Chancen für EU-Agenturen schwinden
Standort. Am Montag wird in der EU über einen neuen Standort für die Europäische Arzneimittelagentur abgestimmt. Wien hat sich massiv darum beworben; Favoriten sollen derzeit aber Mailand und Bratislava sein.
Am Montag wird in der EU über einen neuen Standort für die Europäische Arzneimittelagentur abgestimmt. Favoriten sind Mailand und Bratislava.
Wien. Nach monatelangem Werben für die Stadt Wien als Sitz wichtiger EU-Agenturen macht sich Ernüchterung breit. „Ich habe realistische Erwartungen, nicht mehr euphorische“, sagt Gerhard Hirczi, der Chef der Wiener Wirtschaftsagentur, bei der die Fäden für die EU-Bewerbungen zusammenlaufen. Die Entscheidung, wohin die Agentur umsiedelt, sei eine politische und keine sachliche Entscheidung. Erst vor wenigen Tagen hat Nochbundeskanzler Christian Kern nach einem EU-Gipfel ähnlich skep- tisch geklungen: „Die Chancen sind zwar intakt, aber nicht gerade überbordend.“
Es geht um die EMA, die Europäische Arzneimittelagentur mit rund 1000 Mitarbeitern, die derzeit ihren Sitz in London hat, aufgrund des Brexits aber von dort absiedeln wird. Am kommenden Montag fällt dazu in Brüssel in geheimer Abstimmung die Entscheidung im EU-Rat der Außenminister. Zwar haben sich bei einer internen EMAUmfrage vor einigen Wochen drei Städte herauskristallisiert, in die die Mitarbeiter gern ziehen würden – und eine davon ist Wien –, die Entscheidung wird aber von den EU-Mit- gliedstaaten politisch getroffen. „Es gibt im Vorfeld der Entscheidung regionale ClusterBildungen von EU-Staaten“, erzählt Hirczi.
Da gibt es etwa die Benelux- und die Nordländer, die eher Amsterdam präferieren. Da gibt es die Süd- und Mittelmeerländer, die – nachdem Barcelona durch die Katalonienkrise kein Thema mehr ist – die italienische Metropole Mailand präferieren. Und da gibt es die Visegrad-´Staaten, die unbedingt eine EU-Agentur in einem osteuropäischen Land sehen wollen. Informierten Kreisen in Brüssel zufolge haben daher derzeit die Städte Mailand und Bratislava die größten Chancen. Die slowakische Hauptstadt hat zwar den Vorteil, dass sie nahe zu Wien liegt und an den österreichischen Flughafen Schwechat angebunden ist. Trotzdem aber haben in der internen EMAUmfrage 70 Prozent der Mitarbeiter angekündigt, im Falle eines Umzugs in die Slowakei kündigen zu wollen.
Laut Berechnungen der Wiener Wirtschaftskammer würde eine Ansiedlung der Agentur rund 133 Mio. Euro an direkter zusätzlicher Wertschöpfung bringen. Die indirekten Auswirkungen wären aber weit größter, da Wien dadurch zu einem Zentrum der Biotech-Industrie werden würde, wo sich viele internationale Firmen ansiedeln.
Wien hat bei der Bewerbung unter anderem Vorteile wie Sicherheit und gute Verkehrsanbindung hervorgehoben. Zuletzt wurden Gebäude an zwei Standorten angeboten: am Austria Campus und an der Erdberger Lände. Wien hat aber den Nachteil, dass es wenig politische Unterstützung anderer EU-Länder hat und auch schon eine EU-Agentur (Agentur für Grundrechte) hier ansässig ist. Bei einer Bewertung der EUKommission im September gab es zwar keine offizielle Reihung, Wien schnitt dabei aber nur durchschnittlich ab.
Wien will auch Bankenaufsicht
Am Montag findet in Brüssel aber noch eine zweite Abstimmung statt, und zwar über die Europäische Bankenaufsicht (EBA), die ebenfalls aus London wegzieht. Während sich für die EMA 19 europäische Städte beworben haben, sind es für die EBA, die deutlich kleiner ist, nur acht. Favorit dafür soll nach Meinung einiger Frankfurt sein, weil da schon ein großes Bankenumfeld ist. Wien hat sich jedenfalls für beide Agenturen beworben.
Das Thema EU-Agenturen kann Wien so kurz vor der Abstimmung nicht mehr wirklich beeinflussen. Laut WirtschaftsagenturChef Hirczi bemüht sich Wien im Moment, in London Stimmung zu machen als Wirtschaftsstandort für Firmen, die nach dem Brexit abziehen wollen. Gemeinsam mit Wirtschaftskammer, Austrian Business Agency und der Botschaft fanden gestern, Freitag, Informationsveranstaltungen in London statt. Heute, Samstag, geht dann in der britischen Hauptstadt der Wien-Ball über die Bühne, zu dem auch Wirtschaftsstadträtin Renate Brauner anreist.