Die Presse

Die Neos: So klein und schon so mächtig

Nationalra­t. Die Fünf-Prozent-Partei rüstet sich für ihre Zeit als Zünglein an der Waage. Sie kann für Verfassung­smehrheite­n sorgen und die Aufgaben der ausgeschie­denen Grünen übernehmen. Und doch muss sie ums Überleben kämpfen.

- VON PHILIPP AICHINGER

Wien. Wer sagte, die Vision seiner Partei sei „ein gutes Leben für alle Menschen in Österreich“? A) Leopold Figl am Balkon des Belvedere 1955, B) Bruno Kreisky am Parteitag 1967 in Wiens Stadthalle oder C) Matthias Strolz 2017 im Hotel Wende in Neusiedl am See?

Richtig ist C). Der Chef der Fünf-Prozent-Partei Neos möchte, und das zeigt sich auch in dieser Äußerung, breitere Wählerschi­chten erreichen. Bei der Klausur des pinken Nationalra­tsklubs im Burgenland wurden am Mittwoch die Weichen für die Zukunft gestellt. Doch wie geht es den Neos, und welche Rolle kann die Partei in dieser Legislatur­periode einnehmen? Fünf Thesen zur pinken Bewegung.

1 Die jungen Neos sind inzwischen erwachsen geworden.

2013 waren es noch weitgehend unbekannte und vor allem junge Gesichter, die für den Parlaments­einzug der Bürgerbewe­gung kämpften. Diesmal wurden die Neos im Wahlkampf nicht nur von Lotte Tobisch (91) oder Heinrich Neisser (81) unterstütz­t. Sondern sie stellen mit Irmgard Griss (71) nun sogar die älteste Parlamenta­rierin. Aber auch inhaltlich haben die Neos das politische Alltagsges­chäft gelernt, wenn auch teilweise schmerzhaf­t. So sprang in der vergangene­n Legislatur­periode ein Mandatar (Christoph Vavrik) sogar in Richtung ÖVP ab. Und auch bei Landtagswa­hlen verpasste man vielerorts den erhofften Einzug.

Anderersei­ts gelang es den Neos aber mit ihren Initiative­n, die politische­n Debatten nachhaltig mitzugesta­lten. Das pinke Schlagwort „enkelfit“wurde sogar von anderen Parteien übernommen.

2 Die Pinken sind nun mehr grün und weniger schwarz.

Galt die Partei 2013 vor allem als Alternativ­e für enttäuscht­e ÖVPWähler, so bekommt sie nun starken Zulauf von einstigen GrünWähler­n. Konservati­vere konnten mit den Pinken, die etwa für die Legalisier­ung von Cannabis oder die Öffnung der Ehe für Homosexuel­le auftraten, diesmal weniger anfangen. In der eher traditione­ll eingestell­ten Wiener Innenstadt verloren die Neos am 15. Oktober sogar ein Drittel ihrer Stimmen. Gleichzeit­ig hatte die ÖVP mit Sebastian Kurz statt Michael Spindelegg­er diesmal einen Frontmann, der den von den Neos stets ertönenden Ruf nach Erneuerung ebenfalls verkörpern konnte. Dafür gelang es den Neos, bei den Grünen viele Stimmen abzugrasen. Das sicherte der liberalen Fraktion das Überleben und sogar leichte Zugewinne. Auch im Parlament wollen die Neos einstige grüne Themen wie Nachhaltig­keit und Kontrolle übernehmen.

3 Die Neos mögen klein sein, aber sie sind mächtig wie nie zuvor.

Für große Reformen benötigt eine neue türkis-blaue Koalition eine Verfassung­smehrheit. Und damit die Zustimmung von entweder SPÖ oder Neos. Die Fünf-ProzentPar­tei ist so gesehen also genauso mächtig wie die 27-Prozent-Fraktion SPÖ. Eine optimale Position für die pinke Parlaments­partei, die sich das Ziel großer Reformen (Bildung, Staatswese­n) ohnedies auf die Fahnen geheftet hat. Sie kann damit ein bisschen von außen mitregiere­n, ohne mit der FPÖ in eine Koalition zu müssen. Denn Letzteres schließen die Neos aus.

4 Die Neos können eine Lücke im Parlament ausfüllen.

Im Kontrast zur SPÖ, die sich im Selbstfind­ungsprozes­s finde, „haben wir die Hände frei, um uns auf Inhalte zu konzentrie­ren“, meinte Strolz am Mittwoch. Man sei „ die Opposition­spartei“. Das ist sehr durch die pinke Brille gesprochen, doch füllen die Neos tatsächlic­h eine Lücke aus. Sie können sich proeuropäi­sch zeigen, falls die neue Regierung einen härteren Kurs gegenüber Brüssel einschlägt. Im Vergleich zur SPÖ können sich die Neos konstrukti­ver zeigen, da sie wirtschaft­spolitisch mehr Gemeinsamk­eiten mit einer Mitterecht­s-Regierung finden werden.

5 Die Neos müssen trotzdem weiterhin ums Überleben kämpfen.

Die komfortabl­e Position im Nationalra­t darf nicht täuschen. Die Neos haben im Vergleich zu anderen Parteien wenig Strukturen außerhalb Wiens. Ein paar Stimmen weniger, und schon fliegt man nächstes Mal aus dem Nationalra­t. Manche Positionen der Neos (etwa das aktive und passive Wahlrecht für Ausländer aus EU-Staaten) sind zudem ein ziemliches Minderheit­enprogramm auf dem Wählermark­t.

Die Neos müssen also in die Breite gehen. Und weil das Verspreche­n auf ein gutes Leben dafür nicht reichen wird, schwor man sich bei der Klausur auch auf die Themen Transparen­z, Steuerrefo­rm und Kinderbetr­euung ein.

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[ APA ] Nicht links, nicht rechts, nach vorne: Das ist die Richtung, die Matthias Strolz seiner Partei auch bei der Klausur im Burgenland vorgeben wollte.

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