Kontrolliert der Kreml alle Trolle?
Propagandavorwürfe. Russland will die Tätigkeit ausländischer Medien streng reglementieren. Dagegen reißen westliche Klagen gegen Moskau wegen mutmaßlicher Wahlmanipulation nicht ab.
Moskau/Wien. Die russische Staatsduma war sich am Mittwoch einig: Alle anwesenden 414 Abgeordneten stimmten für die Annahme der Vorlage, durch die künftig ausländische Medien in Russland strenger kontrolliert werden können.
Das Gesetz muss vom Föderationsrat bestätigt und von Präsident Wladimir Putin unterzeichnet werden. Es sieht die Klassifizierung von in Russland tätigen Medien als „ausländische Agenten“vor, wenn sie als Rechtssubjekt im Ausland registriert sind oder von ausländischen Quellen finanziert werden. Der Kreml stellte die Maßnahme als „spiegelgleiche“Antwort auf die Entscheidung der US-Behörden dar, das russische Staatsmedium RT im Register für ausländische Agenten zu erfassen.
Der US-Auslandssender Voice of America erhielt der Agentur Interfax zufolge gestern bereits ein einschlägiges Schreiben vom russischen Justizministerium. Dass auch der deutsche staatliche Informationssender Deutsche Welle zum Kreis der potenziell Betroffenen zählt, sorgte in Berlin für „Sorge und Befremden“. Die deutsche Regierung betonte, dass das Gesetz „in eklatanter Weise“den Verpflichtungen widerspreche, die Russland als Mitglied des Europarats eingegangen sei, hieß es.
Laut dem in großer Eile ausgearbeiteten Gesetz müssen als Agenten registrierte Medien vierteljährlich ihre Buchführung offenlegen und alle ihre Publikationen, einschließlich jener im Internet, mit dem Agenten-Label kennzeichnen.
Die Causa wirft abermals die Frage auf nach dem Ausmaß der Beeinflussung der öffentlichen Meinung bis hin zur Einflussnahme auf Wahlen, wie sie durch die Angriffe russischer Hacker und E-Mail-Leaks in den USA laut geworden sind. Fast täglich tauchen neue Vorwürfe auf: In Großbritannien ermittelt die Wahlkommission wegen mutmaßlicher russischer Social-Media-Aktivitäten in der Brexit-Kampagne. Und auch in Spanien sollen russische Trolle beim Unabhängigkeitsreferendum Stimmung gemacht haben. Was ist dran an den Vorwürfen? Und ist immer der Kreml, also Wladimir Putin höchstpersönlich, schuld?
„Negatives Bild vom Westen“
Susanne Spahn, deutsche Politologin und Verfasserin der Studie „Das Ukraine-Bild in Deutschland: Die Rolle der russischen Medien“, hat den Einfluss russischer Staatsmedien in Deutschland vor den Bundestagswahlen untersucht. Sie spricht in diesem Fall von einem „ganz klaren Versuch der Einflussnahme“auf die öffentliche Meinung. Dem deutschen Ableger von RT und der Nachrichtenagentur Sputnik sei es darum gegangen, „ein negatives Bild vom Westen und von Deutschland zu zeichnen“und Kanzlerin Angela Merkel als Marionette der USA zu porträtieren. Auch beim Thema UkraineKrieg habe man den russischen Narrativ – „der Westen als Aggressor und Russland als Opfer“– durchzusetzen versucht, sagt sie gegenüber der „Presse“.
Ist RT noch Medium oder schon ein Propagandainstrument, wie das US-Agentengesetz insinuiert? Spahn sieht RT als Staatsmedium, das eine klare Mission habe und journalistische Standards verletze. „Da werden Fakten verändert, Bilder manipuliert, tendenziös berichtet.“Ob die Fernsehberichte das Wählerverhalten letztendlich beeinflusst haben, wisse man nicht.
Voice of America wurde als erstes Medium über die Einstufung als ausländischer Agent informiert. Der Sender erhielt am Mittwoch ein Schreiben, nur wenige Stunden nach der Annahme der Reform. Formal ist das Gesetz noch nicht in Kraft. Der Föderationsrat muss erst zustimmen. Auch die Unterschrift von Präsident Wladimir Putin fehlt noch. „Das ist eine Frage, die noch untersucht werden muss“, sagt Spahn.
Eine andere Facette ist die Aktivität von Trollen, den viel debattierten Internet-Provokateuren. Fälle wie die St. Petersburger „Trollfabrik“, die von staatlichen Strukturen unter Vertrag genommen wurde, sind durch Medienberichte gut dokumentiert. Zweifel an russischen Aktivitäten hat der am Wiener Institut für die Wissenschaften vom Menschen forschende Politologe Anton Shekhovtsov keine; auf Facebook warnte er kürzlich jedoch auch vor Alarmismus vor „Putins Bots“. Es gebe viele Fälle, in denen es kompliziert bis fast unmöglich sei festzustellen, ob Akteure direkt mit dem russischen Staat verbunden seien oder sich als „Freelancer“verdient machen wollen. Bei RT ist der Sendeauftrag aufgrund staatlicher Geldquellen klar – sonst müsse man „jeden spezifischen Versuch, Wahlprozesse zu beeinflussen, individuell behandeln“, schreibt Shekhovtsov.