Weckruf für die klassischen Speditionen
Neue Player machen den etablierten Unternehmen Konkurrenz: Mit raffinierten Algorithmen wollen Start-ups die Abwicklung internationaler Gütertransporte revolutionieren.
So einfach wie das Bestellen eines Taxis“sei das Abwickeln eines internationalen Gütertransports über eine digitale Spedition, sagt Stefan Dörfelt. Er leitet den operativen Geschäftsbereich bei Frachtraum, einem Berliner Start-up, das sich innerhalb eines Jahres zu einem der großen Player im europäischen Transportwesen entwickelt hat. Sein Erfolgskonzept: „Bei uns läuft alles übers Internet ab: Der Verlader gibt Abholungsort, Ziel und Umfang der Ladung in eine Suchmaske ein und erfährt umgehend dank eines mit unzähligen Daten gefütterten Algorithmus, wie schnell und zu welchen Kosten der Transport ablaufen wird.“Ähnlich funktionieren das ebenfalls im Vorjahr gegründete Hamburger Unternehmen Cargonexx sowie einige weitere Anbieter. Was sie von reinen Frachtbörsen unterscheidet: Sie bringen nicht nur Verlader und Frachtführer zusammen, sondern übernehmen auch die Verantwortung für den Transport, haften damit und werden so zu echten Speditionen.
Nachholbedarf gegeben
Damit treiben sie eine Branche vor sich her, die „stets sehr traditionsverhaftet und mit einer Hands-on-Mentalität ausgestattet war und und daher nun in Sachen Digitalisierung großen Nachholbedarf hat“, meint Andreas Breinbauer, Leiter des Studiengangs „Logistik und Transportmanagement“an der Fachhochschule des Berufsförderungsinstituts bfi in Wien. Dörfelt sieht sein Unternehmen Frachtraum in der Vorreiterrolle: „Wir erkennen, dass nun auch bei den etablierten Akteuren im Logistikmarkt das Bewusstsein für die Dringlichkeit des digitalen Wandels vorhanden ist.“Eine Bestätigung hierfür kommt von Günter Hirschbeck, Geschäftsführer von Dachser European Logistics: „Wir haben allein 600 Mitarbeiter in der IT, allerdings schon seit vielen Jahren.“Und Martin Kolbitsch, verantwortlich für die Optimierung der betrieblichen Prozesse beim Transportlogistik-Riesen DB Schenker, verweist auf die intensive Zusammenarbeit mit Start-ups wie „U-Ship“, um selbst mit digitalen Dienstleistungen und Produkten dagegenhalten zu können: „Wir sehen diese Entwicklung als Chance, denn wir gehen davon aus, dass digitale Lösungen künftig die Mitarbeiter von Routineprozessen freispielen werden.“
Genau darin sieht auch Forscher Breinbauer die Zukunft der Branche: Für standardisierte Prozesse und Leistungen, die relativ einfach abzuwickeln sind, aber dank gewachsener Strukturen bisher enormen bürokratischen Aufwand – und damit Zeit, Geld und Ressourcen – erforderten, werden die automatisierten Tools perfekte Abläufe sicherstellen können. Das Berufsbild des Disponenten werde sich dadurch grundlegend ändern, aber man werde nicht auf ihn verzichten können, etwa wenn es um die Koordinierung komplizierter Einzelaufträge geht.
Disponenten unersetzbar
Das gesteht man auch bei den digitalen Anbietern ein. Frachtraum sieht seine Chance, Marktanteile zu sichern, vor allem „bei leicht zu standardisierenden, regelmäßigen Full-Load-Transporten“. Und CargonexxGeschäftsführer Rolf Dieter Lafrenz ist sich bewusst: „Solange Kunden individuelle Services wünschen, wird es die klassischen Speditionen geben, also immer.“Bei Dachser bleibt man daher gelassen: „Es lassen sich nicht alle Geschäftsmodelle und Abläufe komplett digitalisieren. Der Kern unserer Tätigkeit ist und bleibt die physische Bewegung und Lagerung von Waren.“
Individualisierung und Einzelaufträge – das werden in Zukunft die Herausforderungen in der Transportlogistik sein. „Im Zu- sammenhang mit Industrie 4.0 geht der Trend hin zu maßgeschneiderten Produkten in geringer Stückzahl bis hin zur Losgröße 1“, prognostiziert Breinbauer. Gleichzeitig bringt er eine zusätzliche Dimension ins Spiel: „Losgröße 1 bedeutet beim Transport ja auch eine Umweltbelastung. Wenn man es schafft, im Sinne einer Sharing Economy Dienstleistungen zu bündeln, wäre das auch ein Beitrag zum Klimaschutz.“Der „beschleunigte Wandel zu umweltgerechten Transportketten“im Zusammenspiel mit Industrie 4.0 ist auch für DB Schenker „der Beginn weitreichender Veränderungen für die Logistikbranche“, die sich nur mit intelligenter Digitalisierung bewältigen lasse. So sollen die Algorithmen unter anderem dazu beitragen, die Zahl der berüchtigten Leerfahrten zu minimieren.
„Letztlich aber entscheidet immer noch das Fulfillment“, meint Dachser-Geschäftsführer Hirschbeck. „Liefergenauigkeit, ge- ringe Kosten und optimale Lieferketten“, listet Dörfelt die dabei entscheidenden Faktoren auf. Derzeit sind die „Etablierten“bestrebt, den „Digitalen“deren Goodies wie papierlose Abwicklung und Echtzeit-Verfolgung der Ladung durch hauseigene digitale Lösungen streitig zu machen oder mit ihnen zu kooperieren. Dass die Digitalisierung so weit geht, und eine für die gesamte Branche düstere Zukunftsvision bald Wirklichkeit wird, glauben bisher allerdings die wenigsten Experten: Dass nämlich künftig Waren überhaupt nicht mehr verschickt, sondern Datensätze online an den Besteller übermittelt werden und dieser dann das Produkt am 3D-Drucker selbst herstellt.