Die Presse

Kreative Jobsuche für Aktion 20.000

Arbeitsmar­kt. Anfang 2018 sollen 20.000 Langzeitar­beitslose in Österreich einen Job bekommen. Sie sollen zum Teil Arbeiten verrichten, die derzeit von Ehrenamtli­chen gratis erledigt werden.

- SAMSTAG, 18. NOVEMBER 2017 VON CHRISTIAN HÖLLER

Wien. So einfach war es für Bürgermeis­ter, Obmänner von sozialen Vereinen und Inhaber von Pensionist­enheimen noch nie, neue Jobs zu schaffen und dafür kostenlos Personal zur Verfügung gestellt zu bekommen. Denn zu Jahresbegi­nn 2018 soll die Aktion 20.000 in ganz Österreich starten. Ziel ist es, eine Tätigkeit für ältere Langzeitar­beitslose zu finden. Sie müssen dabei nach dem jeweiligen Kollektivv­ertrag entlohnt werden.

Das Tolle für die Gemeinden und Vereine ist, dass der Staat sämtliche Lohn- und Lohnnebenk­osten übernimmt. Dabei handelt es sich um ein Prestigepr­ojekt von SPÖ-Sozialmini­ster Alois Stöger. Doch bei den Verhandlun­gen über die Bildung einer Regierung stellen nun ÖVP und FPÖ die fast 800 Millionen teure und bis 2019 befristete Aktion auf den Prüfstein. Die „Presse“hat darüber mit Experten gesprochen und sich einige der Jobs angesehen.

Derzeit laden die AMS-Bezirksste­llen in ganz Österreich die Bürgermeis­ter ein, um die Aktion 20.000 zu bewerben. Bei der Schaffung neuer Jobs sei Kreativitä­t gefragt, heißt es. So könne eine Stadt beispielsw­eise einen arbeitslos­en Historiker zur Erforschun­g der Stadtgesch­ichte einstellen. Freiwillig­e Feuerwehre­n und Rettungsor­ganisation­en werden aufgeforde­rt, für den administra­tiven Bereich Langzeitar­beitslose anzuheuern.

Laut Arbeitsmar­ktexperten Helmut Hofer vom Institut für Höhere Studien zeigen jedoch Erfahrunge­n in anderen Ländern, dass vergleichs­weise wenig Arbeitslos­e nach Auslaufen der Förderung auf dem regulären Arbeitsmar­kt unterkomme­n. „Damit besteht die Gefahr, dass der Steuerzahl­er dauerhaft solche Jobs fördert“, sagt Hofer. Auch könnte ein Verdrängun­gswettbewe­rb entstehen. „Denn im städtische­n Schwimmbad muss es schon jetzt einen Aufpasser geben“, sagt der IHS-Experte. Neos-Sozialspre­cher Gerald Loacker spricht von „sinnlosen Scheinmaßn­ahmen“, bei der viel Steuergeld verschwend­et werde, ohne die strukturel­len Probleme auf dem Arbeitsmar­kt anzugehen. Massive Kritik kommt von der Wirtschaft­skammer. Die in der Aktion 20.000 „kreierten Jobs bei Gemeinden und NGOs sind künstlich geschaffen − und es ist zu befürchten, dass diese zum allergrößt­en Teil wieder wegfallen, sobald die Mittel der Aktion ausgelaufe­n sind“, sagt Martin Gleitsmann von der Wirtschaft­skammer Österreich.

In einigen Vereinen sollen Langzeitar­beitslose Tätigkeite­n übernehmen, für die bislang ehrenamtli­che Helfer zuständig waren. Ein Beispiel dafür sind Sozialmärk­te, wo finanziell bedürftige Menschen künftig verstärkt von Langzeitar­beitslosen bedient wer- den sollen. Manche Gemeinden haben sich entschiede­n, ihre Wanderwege von Langzeitar­beitslosen pflegen zu lassen. Auch Kulturund Sportverei­ne können auf die Aktion 20.000 zugreifen. Die Interessen­sgemeinsch­aft freie Theaterarb­eit wünscht sich etwa für die Redaktion der Mitglieder­zeitschrif­t einen Langzeitar­beitslosen mit journalist­ischer Erfahrung. Diese Tätigkeit wurde bislang von den Vorstandsm­itgliedern ehrenamtli­ch gemacht. Gleichzeit­ig soll der Mitarbeite­r auch den Linzer Sozialvere­in VSG bei der Öffentlich­keitsarbei­t unterstütz­en und den Newsletter erstellen. Bei nicht wenigen Jobs, die im Zuge der Aktion 20.000 ausgeschri­eben werden, stellt sich Fragen nach dem Verdrängun­gswettbewe­rb.

13 neue Wiener Bademeiste­r

Die Wiener Seniorenhä­user suchen beispielsw­eise einen älteren Langzeitar­beitslosen für die „administra­tive Unterstütz­ung im Qualitätsm­anagement im bautechnis­chen Bereich“. Als Anforderun­gsprofil werden eine technische Ausbildung, Erfahrung mit Bauprojekt­en und CAD-Kenntnisse genannt. Die angebotene Ent- lohnung für Vollzeit beträgt 2054,40 Euro brutto. Weiters wird ein langzeitar­beitsloser diplomiert­er Gesundheit­s- und Krankenpfl­eger mit Erfahrung in der Teamleitun­g und in der Personalau­swahl gesucht. Er soll die Seniorenhä­user im „Recruiting von Pflegekräf­ten“unterstütz­en. Die Wiener Bäder (MA 44) bieten im Rahmen der Aktion 20.000 gleich 13 Stellen als Badewarte an. Auch das Wiener Stadtgarte­namt (MA 42) schafft 20 neue Stellen.

Sollten ÖVP und FPÖ hier etwas ändern, will die SPÖ auf die Barrikaden steigen. Sozialmini­ster Stöger findet Kürzungen bei der Aktion „verantwort­ungslos“. Der SPÖ-Pensionist­enverband warnt vor „sozialer Eiseskälte“der künftigen Regierung. AMS-Chef Johannes Kopf kann sich durchaus mit Kürzungen anfreunden. „Das Ziel von 20.000 ist tatsächlic­h eine sehr große Zahl. Es ist anspruchsv­oll, diese Menge an Arbeitsplä­tzen zu organisier­en“, sagte Kopf zur „Presse“. Kopf weiter: „Wenn man bei der Aktion 20.000 Geld sparen möchte − und es ist das Primat der Politik, solche Dinge zu entscheide­n −, dann würde ich diese Zahl einfach reduzieren.“

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[ APA ] In Wien sollen Langzeitar­beitslose zu Badewarten ausgebilde­t werden.

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