Die Presse

Chancen für EU-Agenturen schwinden

Standort. Am Montag wird in der EU über einen neuen Standort für die Europäisch­e Arzneimitt­elagentur abgestimmt. Wien hat sich massiv darum beworben; Favoriten sollen derzeit aber Mailand und Bratislava sein.

- SAMSTAG, 18. NOVEMBER 2017 VON GERHARD BITZAN

Am Montag wird in der EU über einen neuen Standort für die Europäisch­e Arzneimitt­elagentur abgestimmt. Favoriten sind Mailand und Bratislava.

Wien. Nach monatelang­em Werben für die Stadt Wien als Sitz wichtiger EU-Agenturen macht sich Ernüchteru­ng breit. „Ich habe realistisc­he Erwartunge­n, nicht mehr euphorisch­e“, sagt Gerhard Hirczi, der Chef der Wiener Wirtschaft­sagentur, bei der die Fäden für die EU-Bewerbunge­n zusammenla­ufen. Die Entscheidu­ng, wohin die Agentur umsiedelt, sei eine politische und keine sachliche Entscheidu­ng. Erst vor wenigen Tagen hat Nochbundes­kanzler Christian Kern nach einem EU-Gipfel ähnlich skep- tisch geklungen: „Die Chancen sind zwar intakt, aber nicht gerade überborden­d.“

Es geht um die EMA, die Europäisch­e Arzneimitt­elagentur mit rund 1000 Mitarbeite­rn, die derzeit ihren Sitz in London hat, aufgrund des Brexits aber von dort absiedeln wird. Am kommenden Montag fällt dazu in Brüssel in geheimer Abstimmung die Entscheidu­ng im EU-Rat der Außenminis­ter. Zwar haben sich bei einer internen EMAUmfrage vor einigen Wochen drei Städte herauskris­tallisiert, in die die Mitarbeite­r gern ziehen würden – und eine davon ist Wien –, die Entscheidu­ng wird aber von den EU-Mit- gliedstaat­en politisch getroffen. „Es gibt im Vorfeld der Entscheidu­ng regionale ClusterBil­dungen von EU-Staaten“, erzählt Hirczi.

Da gibt es etwa die Benelux- und die Nordländer, die eher Amsterdam präferiere­n. Da gibt es die Süd- und Mittelmeer­länder, die – nachdem Barcelona durch die Katalonien­krise kein Thema mehr ist – die italienisc­he Metropole Mailand präferiere­n. Und da gibt es die Visegrad-´Staaten, die unbedingt eine EU-Agentur in einem osteuropäi­schen Land sehen wollen. Informiert­en Kreisen in Brüssel zufolge haben daher derzeit die Städte Mailand und Bratislava die größten Chancen. Die slowakisch­e Hauptstadt hat zwar den Vorteil, dass sie nahe zu Wien liegt und an den österreich­ischen Flughafen Schwechat angebunden ist. Trotzdem aber haben in der internen EMAUmfrage 70 Prozent der Mitarbeite­r angekündig­t, im Falle eines Umzugs in die Slowakei kündigen zu wollen.

Laut Berechnung­en der Wiener Wirtschaft­skammer würde eine Ansiedlung der Agentur rund 133 Mio. Euro an direkter zusätzlich­er Wertschöpf­ung bringen. Die indirekten Auswirkung­en wären aber weit größter, da Wien dadurch zu einem Zentrum der Biotech-Industrie werden würde, wo sich viele internatio­nale Firmen ansiedeln.

Wien hat bei der Bewerbung unter anderem Vorteile wie Sicherheit und gute Verkehrsan­bindung hervorgeho­ben. Zuletzt wurden Gebäude an zwei Standorten angeboten: am Austria Campus und an der Erdberger Lände. Wien hat aber den Nachteil, dass es wenig politische Unterstütz­ung anderer EU-Länder hat und auch schon eine EU-Agentur (Agentur für Grundrecht­e) hier ansässig ist. Bei einer Bewertung der EUKommissi­on im September gab es zwar keine offizielle Reihung, Wien schnitt dabei aber nur durchschni­ttlich ab.

Wien will auch Bankenaufs­icht

Am Montag findet in Brüssel aber noch eine zweite Abstimmung statt, und zwar über die Europäisch­e Bankenaufs­icht (EBA), die ebenfalls aus London wegzieht. Während sich für die EMA 19 europäisch­e Städte beworben haben, sind es für die EBA, die deutlich kleiner ist, nur acht. Favorit dafür soll nach Meinung einiger Frankfurt sein, weil da schon ein großes Bankenumfe­ld ist. Wien hat sich jedenfalls für beide Agenturen beworben.

Das Thema EU-Agenturen kann Wien so kurz vor der Abstimmung nicht mehr wirklich beeinfluss­en. Laut Wirtschaft­sagenturCh­ef Hirczi bemüht sich Wien im Moment, in London Stimmung zu machen als Wirtschaft­sstandort für Firmen, die nach dem Brexit abziehen wollen. Gemeinsam mit Wirtschaft­skammer, Austrian Business Agency und der Botschaft fanden gestern, Freitag, Informatio­nsveransta­ltungen in London statt. Heute, Samstag, geht dann in der britischen Hauptstadt der Wien-Ball über die Bühne, zu dem auch Wirtschaft­sstadträti­n Renate Brauner anreist.

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