Ankommen, einleben, selbst finden
Streamingtipps. Im US-Laufbildsektor häufen sich Geschichten über Erfahrungswelten von Migranten und ihren Kindern. Derzeit zu sehen: die schöne Dramödie „The Big Sick“. Fünf Ergänzungen im Film- und Serienformat.
Erfahrungen von Migranten und ihren Kindern im Serienund Filmformat: Fünf Tipps.
„Könnten Sie das bitte nochmal sagen – mit indischem Akzent?“Gelegenheitsschauspieler Dev ist irritiert. Nur weil er indische Wurzeln hat und einen indischen Taxifahrer gibt, soll er zur Karikatur werden? „Ben Kingsley hat Gandhi mit Akzent gespielt und einen Oscar bekommen!“, ermuntert ihn die Casting-Dame. „Ja, aber das war sicher nicht der Oscar für den ,besten indischen Akzent‘“, kontert Dev. Das war’s schon mit dem Vorsprechen – draußen warten dreißig Rollenanwärter, die mit einer kleinen Demütigung kein Problem haben.
Solche Szenen gehören zum Alltag eines ethnisch minoritären Kreativarbeiters in New York, und Stand-up-Comedian Aziz Ansari – Autor, Regisseur und Hauptdarsteller der Netflix-Serie „Master of None“– fängt sie mit unnachahmlichem Humor ein.
Insgesamt deckt die Show ein breites Themenspektrum ab, erzählt von den Wickeln Devs mit den konservativen Eltern (großartig schlecht gespielt von Ansaris Mutter und Vater) sowie den Wehwehchen des urbanen Anfang-dreißig-Daseins. Besonders die Analysen der modernen Dating-Szene und ihrer befremdlichen Eigenheiten zeugen von genauer Beobachtungsgabe. In der zweiten Staffel, die im Mai veröffentlicht wurde, verschlägt es Dev übrigens nach Italien. Francis Ford Coppolas „Pate“-Saga – namentlich Teil I und II – gilt als Männer- und Mafiakino par excellence. Seltener betrachtet man sie unter einem anderen Gesichtspunkt: Besonders der Rückblenden-Handlungsstrang aus „Der Pate – Teil II“erzählt eine mustergültige Migrationsgeschichte. Auf der Flucht vor den Gefahren seiner Heimat Sizilien landet der kleine Vito im Land der unbegrenzten Möglichkeiten und steigt dort, versehentlich mit dem Nachnahmen Corleone versehen, schnell zu einem verehrten und gefürchteten, von Robert De Niro hervorragend gespielten, Unternehmer auf. Dass es sich bei diesem Unternehmen um organisiertes Verbrechen handelt, ist aus dieser Perspektive beinahe Nebensache. Filmstorys über US-Einwanderer zur Zeit der großen Fluchtbewegungen aus Europa fokussieren für gewöhnlich die männliche Seite der Migrationserfahrung. James Grays „The Immigrant“stellt eine erfreuliche – und auch sonst in jeder Hinsicht großartige – Ausnah- me dar. Marion Cotillard spielt die Polin Magda, die 1921 völlig mittellos in New York ankommt. Flugs wird sie von einem moralisch undurchsichtigen, emotional instabilen Betreiber eines Animierbetriebs (Joaquin Phoenix) „gerettet“und in die lokale Halbwelt eingespeist. Hin- und hergerissen zwischen ihm und einem lebensfrohen Magier (Jeremy Renner) muss sich Magda ihren Weg zur Freiheit bahnen. Ein Historiendrama von betörender Schönheit und großer erzählerischer Kraft. „Schon witzig: Da kommt man in eine neue Gegend, und alles sieht genauso aus wie vorher.“Jim Jarmuschs Figuren verstehen unter Heimat weniger einen konkreten Ort als eine Haltung zur Welt, die sich Flüchtigkeit zum Freund gemacht hat. Kaum einer seiner Filme umschreibt dieses Lebensgefühl schöner als „Stranger than Paradise“. Zwei Slacker (gespielt von den Musikern John Lurie und Richard Edson) bekommen Besuch von einer ungarischen Cousine namens Eva (Eszter Balint).´ Zusammen lungern sie in New York herum, fahren nach Cleveland und Florida. Fad ist ihnen überall. Doch das ist nicht weiter schlimm. Solange nur Screamin’ Jay Hawkins singt: „I put a spell on you!“ Wenn sich US-Serien der Lebenswelten ethnischer Minderheiten annehmen, rücken sie das Thema Ethnizität oft in den Mittelpunkt. Sie handeln von Rassismus, Culture Clash oder Mentalitätskonflikten zwischen der ersten und der zweiten Einwanderergeneration. Durchaus löblich; aber in gewisser Hinsicht machen sie ihre Figuren so doch wieder zu Stereotypen.
Langsam ändert sich das. „Jane the Virgin“des Kabelsenders The CW ist ein gutes Beispiel. Im Mittelpunkt steht Jane Gloriana Villanueva (mit entwaffnendem Charme gespielt von der Chicago-Puerto-Ricanerin Gina Rodriguez): eine von ihrer Oma streng katholisch erzogene, aber von ihrer Mutter in weltlichen Dingen des Lebens geschulte Latina, die sich bislang mit Erfolg für Mr. Right aufgehoben hat. Als sie bei einer ärztlichen Routineuntersuchung versehentlich künstlich befruchtet wird, nimmt eine romantisch-komödiantische Achterbahnfahrt ihren Lauf. Die Kulturspezifik des Milieus kommt dabei weniger über die Themenwahl ins Spiel als über die Form: Die Serie persifliert liebevoll die Melodramatik und die abstrusen Erzählkapriolen des Telenovela-Genres, samt altkluger Erzählstimme und ausufernden „Was-bisher-geschah“Zusammenfassungen.