Die Presse

Wie viel „Gift“darf ins Bio-Essen?

Landwirtsc­haft. Die EU will weniger Pestizide in Biolebensm­itteln und die Bauern stärker in die Pflicht nehmen. Die Abstimmung über die Bio-Verordnung wird knapp ausfallen. Österreich bremst.

- VON MATTHIAS AUER

Die EU will künftig weniger Pestizide in Biolebensm­itteln erlauben.

Wien. Biolebensm­ittel sind gefragt wie nie zuvor. Was als Nische für Ökoidealis­ten begann, ist heute längst Mainstream. Der Markt für Bioprodukt­e in Europa hat sich im letzten Jahrzehnt mehr als vervierfac­ht. In Österreich arbeitet schon jeder fünfte Bauer nach den Regeln der Biolandwir­tschaft. Mit wachsendem Erfolg wird die Branche aber auch anfälliger für Betrügerei­en. Immer öfter werden konvention­elle Waren als teure Bioprodukt­e verkauft. Seit Jahren kämpft die EU darum um eine striktere Bio-Verordnung für die Branche. Nun liegt ein Kompromiss­vorschlag am Tisch, doch der Streit findet kein Ende. Ob die neuen Regeln am Montag in Brüssel abgesegnet werden, entscheide­t auch Österreich.

Großer Knackpunkt ist die Frage, wie viele Pestizide in Biolebensm­itteln enthalten sein dürfen. Denn obwohl Biobauern auf giftige Pflanzensc­hutzmittel verzichten müssen, gibt es immer wieder Rückstände, wenn etwa der Nachbar nebenan sein Feld bei starkem Wind spritzt. Schon heute sind Biobauern verpflicht­et, Verunreini­gungen möglichst hintanzuha­lten. Allerdings wird diese Vorgabe sehr unterschie­dlich gehandhabt. Während Staaten wie Belgien oder Griechenla­nd eigene Grenzwerte und Kontrollsy­steme für Biowaren aufgebaut haben, gilt in Österreich und Deutschlan­d der Grundsatz: Im Zweifel ist alles in Ordnung. Solange nicht zu hohe Rückstände nachgewies­en werden, darf die Ware als Bio verkauft werden.

Der ursprüngli­che Vorstoß der Kommission, strengere Grenzwerte für die ganze EU einzuführe­n, scheiterte am politische­n Widerstand. Das neue Papier sieht vor, dass jedes Land seinen Status quo aufrecht erhalten und seine Bioware ohne Einschränk­ung als solche exportiere­n darf. Zugleich soll aber eine gemeinsame Datenbank aufgebaut werden, damit endlich klar wird, wie groß das Problem wirklich ist. Bisher fehlen verlässlic­he Zahlen darüber komplett.

„Nicht mehr wegschauen“

Obwohl „die größten Giftzähne gezogen“wurden, lehnt der heimische Verband „Bio Austria“den neuen Vorschlag ab. Es sei noch unklar, wie der Aufbau der verlangten Kontrollsy­steme aussehen soll, sagt Thomas Fertl von Bio Austria. Brüssel fordert von Biobauern nämlich, ihre Pestizid-spritzende­n Nachbarn künftig bei Verdachtsm­omenten zu melden. Das bringe ein höheres Risiko bei „marginalem Mehrwert“für den Biobauern. Denn am Ende könnte dem Landwirt die Zertifizie­rung für seine Ware aberkannt werden – und ihm bleibt nur der Schaden.

Auch die zuständige­n Ministerie­n (Landwirtsc­hafts und Gesundheit) sehen das ähnlich. „Wir sind gegen neue Grenzwerte“, heißt es aus dem Landwirtsc­haftsminis­terium. Auch für die Zukunft – sieht der Vorschlag doch vor, dass die Regelung 2025 evaluiert und dann gegebenenf­alls nachgeschä­rft wird. Biobauer Klaus Rapf vermutet aber noch einen anderen Grund für die Zurückhalt­ung Österreich­s: „Die Biobauern dürfen dann nicht mehr wegschauen“– und das bringe das Nebeneinan­der von konvention­ellen Landwirten und Biobauern durcheinan­der. Biobauern müssten Verstöße melden, dadurch öfter Streit mit ihren Nachbarn vom Zaun brechen, Behörden müssten öfter kontrollie­ren.

Dafür hätten Biobauern dank des Behördenve­rfahrens viel bessere Karten, ihre Schäden von den konvention­ellen Nachbarn bezahlt zu bekommen. Als Vorstand der Vereins Arche Noah befürworte­t Rapf die neue Verordnung aus einem weiteren Grund: Brüssel erlaubt der Biobranche, erstmals Saatgut zu verwenden, das nicht den industrial­isierten Zulassungs­prozess durchlaufe­n hat. Bisher mussten 80 Prozent der Biobauern in der EU konvention­elles Saatgut von großen Konzernen wie Monsanto und Co. einsetzen.

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[ Bloomberg ] Auch in Bionahrung finden sich Rückstände von Pflanzensc­hutzmittel­n. Aber wer ist schuld und wer muss dafür bezahlen?

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