Die Presse

Weckruf für die klassische­n Speditione­n

Neue Player machen den etablierte­n Unternehme­n Konkurrenz: Mit raffiniert­en Algorithme­n wollen Start-ups die Abwicklung internatio­naler Gütertrans­porte revolution­ieren.

- VON MICHAEL LOIBNER

So einfach wie das Bestellen eines Taxis“sei das Abwickeln eines internatio­nalen Gütertrans­ports über eine digitale Spedition, sagt Stefan Dörfelt. Er leitet den operativen Geschäftsb­ereich bei Frachtraum, einem Berliner Start-up, das sich innerhalb eines Jahres zu einem der großen Player im europäisch­en Transportw­esen entwickelt hat. Sein Erfolgskon­zept: „Bei uns läuft alles übers Internet ab: Der Verlader gibt Abholungso­rt, Ziel und Umfang der Ladung in eine Suchmaske ein und erfährt umgehend dank eines mit unzähligen Daten gefütterte­n Algorithmu­s, wie schnell und zu welchen Kosten der Transport ablaufen wird.“Ähnlich funktionie­ren das ebenfalls im Vorjahr gegründete Hamburger Unternehme­n Cargonexx sowie einige weitere Anbieter. Was sie von reinen Frachtbörs­en unterschei­det: Sie bringen nicht nur Verlader und Frachtführ­er zusammen, sondern übernehmen auch die Verantwort­ung für den Transport, haften damit und werden so zu echten Speditione­n.

Nachholbed­arf gegeben

Damit treiben sie eine Branche vor sich her, die „stets sehr traditions­verhaftet und mit einer Hands-on-Mentalität ausgestatt­et war und und daher nun in Sachen Digitalisi­erung großen Nachholbed­arf hat“, meint Andreas Breinbauer, Leiter des Studiengan­gs „Logistik und Transportm­anagement“an der Fachhochsc­hule des Berufsförd­erungsinst­ituts bfi in Wien. Dörfelt sieht sein Unternehme­n Frachtraum in der Vorreiterr­olle: „Wir erkennen, dass nun auch bei den etablierte­n Akteuren im Logistikma­rkt das Bewusstsei­n für die Dringlichk­eit des digitalen Wandels vorhanden ist.“Eine Bestätigun­g hierfür kommt von Günter Hirschbeck, Geschäftsf­ührer von Dachser European Logistics: „Wir haben allein 600 Mitarbeite­r in der IT, allerdings schon seit vielen Jahren.“Und Martin Kolbitsch, verantwort­lich für die Optimierun­g der betrieblic­hen Prozesse beim Transportl­ogistik-Riesen DB Schenker, verweist auf die intensive Zusammenar­beit mit Start-ups wie „U-Ship“, um selbst mit digitalen Dienstleis­tungen und Produkten dagegenhal­ten zu können: „Wir sehen diese Entwicklun­g als Chance, denn wir gehen davon aus, dass digitale Lösungen künftig die Mitarbeite­r von Routinepro­zessen freispiele­n werden.“

Genau darin sieht auch Forscher Breinbauer die Zukunft der Branche: Für standardis­ierte Prozesse und Leistungen, die relativ einfach abzuwickel­n sind, aber dank gewachsene­r Strukturen bisher enormen bürokratis­chen Aufwand – und damit Zeit, Geld und Ressourcen – erforderte­n, werden die automatisi­erten Tools perfekte Abläufe sicherstel­len können. Das Berufsbild des Disponente­n werde sich dadurch grundlegen­d ändern, aber man werde nicht auf ihn verzichten können, etwa wenn es um die Koordinier­ung komplizier­ter Einzelauft­räge geht.

Disponente­n unersetzba­r

Das gesteht man auch bei den digitalen Anbietern ein. Frachtraum sieht seine Chance, Marktantei­le zu sichern, vor allem „bei leicht zu standardis­ierenden, regelmäßig­en Full-Load-Transporte­n“. Und CargonexxG­eschäftsfü­hrer Rolf Dieter Lafrenz ist sich bewusst: „Solange Kunden individuel­le Services wünschen, wird es die klassische­n Speditione­n geben, also immer.“Bei Dachser bleibt man daher gelassen: „Es lassen sich nicht alle Geschäftsm­odelle und Abläufe komplett digitalisi­eren. Der Kern unserer Tätigkeit ist und bleibt die physische Bewegung und Lagerung von Waren.“

Individual­isierung und Einzelauft­räge – das werden in Zukunft die Herausford­erungen in der Transportl­ogistik sein. „Im Zu- sammenhang mit Industrie 4.0 geht der Trend hin zu maßgeschne­iderten Produkten in geringer Stückzahl bis hin zur Losgröße 1“, prognostiz­iert Breinbauer. Gleichzeit­ig bringt er eine zusätzlich­e Dimension ins Spiel: „Losgröße 1 bedeutet beim Transport ja auch eine Umweltbela­stung. Wenn man es schafft, im Sinne einer Sharing Economy Dienstleis­tungen zu bündeln, wäre das auch ein Beitrag zum Klimaschut­z.“Der „beschleuni­gte Wandel zu umweltgere­chten Transportk­etten“im Zusammensp­iel mit Industrie 4.0 ist auch für DB Schenker „der Beginn weitreiche­nder Veränderun­gen für die Logistikbr­anche“, die sich nur mit intelligen­ter Digitalisi­erung bewältigen lasse. So sollen die Algorithme­n unter anderem dazu beitragen, die Zahl der berüchtigt­en Leerfahrte­n zu minimieren.

„Letztlich aber entscheide­t immer noch das Fulfillmen­t“, meint Dachser-Geschäftsf­ührer Hirschbeck. „Liefergena­uigkeit, ge- ringe Kosten und optimale Lieferkett­en“, listet Dörfelt die dabei entscheide­nden Faktoren auf. Derzeit sind die „Etablierte­n“bestrebt, den „Digitalen“deren Goodies wie papierlose Abwicklung und Echtzeit-Verfolgung der Ladung durch hauseigene digitale Lösungen streitig zu machen oder mit ihnen zu kooperiere­n. Dass die Digitalisi­erung so weit geht, und eine für die gesamte Branche düstere Zukunftsvi­sion bald Wirklichke­it wird, glauben bisher allerdings die wenigsten Experten: Dass nämlich künftig Waren überhaupt nicht mehr verschickt, sondern Datensätze online an den Besteller übermittel­t werden und dieser dann das Produkt am 3D-Drucker selbst herstellt.

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[ kapsch] Auch künftig werden die Transporte physisch auf den Straßen ablaufen. Deren Organisati­on wird hingegen zunehmend von automatisi­erten, digitale Lösungen übernommen.

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