Ein Infarkt am Nadelöhr
Im Sommer kam es auf der Rheintalstrecke aufgrund einer Trassenbeschädigung fast zum Kollaps des Güterverkehrs. Experten fordern für solche Fälle Krisenpläne und eine transnationale Taskforce.
Bis zu 200 Güterzüge sind täglich auf der Rheintalstrecke von Karlsruhe nach Basel unterwegs. Am 12. August des heurigen Jahres stand für alle das Signal auf Rot. Ein unter den Gleisen im Bau befindlicher Bahntunnel war abgesackt und hatte die Trasse schwer beschädigt. Gut acht Wochen ging auf der Schienen-Hauptachse von der Nordsee durch den Gotthard-Basistunnel bis nach Genua nichts mehr – ein Gau für die Logistikbranche. Nur ein Viertel des Güteraufkommens konnte auf Umfahrungsstrecken auf der Schiene bleiben. Der Rest musste auf die Straße ausgelagert werden. Umsatzeinbußen für die Güterbahnbetreiber und Mehrkosten für den Straßentransport
werden in den Ausbau der europäischen Verkehrs-Infrastruktur investiert. Aber das Netz ist empfindlich: Störungen an Nadelöhren können – wie vor wenigen Wochen bei der Rheintalbahn – massive Auswirkungen auf die Logistikbranche haben und Folgeschäden in Millionenhöhe verursachen. Um die Auswirkungen solcher Ereignisse möglichst klein zu halten, fordern Experten eine Taskforce auf europäischer Ebene, die Umleitungen länderübergreifend organisiert und Notfallpläne ausarbeitet. Auch gibt es Überlegungen, besonders attraktive Umleitungsstrecken an die meistbietenden Transporteure zu versteigern. brachten für die Betroffenen Schäden in Millionenhöhe.
Die schlechte Nachricht: Eine solche Störung kann jederzeit wieder vorkommen und zwar sowohl auf der Schiene als auch auf der Straße. Christoph Walther, Forschungsverantwortlicher der deutschen PTV Group, die Softwarelösungen für Transportlogistik, Verkehrsplanung und Verkehrsmanagement entwickelt, hat sich in mehreren Studien mit der Resilienz von europäischen Verkehrsnetzen gegen Attacken und Störungen beschäftigt. Sein Resümee: „Massive Probleme zum Beispiel durch den Komplettausfall einer wichtigen Brücke sind jederzeit möglich.“
Umstrittene Ausweichrouten
Gerade im alpinen Bereich können solche Störungen sowohl im Straßen- als auch im Bahnnetz schwerwiegende Folgen haben. Ausweichrouten mit ausreichender Kapazität sind nicht so einfach zu finden und oft müssen große Umwege mit entsprechendem Zeitverlust in Kauf genommen werden. „Wir haben in unseren Modellen das Verkehrsaufkommen einer ausgefallenen Hauptstrecke auf andere Alpenquerungen aufgeteilt und gesehen, dass es in den meisten Fällen sehr eng wird.“Die theoretisch raschesten Alternativen drohen überdies zu Stauzonen zu werden, da jeder versucht, genau dort durchzukommen. „Es gibt deshalb Überlegungen, für die kürzesten Verbindun- gen Slots zu verkaufen“, weiß Walther. Fraglich ist allerdings, ob die Versteigerung von Durchfahrtsgenehmigungen an die meistbietenden Transporteure politisch durchsetzbar wäre.
Längerfristige Störungen an einem Nadelöhr des Verkehrsnetzes fürchtet auch Alexander Klacska, Obmann der Bundessparte Transport und Verkehr in der WKO. Er fordert für solche Fälle Krisenpläne und vor allem auch Regelungen der Zuständigkeiten. Klacska erinnert an die schlechten Erfahrungen mit der zweimonatigen Sperre der Altersbergbrücke der (A10) im Jahre 2006. Damals wurden Lkw über 7,5 Tonnen auf- grund von Anrainerprotesten nicht über die unter der A10 liegenden Katschberg-Straße, sondern weiträumig über die Pyhrn-Autobahn oder über den Felbertauern-Tunnel umgeleitet. „Das war weder ökonomisch noch ökologisch sinnvoll.“
Klacska wünscht sich deshalb, dass Umleitungen nicht von lokalen Behörden, sondern auf österreichischer oder noch besser auf europäischer Ebene geregelt werden. „Es werden Milliarden in transeuropäische Netze investiert, da sollte auch auf oberster Ebene Sorge getragen werden, dass bei Störungen möglichst effizient umgeleitet wird und nicht Millionen an Kosten für die Transportwirtschaft anfallen.“Eine solche Taskforce für europäische Korridore findet auch Walther sinnvoll. Allerdings ist er der Meinung, dass dabei eine Kooperation mit lokalen Behörden nötig ist: „Kleinere Ortschaften dürfen nur im Krisenfall für den Durchgangsverkehr geöffnet werden.“
ÖBB geben sich gerüstet
Während es im Straßennetz kaum vorbereitete Konzepte für längerfristige Störungen an wichtigen Verkehrsknoten gibt, versuchen sich ÖBB Infrastruktur und Rail Cargo Austria (RCA) auf solche Ereignisse vorzubereiten. Bei den ÖBB werden Krisenszenarien in regelmäßigen Abständen geübt. Es existieren ein Rufsystem und eine Krisenstabszentrale, die innerhalb von 90 Minuten ihren Betrieb aufnehmen. Umleitungen können bei der Bahn allerdings nur großräumig erfolgen: „Bei Unterbrechung der Semmeringstrecke wird der Güterverkehr zum Beispiel über die Pyhrn-Strecke bis Linz umgeleitet, für den Brenner wird die Tauernstrecke als Umleitung herangezogen“, erläutert Bernhard Rieder von der ÖBB-Pressestelle.
Umleitungen sind im Schienennetz auch nicht ganz einfach. Das Streckenprofil und verfügbare Ressourcen wie Triebfahrzeuge und Personal mit entsprechender Streckenkenntnis setzen Grenzen. Bei längeren Umleitungen, die mehr Zeit brauchen, wird auch das verfügbare Wagenmaterial knapp.