„Jeder hat seine eigene Frachtpolitik“
Mit Bratislava und Wien gibt es zwei recht gute Logistikdrehscheiben in unmittelbarer Nähe zueinander. Vor- und Nachteile haben beide Städte – Kooperationen sind schwierig.
Zwischen Wien und Bratislava gibt es viele Unterschiede, eines aber haben die österreichische und die slowakische Hauptstadt gemeinsam: ihre geografische Nähe. Rund 80 Straßenkilometer liegen zwischen ihren Zentren, keine 60 Kilometer trennen ihre Flughäfen. Das Transportgewerbe könnte gut und gerne für die 1,8 Mio. Einwohner Wiens und die rund 400.000 Menschen in Bratislava einen gemeinsamen Standort aufbauen.
Die grundsätzliche Logistik-Hardware stimmt auf beiden Seiten: Bei der Erreichbarkeit, unabhängig vom Verkehrsträger, gibt es keine Alleinstellungsmerkmale. Vielmehr geht es um Kapazitäten und Kosten. Transporte rund um die Luftfracht liefern hierzu ein umfassendes Beispiel: Weil WienSchwechat nicht mit dem Flughafen in Bratislava zusammenarbeitet, drehen sich die jeweiligen Vor- und Nachteile für die Logistikwirtschaft genau um deren Unterschiede. Für Luftfrachtkunden mit Waren aus Übersee ist es geografisch irrelevant, an welchem der beiden Flughäfen sie ihre Flieger zu Boden bringen. Denn entlang der Lieferkette geht es um Kapazitäten und Kosten – und nicht um 20 Kilometer mehr oder weniger im Vor- oder Nachlauf der Ware.
Der österreichische Hauptstadtflughafen fertigte mit rund 200.000 Tonnen Luftfracht 2016 knapp zehnmal so viel Fracht pro Jahr ab wie insgesamt der Airport in Bratislava. Dort herrscht dennoch gute Stimmung. Denn seit 2008 hat sich das Güteraufkommen verdreifacht, zwischen 2015 und 2016 nahm es sogar um gut neun Prozent zu.
Slowakei ist günstiger
Unbestritten liegen damit die Größenvorteile auf dem Umschlagsgelände in Wien-Schwechat. Ein Grund für das steigende Interesse am Drehpunkt Bratislava könnten aber die günstigeren Arbeitskosten sein, welche durch dienstleistungsintensive Weitertransporte entstehen. Löhne für Bodenpersonal, aber auch Beschäftigte im Vor- und Nachlauf auf Straße und Schiene unterscheiden sich gravierend. Deutlich machen es Zahlen des Europäischen Statistikamtes Eurostat: Während 2016 in Österreich die durchschnittli- chen Arbeitskosten pro Stunde insgesamt bei 32 Euro lagen, waren es im Nachbarland nur zehn Euro (EU-Durchschnitt liegt bei 25 Euro). Der Anstellungsort von Lkw-Lenkern und Zugführern hat daher einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Wirtschaftsbilanz komplexer Lieferketten.
Lohnniveauunterschiede sind auch für grenzüberschreitende Logistikaktivitäten bis nach Wien verlockende Gedanken. An dieser Stelle ist aber Vorsicht geboten, denn eine systematische Kabotage – also ein gezielt inländischer Transport mit im Ausland angestellten Lkw-Lenkern – ist rechtlich ein sensibles Thema. Es bereitet der Branche insbesondere im teureren Österreich Sorgen. Kabotage sei zwar kein Thema, das in einem Land von heute auf morgen alles umkrempelt, sondern vielmehr „auch schleichend kommt“, sagt etwa Sebastian Kummer, Vorstand des Instituts für Transportwirtschaft und Logistik an der Wirtschaftsuniversität Wien. Für 2016 veröffentlichte der Professor eine Zahl, die aufhorchen lässt: Auf rund 50.000 Euro schätzt der Experte in einer Studie in einem mittleren Szenario den „Gesamtschaden eines ausgeflaggten Lkw“für Österreich. Kummer: „Wir gehen davon aus, dass ungefähr 20 Prozent aller Binnenfahrten in Österreich mittlerweile von ausländischen Fahrzeugen durchgeführt werden.“Und: Rund jeder zehnte Lkw, der Kabotage in Österreich durchführt, kommt Kummers Analysen zufolge aus der Slowakei.
So ist die Lage heute. Dass für die Logistikwirtschaft der Region Wien-Bratislava aber viele Rahmenbedingungen nicht in Stein gemeißelt sind, zeigt wieder der direkte Blick auf die beiden Flughäfen. Eine Kooperation könnte Kapazitäten und Kostenstrukturen verändern. Ansätze hierfür gibt es – allerdings mit Widersprüchen, wie die Entwicklung seit zehn Jahren zeigt: „Mein slowakischer Kollege und ich reden von einer sinnvollen Kooperation der beiden Flughäfen“, sagte 2007 der damalige Verkehrsminister und spätere Bundeskanzler Werner Faymann. Viel ist hiervon aber später nicht zu spüren. Aus Bratislava heißt es noch 2015 von der Airport-Sprecherin, Veronika Sevˇcˇ´ıkova:´ „Jeder Flughafen hat seine eigene Frachtpolitik.“Und heute? Ein Sprecher des Wiener Flughafens teilt lapidar mit: „Es gibt derzeit keine Kooperationen mit dem Flughafen in Bratislava.“
Druckmittel für dritte Landebahn
Es verwundert daher nicht, dass auch die Entscheidung rund um eine dritte Landebahn beim österreichischen Hauptstadtflughafen in offene Wettbewerbsbekundungen mündete. Mit dem Slogan „Entweder 30.000 neue Jobs bei uns. Oder in Bratislava“, warb der Standort Wien-Schwechat für die Erweiterung. Das klingt nicht gerade nach einem gemeinsamen Weg für eine gemeinsame Region, sondern nach einem Wettrüsten auf sehr kleinem Raum. Welche Akteure aus der Logistikwirtschaft letztendlich hiervon langfristig profitieren können, bleibt abzuwarten.