„China ist stärkster Treiber für saubere Energie“
Interview. Wenn wir unsere Energiepolitik nicht radikal ändern, ist der Kampf gegen die Erderwärmung verloren, sagt Fathi Birol, Direktor der IEA. Er setzt große Hoffnungen auf China. Das Land hat den größten Einfluss auf die globale Energiewende.
Die Presse: Der CO2-Ausstoß wird nach jüngsten Prognosen dieses und wohl auch nächstes Jahr um zwei Prozent ansteigen. Haben wir den Kampf gegen die Erderwärmung bereits verloren? Fatih Birol: Wir erwarten, dass die CO2-Emissionen in den nächsten Jahren leicht ansteigen werden, sogar wenn sich die Staaten an das Pariser Abkommen halten. Das heißt, es wird zu einem Temperaturanstieg von drei Grad kommen, was für uns alle katastrophale Auswirkungen hätte. Wenn wir nicht sehr rasch und radikal unsere Energiepolitik ändern, wird es nahezu unmöglich sein, die vereinbarten Klimaziele zu erreichen.
Aber Sie haben die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben? Aus zwei Gründen: Wir haben die Möglichkeit, einerseits erneuerbare Energie viel mehr als bisher zu nutzen und anderseits noch viel effizienter mit Energie umzugehen. Das sind die beiden Säulen unseres Überlebensplans, um den Klimawandel hintanzuhalten. Und der Energiesektor spielt dabei die wichtigste Rolle, denn mehr als zwei Drittel der Emissionen, die für den Klimawandel kausal sind, kommen von dort.
Wie realistisch ist es, das Steuer noch herumreißen zu können? Ermutigend ist zweierlei: Erstens gehen die Kosten von sauberer Energie stark nach unten. Viele Regierungen sagten bisher, sie könnten saubere Energie nicht nutzen, weil sie zu teuer ist. Das ist heute nicht mehr so. Allein die Kosten für Solarenergie haben sich in den vergangen drei Jahren halbiert, und sie werden sich bald wieder halbiert haben. Und zweitens steigt die Nachfrage nach erneuerbarer Energie von großen Volkswirtschaften wie China und Indien aufgrund der hohen Umweltverschmutzung massiv an.
China ist also für das Gelingen der Energiewende maßgeblich. Ja, ist es. Und das Land ist nicht nur die Nummer eins bei Solar- energie und Wasserkraft, sondern auch bei Elektroautos. Von zehn Solarpanelen werden sechs in China produziert. China ist heute der stärkste Treiber für saubere Energie. Und einmal mehr wird das Land auf die globalen Märkte den größten Einfluss haben.
China hat bei erneuerbarer Energie und Elektroautos die Nase vorn. Die USA führen bei der Entwicklung von Energiespeichern. Wo bleibt Europa? Die europäischen Regierungen sollten sehr achtsam sein. Wir können uns doch alle erinnern, wo die Diskussion über erneuerbare Energie begann: hier, in Europa. Die europäischen Staaten waren es, die sehr viele Förderungen in die Erneuerbaren investierten. So sanken die Kosten von Wind- und Sonnenenergie. Und das war der Zeitpunkt, an dem China kam und die Führerschaft in diesen Bereichen übernahm. Dasselbe passierte bei Elektroautos. Europa hat die Entwicklung sehr stark forciert, aber heute ist China auch dort die Nummer eins. Und nicht anders war es bei der Nukleartechnologie, die in der Vergangenheit federführen von Frankreich, Deutschland, Japan und anderen vorangetrieben wurde. Sogar hier hat China alle anderen abgehängt. Deshalb muss Europa aufpassen, vorne zu bleiben, insbesondere wenn es um die Entwicklung von Energiespeichern, die E-Mobilität und andere Innovationen geht.
Um Kohle als Energielieferant künftig zu verdrängen, ist – neben den Erneuerbaren – auch Gas ein Muss , oder? So ist es. Dem Erdgas haben wir es zu verdanken, dass in den vergangenen beiden Jahren der CO2-Ausstoß nicht gestiegen ist. Ausgerechnet die USA waren jenes Land, das den größten Beitrag zum Kampf gegen den Klimawandel geleistet hat. Sie haben Kohle durch Gas ersetzt. Und in kohlebasierten Volkswirtschaften wie China und Indien könnte Kohle ebenfalls durch Gas – und natürlich auch durch Erneuerbare Energien – ersetzt werden. Die beiden wer- den eine immer wichtigere Rolle in der Zukunft spielen.
Für Öl gibt es einen weltweit einheitlichen Preis. Wird es auch bald einen für Gas oder sogar Erneuerbare Energien geben? Für Erneuerbare eher nicht, weil sie von ganz regionalen Bedingungen abhängen. Aber ich bin sicher, dass es schon bald einen globalen Preis für Erdgas geben wird.
Die USA werden in den nächsten Jahrzehnten zum größten Ölund Gaserzeuger werden. Russland könnte in Europa demnach bald Konkurrenz bekommen. Ja, die Dynamik wird sich zweifellos verändern. Russland ist derzeit Europas Gas-Hauptlieferant und wird es noch einige Jahre sein. Aber russisches Gas wird vom amerikanischen herausgefordert werden. Das sind gute Neuigkeiten für Europa! Bisher hatten sie nur einen Supermarkt in ihrer Straße. Künftig wird es mehrere geben – und sie können schauen, welcher besser ist.
(57) ist ein türkischer Wirtschaftswissenschaftler und seit September 2015 Direktor der Internationalen Energieagentur (IEA) der OECD in Paris. Die IEA bringt jährlich im November den weltweit beachteten World Energy Outlook heraus. Derzeit ist Birol auf Einladung des Stromkonzerns Verbund in Wien, um hier den Energiebericht für 2017 zu präsentieren.