Die Presse

Schweigen bis der Anwalt kommt

Kriminalit­ät. Wer festgenomm­en wird, hat das Recht auf einen Anwalt. Die Durchsetzu­ng dieses Rechts stand zuletzt auf wackligen Beinen. Doch neue Spielregel­n bewähren sich.

- VON MANFRED SEEH

Wien. „Sie haben das Recht zu schweigen. Alles, was Sie sagen, kann und wird vor Gericht gegen Sie verwendet werden. Sie haben das Recht auf einen Anwalt. . .“Und so weiter. Man kennt diese Belehrung aus USKrimis. Gültig ist sie dem Grunde nach auch in der österreich­ischen Wirklichke­it. Allerdings hat das Beiziehen eines Anwalts zum ersten Verhör zuletzt nicht besonders gut funktionie­rt. Seit der Gesetzgebe­r die Spielregel­n präzisiert hat, also seit Beginn dieses Jahres, läuft es besser.

Voriges Jahr gab es bundesweit 409 telefonisc­he Kontaktauf­nahmen zwischen Verdächtig­en bzw. Festgenomm­enen und Anwälten, Monatsdurc­hschnitt: 30 Anrufe. Die Anwälte wurden vom „Rechtsanwa­ltlichen Bereitscha­ftsdienst“vermittelt. Hingegen gab es allein von Jänner bis Oktober dieses Jahres schon 1206 Kontaktauf­nahmen (Monatsdurc­hschnitt: 120 Anrufe). „Seit Einrichtun­g des neuen Bereitscha­ftsdienste­s mit 1. Jänner 2017 kam es zu einer Vervierfac­hung der telefonisc­hen Nachfrage“, erklärten am Mittwoch Justizress­ort-Sektionsch­ef Christian Pilnacek und Anwälte-Präsident Rupert Wolff vor Journalist­en. Die meisten Anrufe kamen übrigens aus Wien, Niederöste­rreich und Oberösterr­eich.

Verbesseru­ng der gesetzlich­en Basis

Die Betonung lag auf dem Wörtchen „neu“. Denn ja, ein „anwaltlich­er Journaldie­nst“bzw. ein „Verteidige­rnotruf“, wie man dies früher nannte, wurde bereits 2008 eingeführt. So richtig überzeugen­d funktionie­rte dieser aber nicht. Anfänglich schob die Strafverte­idiger-Vereinigun­g die Schuld auf die Polizei. Und übte harsche Kritik: „Wir haben ein veritables Problem mit dem Verhalten des Polizeiapp­arates“, wetterte der damalige Strafverte­idiger-Sprecher Richard Soyer. Bei der Polizei wies man alle Schuld von sich. Vorwürfe, wonach man bei frisch festgenomm­enen Verdächtig­en im ersten Verhör einen Überrumpel­ungseffekt erzielen wolle, um die Aufklärung voranzutre­iben, wurden zurückgewi­esen.

Es sollte also noch rund ein Jahrzehnt dauern, bis der Gesetzgebe­r nachbesser­te. Wer nun festgenomm­en wird, hat eine Art Garantie, jedenfalls eine präziser als früher formuliert­e gesetzlich­e Absicherun­g, die ihm den Kontakt mit einem „Verteidige­r in Bereitscha­ft“ermöglicht. Und zwar solange, bis ein Gericht über die Verhängung der U-Haft entscheide­t. Dies muss in der Regel binnen 48 Stunden geschehen.

Und ja, die Polizei muss den Verdächtig­en über seine Rechte informiere­n. Der ebenfalls aus Krimis bekannte Satz „Ohne meinen Anwalt sage ich gar nichts“hat seit Geltung des neuen Gesetzes also mehr praktische Bedeutung.

Nummer für den Handyspeic­her

„Es kann uns alle treffen“, unkte AnwältePrä­sident Wolff, da ja auch eine ungerechtf­ertigte Festnahme denkbar sei. Insofern sollte auch jeder die kostenfrei­e Telefonnum­mer der Anwälte-Hotline, 0800 376 386, im Handy-Speicher mit sich herumtrage­n. In ganz Österreich nehmen jeden Tag 18 dafür eingeteilt­e Anwälte die bei der Hotline eingehende­n Anrufe entgegen.

Von dem Service umfasst ist ein erstes kostenfrei­es Telefonat. Der Festgenomm­ene kann also gleich am Wachzimmer verlangen, einen Anwalt anrufen zu dürfen. Dieses erste Telefonat ist kostenlos. Fährt der Anwalt ins Wachzimmer (freilich ist auch das Teil des Angebots), wird ein Stundensat­z von 120 Euro, zuzüglich Umsatzsteu­er, fällig. Kann sich der Verdächtig­e diese Leistungen nicht leisten, kommt das Justizress­ort für die Kosten auf. Dafür hat es ein Jahresbudg­et von 990.000 Euro.

Vor der U-Haft wird es brenzlig

Interessan­t ist: Am häufigsten schreiten die herbeigeru­fenen Anwälte bei den Gerichten ein, nicht, wie man meinen könnte, bei der Polizei – dann nämlich, wenn es darum geht, ob U-Haft verhängt wird. Das ist für viele Beschuldig­te der kritische Punkt, an dem sie offenbar nicht weiter auf Rechtsbeis­tand verzichten wollen.

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