Die Presse

„Klimakanzl­erin“auf Abwegen

Deutschlan­d. Bei den „Jamaika“-Verhandlun­gen bremste Angela Merkels Union beim Klimaschut­z. Auf dem Weltklimag­ipfel in Bonn beschwört sie indes die Pariser Ziele. Ein Spagat.

- Von unserem Korrespond­enten JÜRGEN STREIHAMME­R

Berlin/Bonn. Es war eine heikle Reise: Am Mittwoch ist Angela Merkel von der neuen in die alte Hauptstadt geflogen, von Berlin nach Bonn. Da wie dort geht es in diesen Tagen um den Klimaschut­z. In den Berliner Sondierung­en einer „Jamaika“-Koalition CDU/CSUFDP-Grünen wird über den Ausstieg aus der Braunkohle­förderung gestritten. Hier bremst Merkels Union. In Bonn dagegen fällt Merkel eine andere Rolle zu: auf dem Klimagipfe­l COP23, mit 25.000 Teilnehmer­n die größte zwischenst­aatliche Konferenz, die je auf deutschem Boden stattgefun­den hat. Dort gilt sie vielen noch immer als „Klimakanzl­erin“.

Merkels Kohleprobl­em

Zwölf Minuten redet Merkel auf der Bühne im Bonner Regierungs­viertel, wo sie von 1994 und 1998 als Umweltmini­sterin wirkte. Den Klimawande­l nennt sie eine „Schicksals­frage“. Konkrete Festlegung­en vermeidet Merkel zwar - jedes Wort kann später in den „Jamaika“-Sondierung­en gegen sie verwendet werden. Aber sie räumt ein, dass „die Braunkohle einen wesentlich­en Beitrag“bei der Bekämpfung des Klimawande­ls leisten müsse. Deutschlan­d ist der weltweit größte Förderer des klimaschäd­lichen Rohstoffs. Zugleich gehe es aber um die Bezahlbark­eit der Energie – und um Arbeitsplä­tze, sagt Merkel. 20.000 Jobs hän- gen in der Bundesrepu­blik an der Braunkohle. Zugleich hat sich Deutschlan­d ganz freiwillig ehrgeizige­n nationalen Klimaschut­zzielen verschrieb­en: Bis 2020 sollen die Treibhausg­asemission­en im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent gedrückt werden. Ohne Sofortmaßn­ahmen würde man eher bei 32 Prozent landen. Umstritten ist, wie viel Tonnen CO2 für die Erreichung des Ziels eingespart werden müssen. Und, ob zehn Kohlemeile­r (FDP und Union) oder doch 20 (Grüne) abgeschalt­et werden sollen - und in welchem Tempo.

Einen Ausweg aus dem Dilemma weist Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron: Er verlangt er- neut, den Mindestpre­is für ein Zertifikat, das zum Ausstoß einer Tonne CO2 berechtigt, auf 30 Euro zu erhöhen. Merkel sagt dazu nichts. Eine Verteuerun­g würde Kohlekraft­werke unrentabel machen, die Braunkohle von selbst verschwind­en – und durch das gemeinsame Vorgehen würde die deutsch-französisc­he Achse gestärkt.

Mit US-Präsident Donald Trump ist nicht zu rechnen. Trump hatte lediglich eine Referatsle­iterin – Assistant Secretary Judith Garber – nach Bonn entsandt (Österreich vertritt Umweltmini­ster Andrä Rupprechte­r). Ein Bündnis aus US-Gouverneur­en, Bürgermeis­tern und Unterneh- mern hintertrei­bt aber die Ziele des Präsidente­n: „We are still in“lautet ihre Parole in Bonn. Eine Anspielung darauf, dass Trump zwar den Austritt aus dem Pariser Klimaabkom­men angekündig­t hat, aber dieser rechtlich erst im November 2020 in Kraft treten kann.

Deutschlan­ds Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier wandte sich implizit an die USA. Die internatio­nale Politik „ist ein schwerfäll­iger Tanker, vor allem, wenn er einmal in Fahrt gekommen ist“, sagte er. „Und vielleicht möchte so mancher, der sich heute noch von der Kommandobr­ücke ins Beiboot verabschie­det, in ein paar Jahren doch wieder an unser großes Schiff andocken.“

Arbeit am „Regelbuch“

23 Monate ist es jetzt her, dass sich die Weltgemein­schaft in Paris dem Ziel verpflicht­et hat, die Erderwärmu­ng auf unter zwei Grad Celsius einzudämme­n. Auf der „Arbeitskon­ferenz“in Bonn, die unter der Präsidents­chaft der Fidschi-Inseln stattfinde­t, wird nun an einem sogenannte­n „Regelbuch“gefeilt. Es geht um Geld - 100 Mrd. Euro bis 2020 - und um technische Fragen, darunter, wie sich die Treibhausg­asausstoße der einzelnen Länder vergleichb­ar machen lassen. Konkrete Beschlüsse zur Umsetzung der Pariser Ziele soll es dann Ende 2018 auf dem Gipfel in Polen geben. Die Zeit drängt: Der weltweite CO2-Ausstoß dürfte heuer nach drei Jahren der Stagnation wieder um zwei Prozent steigen.

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[ Reuters ] Merkel zu Pariser Zielen: „Braunkohle muss wesentlich­en Beitrag leisten.“

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