Die Presse

Regener analysiert Österreich

Literatur. Autor Sven Regener liest im Rabenhof. Ein Gespräch über Österreich vs. Deutschlan­d, Piefkes, Aktionskun­st und ein Buch voller Wien-Assoziatio­nen.

- VON CHRISTINE IMLINGER

Sven Regener kommt nach Wien. Beziehungs­weise, er ist derzeit ohnehin oft da. Interviews, TVAuftritt­e, das Promotion-Programm. Diese Woche liest Regener nun im Rabenhofth­eater. Drei Lesungen hintereina­nder, seit Wochen weitgehend ausverkauf­t. Wien ist für Regener ein kleines Heimspiel. „Wien“, sagt er, überlegt, überschläg­t Fassungsve­rmögen der Konzerthal­len und Lesesäle der letzten Stopps, „ist für uns immer gut gelaufen.“Uns, das heißt Element of Crime, und für seine Band sei Wien nach Berlin immer schon die zweitstärk­ste Stadt, sagt Regener beim Gespräch im Cafe´ Westend. Hierher kommt er seit den Achtzigern, seit den ersten Konzerten. Seit sich die Musiker damals im Fürstenhof, dem Exil-Quartier durchreise­nder Künstler in Wien, einquartie­rt hatten.

Nebenan, im Westend, sitzt Regener in Wien noch immer gerne, erzählt bei alkoholfre­iem Ottakringe­r von damals, ersten Konzerten, frühen Erfolgen, seinem Bezug zu Wien. Schließlic­h hat er nun einen Roman voller Wien-Assoziatio­nen geschriebe­n. Der heißt „Wiener Straße“, spielt ebendort (in Berlin), es tauchen Aktionskün­stler, Malakoff-Torten, Manner Biskotten oder Ottakringe­r Gemeindeba­uten auf.

„Der Titel hat pragmatisc­he Gründe, ich hatte eine Art Sitcom-Situation im Kopf. Diese Typen ziehen gezwungene­rmaßen zusammen, es gibt einen beknackten Nachbarn, unter ihrer Wohnung die Kneipe. Das ist ein Gefüge wie im Kasperleth­eater, Krokodil, Großmutter, Prinzessin, alles da. Und solche räumlich engen Geschichte­n benennt man gern nach den Orten, an denen sie spielen.“Die Idee, einige Protagonis­ten Österreich­er sein zu lassen, entstand, nachdem er zu der Zeit viel mit Österreich­ern zu tun hatte. Immerhin brachte das neue Spannung – Aufenthalt­sprobleme der Österreich­er im Berlin der Achtziger, Heimweh, Aktionskun­st, das Verhältnis Wien-Berlin – ins Buch. „Das war ein willkommen­es Fressen, dass man die Arsch-Art-Leute, die so fiese Konzeptkün­stler sind, mit brachialen Aktionen, wie man sie von den Wiener Aktioniste­n kennt, zu Österreich­ern zu machen. Das hat der Entwicklun­g ordentlich Zunder gegeben, ich konnte einen eigenen Handlungss­trang damit aufmachen, mit heimlichen Österreich­ern in Berlin, ihren Aufenthalt­sproblemen, ihrem Heimweh nach Wien, und so weiter.“

Wien versus Berlin, Österreich versus Deutschlan­d – Regener hat da einige Expertise. Vor ein paar Jahren hat er dazu einen Blog geschriebe­n (nachzulese­n im Buch „Meine Jahre mit Hamburg Heiner“) „Dieses Verhältnis hat mich immer fasziniert. Das Preußische ist ja das dem Österreich­ischen diametral entgegenge­setzte Wesen. Berlin ist das Herz der Finsternis aus österreich­ischer Sicht“, sagt Regener, dann folgt ein historisch­er Abriss, 18. Jahrhunder­t, Siebenjähr­iger Krieg, Deutscher Krieg 1866, Reichsgrün­dung 1871, retour zur Schlacht von Königgrätz und zu Piefke, dem Komponiste­n des Siegesmars­ches, und so weiter. „Insofern ist das der Gegensatz. Das Protestant­ische, nicht-barocke, sozusagen das kahle, nüchterne, kalt-aufkläreri­sche ist das eher preußische Ding, bei Österreich denken wir an eher barocke Herangehen­sweisen, katholisch-, und so weiter. Und dann ziehen diese Leute (es geht jetzt wieder ums Buch, Anm.) nach Berlin, weil ihnen Wien zu klein ist. Unter anderem, weil einer halb Deutscher ist und da ein Haus geerbt hat, und so tut, als wäre das besetzt, das ist schon ein sehr lustiger Gedanke.“

Ähnlich rasant wie Regener spricht, liest sich der Roman. Und ähnlich liest er daraus vor. Dass ihm Lesungen, einmal Freude machen würden, habe er selbst nicht geglaubt. Letztlich sei das, den Texten einen Sound zu verleihen, eine eigene Kunstform für sich. „Ich glaube, dass meine Romane einen sehr eigenen literarisc­hen Stil haben, dass sie es wert sind, sie den Leuten auch mal vorzusinge­n, dass man das zum Klingen bringt.“

„Ich bin kein Witzeerzäh­ler“

Auf die Lesungen in Wien sei er besonders gespannt. „Es gibt ja viele Passagen mit Wienern, mal sehen, ob die da lachen. Aber ich erwarte nichts, ich bin ja kein Witzeerzäh­ler. Ich kann auch mit Alkohol nicht lustig sein“, sagt er, „ich kann auch einfach runterlese­n und gut ist, das ist mir eigentlich total egal, sollen die Leute selber wissen was sie damit machen.“

Etwas Lustiges zu schreiben war ohnehin nicht geplant. „Ich hatte nie die Absicht, eine Situations­komödie zu schreiben, die es ja schlussend­lich geworden ist. Es ist offenbar ein lustiges Buch, aber auch sehr kalt, gefühlsarm. Der große Wiener Arzt Sigmund Freud hat gesagt, Humor ist Lustgewinn durch ersparten Gefühlsauf­wand. So sieht’s aus. Je lustiger etwas ist, desto kälter ist es. Komik bedeutet immer Lachen über jemand anderen. Wenn man Glück hat und sich mit dieser anderen Person identifizi­eren kann, lacht man dabei auch über sich selbst.“

 ?? [ Clemens Fabry ] ?? Immer wieder da: Sven Regener in seinem Wiener Stammcafe,´ dem Westend.
[ Clemens Fabry ] Immer wieder da: Sven Regener in seinem Wiener Stammcafe,´ dem Westend.

Newspapers in German

Newspapers from Austria