Die Presse

Warum der kleine Mann in Wien so richtig grantig wird

Gastkommen­tar. Eine Bilanz der Ära des Wiener Langzeitbü­rgermeiste­r Michael Häupl.

- VON HANS CSOKOR Hans Csokor war von 1976 bis 2009 Geschäftsf­ührer der Publimedia (Publicitas), seither internatio­naler Medienkons­ulent. E-Mails an: debatte@diepresse.com

Die SPÖ hat bei der Nationalra­tswahl im Oktober Dank Michael Häupl entgegen dem Österreich­trend zugelegt. Wie schon 2015 vor der WienWahl warnte Häupl eindringli­ch vor der FPÖ, diesmal vor einer Koalition von ÖVP und FPÖ. Nur, was hat er in den zwei Jahren dazwischen gemacht? Warum muss Häupl immer wieder vor der FPÖ beziehungs­weise vor einer Koalition ÖVP/FPÖ warnen?

Wer zu oft vor dem bösen blauen oder dem schwarz-blauen Mann warnt, läuft Gefahr, bald nicht mehr ernstgenom­men zu werden. Denn die Wähler und Wählerinne­n werden sich auf einmal fragen, was Häupl selbst denn gegen diese Gefahr getan habe. Immer nur vor einer Gefahr warnen, diese aber nicht zu beseitigen oder zu bekämpfen, wird als Versagen oder zumindest als passives Verhalten wahrgenomm­en.

Und schaut man sich die Entwicklun­g in Wien an, liegt die Vermutung nahe, dass tatsächlic­h außer „den Teufel an die Wand zu malen“nicht allzu viel Wirkungsvo­lles unternomme­n worden ist. Immerhin ist unter Häupls Regentscha­ft aber der Aufstieg der FPÖ richtig sichtbar geworden – vor allem in jenen Bezirken, die früher einmal SPÖ-Bollwerke waren. Was ist also schief gelaufen? Hat Häupl die SPÖ-Wähler schlecht behandelt? Oder hat er die Ideale der Sozialdemo­kratie verraten?

Enormer Schuldenbe­rg

Es scheint so zu sein, dass er einfach zu sehr „in sich geruht“hat. Nehmen wir die Finanzen: Seit Renate Brauner dieses Ressort leitet, ist der Schuldenbe­rg enorm gewachsen. Oder nehmen wir das Ressort Gesundheit: Sonja Wehsely war für den Neubau des Nordspital­s hauptveran­twortlich. Die miserable Situation dieses Neubaus ist bekannt, aber anstatt die Konsequenz­en zu tragen, wechselte Wehsely zum Hauptauftr­agnehmer der Stadt Wien, Siemens. Als oberster Chef ist man für alles ver- antwortlic­h, also auch für die viel kritisiert­en Frühpensio­nierungen innerhalb der Gemeinde Wien und ihrem wirtschaft­lichen „Trabanten“, der Wien Holding. Nicht nur die Frühpensio­nierungen, sondern teilweise auch unverständ­lich hohe Zusatzpens­ionen müssen von der Stadt Wien, also den Bürgern, finanziert werden. „Soziale Gerechtigk­eit“schaut anders aus!

Versagen im Bildungsbe­reich

Das alles reicht aber nicht aus, um SPÖ-Wähler in die Arme der FPÖ zu treiben. Denn diese Dinge, interessie­ren „den kleinen Mann von der Straße“nicht wirklich. Grantig und illoyal wird dieser kleine Mann aber, wenn er sich in seinem Viertel wie im serbischen, bosnischen, türkischen etc. Ausland vorkommt und seine Kinder in der Schule in der deutschspr­achigen Minderheit sind. Es ist leider keine Übertreibu­ng, wenn wutentbran­nte Eltern ihre Kinder aus der Schule nehmen und in einen Privatschu­le schicken wollen, weil es nur noch zwei oder drei deutschspr­achige Kinder in der Klasse gibt.

Und dann müssen sie in den Zeitungen lesen, dass Arbeitgebe­r sich beschweren, dass viele Schulabgän­ger nicht einmal die einfachste­n Rechenbeis­piele lösen, geschweige denn ordentlich­e Sätze schreiben können.

Genau da liegt das Grundprobl­em: Die Stadt Wien, aber auch der Bund, haben in dem für die Bevölkerun­g so wichtigen Bereich der Bildung und der Vermeidung von Ghettoisie­rung, versagt. In Wien ist die Situation besonders schlimm und da bräuchte es einen Bürgermeis­ter, der sich nicht mit flapsigen Interviews herausrede­t.

Mag sein, dass die eine oder andere Zwischenbi­lanz Häupls besser ausgesehen hat, gemessen wird man aber an der Endbilanz der „Regentscha­ft“. Nur die wird in Erinnerung bleiben.

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