebensmitteln enthalten sein dürfen. Denn obwohl Biobauern auf giftige Pflanzenschutzmittel verzichten müssen, gibt es immer wieder Rückstände, wenn etwa der Nachbar nebenan sein Feld bei starkem Wind spritzt. Schon heute sind Biobauern verpflichtet, Verunreinigungen möglichst hintanzuhalten. Allerdings wird diese Vorgabe sehr unterschiedlich gehandhabt. Während Staaten wie Belgien oder Griechenland eigene Grenzwerte und Kontrollsysteme für Biowaren aufgebaut haben, gilt in Österreich und Deutschland der Grundsatz: Im Zweifel ist alles in Ordnung. Solange nicht zu hohe Rückstände nachgewiesen werden, darf die Ware als Bio verkauft werden.
Der ursprüngliche Vorstoß der Kommission, strengere Grenzwerte für die ganze EU einzuführen, scheiterte am politischen Widerstand. Das neue Papier sieht vor, dass jedes Land seinen Status quo aufrecht erhalten und seine Bioware ohne Einschränkung als solche exportieren darf. Zugleich soll aber eine gemeinsame Datenbank aufgebaut werden, damit endlich klar wird, wie groß das Problem wirklich ist. Bisher fehlen verlässliche Zahlen darüber komplett.
„Nicht mehr wegschauen“
Obwohl „die größten Giftzähne gezogen“wurden, lehnt der heimische Verband „Bio Austria“den neuen Vorschlag ab. Es sei noch unklar, wie der Aufbau der verlangten Kontrollsysteme aussehen soll, sagt Thomas Fertl von Bio Austria. Brüssel fordert von Biobauern nämlich, ihre Pestizid-spritzenden Nachbarn künftig bei Verdachtsmomenten zu melden. Das bringe ein höheres Risiko bei „marginalem Mehrwert“für den Biobauern. Denn am Ende könnte dem Landwirt die Zertifizierung für seine Ware aberkannt werden – und ihm bleibt nur der Schaden.
Auch die zuständigen Ministerien (Landwirtschafts und Gesundheit) sehen das ähnlich. „Wir sind gegen neue Grenzwerte“, heißt es aus dem Landwirtschaftsministerium. Auch für die Zukunft – sieht der Vorschlag doch vor, dass die Regelung 2025 evaluiert und dann gegebenenfalls nachgeschärft wird. Biobauer Klaus Rapf vermutet aber noch einen anderen Grund für die Zurückhaltung Österreichs: „Die Biobauern dürfen dann nicht mehr wegschauen“– und das bringe das Nebeneinander von konventionellen Landwirten und Biobauern durcheinander. Biobauern müssten Verstöße melden, dadurch öfter Streit mit ihren Nachbarn vom Zaun brechen, Behörden müssten öfter kontrollieren.
Dafür hätten Biobauern dank des Behördenverfahrens viel bessere Karten, ihre Schäden von den konventionellen Nachbarn bezahlt zu bekommen. Als Vorstand der Vereins Arche Noah befürwortet Rapf die neue Verordnung aus einem weiteren Grund: Brüssel erlaubt der Biobranche, erstmals Saatgut zu verwenden, das nicht den industrialisierten Zulassungsprozess durchlaufen hat. Bisher mussten 80 Prozent der Biobauern in der EU konventionelles Saatgut von großen Konzernen wie Monsanto und Co. einsetzen.