Die Neos: So klein und schon so mächtig
Nationalrat. Die Fünf-Prozent-Partei rüstet sich für ihre Zeit als Zünglein an der Waage. Sie kann für Verfassungsmehrheiten sorgen und die Aufgaben der ausgeschiedenen Grünen übernehmen. Und doch muss sie ums Überleben kämpfen.
Wien. Wer sagte, die Vision seiner Partei sei „ein gutes Leben für alle Menschen in Österreich“? A) Leopold Figl am Balkon des Belvedere 1955, B) Bruno Kreisky am Parteitag 1967 in Wiens Stadthalle oder C) Matthias Strolz 2017 im Hotel Wende in Neusiedl am See?
Richtig ist C). Der Chef der Fünf-Prozent-Partei Neos möchte, und das zeigt sich auch in dieser Äußerung, breitere Wählerschichten erreichen. Bei der Klausur des pinken Nationalratsklubs im Burgenland wurden am Mittwoch die Weichen für die Zukunft gestellt. Doch wie geht es den Neos, und welche Rolle kann die Partei in dieser Legislaturperiode einnehmen? Fünf Thesen zur pinken Bewegung.
1 Die jungen Neos sind inzwischen erwachsen geworden.
2013 waren es noch weitgehend unbekannte und vor allem junge Gesichter, die für den Parlamentseinzug der Bürgerbewegung kämpften. Diesmal wurden die Neos im Wahlkampf nicht nur von Lotte Tobisch (91) oder Heinrich Neisser (81) unterstützt. Sondern sie stellen mit Irmgard Griss (71) nun sogar die älteste Parlamentarierin. Aber auch inhaltlich haben die Neos das politische Alltagsgeschäft gelernt, wenn auch teilweise schmerzhaft. So sprang in der vergangenen Legislaturperiode ein Mandatar (Christoph Vavrik) sogar in Richtung ÖVP ab. Und auch bei Landtagswahlen verpasste man vielerorts den erhofften Einzug.
Andererseits gelang es den Neos aber mit ihren Initiativen, die politischen Debatten nachhaltig mitzugestalten. Das pinke Schlagwort „enkelfit“wurde sogar von anderen Parteien übernommen.
2 Die Pinken sind nun mehr grün und weniger schwarz.
Galt die Partei 2013 vor allem als Alternative für enttäuschte ÖVPWähler, so bekommt sie nun starken Zulauf von einstigen GrünWählern. Konservativere konnten mit den Pinken, die etwa für die Legalisierung von Cannabis oder die Öffnung der Ehe für Homosexuelle auftraten, diesmal weniger anfangen. In der eher traditionell eingestellten Wiener Innenstadt verloren die Neos am 15. Oktober sogar ein Drittel ihrer Stimmen. Gleichzeitig hatte die ÖVP mit Sebastian Kurz statt Michael Spindelegger diesmal einen Frontmann, der den von den Neos stets ertönenden Ruf nach Erneuerung ebenfalls verkörpern konnte. Dafür gelang es den Neos, bei den Grünen viele Stimmen abzugrasen. Das sicherte der liberalen Fraktion das Überleben und sogar leichte Zugewinne. Auch im Parlament wollen die Neos einstige grüne Themen wie Nachhaltigkeit und Kontrolle übernehmen.
3 Die Neos mögen klein sein, aber sie sind mächtig wie nie zuvor.
Für große Reformen benötigt eine neue türkis-blaue Koalition eine Verfassungsmehrheit. Und damit die Zustimmung von entweder SPÖ oder Neos. Die Fünf-ProzentPartei ist so gesehen also genauso mächtig wie die 27-Prozent-Fraktion SPÖ. Eine optimale Position für die pinke Parlamentspartei, die sich das Ziel großer Reformen (Bildung, Staatswesen) ohnedies auf die Fahnen geheftet hat. Sie kann damit ein bisschen von außen mitregieren, ohne mit der FPÖ in eine Koalition zu müssen. Denn Letzteres schließen die Neos aus.
4 Die Neos können eine Lücke im Parlament ausfüllen.
Im Kontrast zur SPÖ, die sich im Selbstfindungsprozess finde, „haben wir die Hände frei, um uns auf Inhalte zu konzentrieren“, meinte Strolz am Mittwoch. Man sei „ die Oppositionspartei“. Das ist sehr durch die pinke Brille gesprochen, doch füllen die Neos tatsächlich eine Lücke aus. Sie können sich proeuropäisch zeigen, falls die neue Regierung einen härteren Kurs gegenüber Brüssel einschlägt. Im Vergleich zur SPÖ können sich die Neos konstruktiver zeigen, da sie wirtschaftspolitisch mehr Gemeinsamkeiten mit einer Mitterechts-Regierung finden werden.
5 Die Neos müssen trotzdem weiterhin ums Überleben kämpfen.
Die komfortable Position im Nationalrat darf nicht täuschen. Die Neos haben im Vergleich zu anderen Parteien wenig Strukturen außerhalb Wiens. Ein paar Stimmen weniger, und schon fliegt man nächstes Mal aus dem Nationalrat. Manche Positionen der Neos (etwa das aktive und passive Wahlrecht für Ausländer aus EU-Staaten) sind zudem ein ziemliches Minderheitenprogramm auf dem Wählermarkt.
Die Neos müssen also in die Breite gehen. Und weil das Versprechen auf ein gutes Leben dafür nicht reichen wird, schwor man sich bei der Klausur auch auf die Themen Transparenz, Steuerreform und Kinderbetreuung ein.