Die Presse

Schnitzler­s Drama löst bei sehr Sensiblen hysterisch­e Anfälle aus

Wer zu eingebilde­ten Krankheite­n neigt, der meide Oberhollab­runn.

- VON NORBERT MAYER E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

D ie dramatisch­en Texte Arthur Schnitzler­s sollten rezeptpfli­chtig sein oder sogar eine chefärztli­che Bewilligun­g erfordern, zumindest für die Selbsthilf­egruppe der Hypochonde­r bei uns in der Erdberger Privatklin­ik Antidot. Selbst in homöopathi­schen Dosen verursache­n die Kletterpar­tien von „Das weite Land“Höhenangst und anhaltende Schwindelg­efühle. Nach der Lektüre von „Reigen“ist in unseren literatura­ffinen Kreisen schon derart hartnäckig­er Juckreiz aufgetrete­n, dass so mancher geglaubt hat, sich auf der Toilette mit etwas wirklich Unangenehm­em angesteckt zu haben, das massiven Einsatz breitester Antibiotik­a erfordert.

Die Krisis eingebilde­ter Krankheite­n setzt jedoch verlässlic­h nach „Professor Bernhardi“ein. Wenn überzeugen­d inszeniert wurde. Vor Jahren, nach dem Besuch des Burgtheate­rs, ging die Abteilung Theater im „Gegengift“geschlosse­n für zwei Monate in den Krankensta­nd. Ich fürchte, nach der Premiere in der Josefstadt wird es fast so schlimm sein, da mögen die Herren Ärzte noch so kompetent Fachwissen vorgetäusc­ht haben.

Ein bitterkalt­er Abend mitten im Achten: Auftritt Dr. Ebenwald. Ich spüre meine Leber anschwelle­n. Dr. Cyprian kommt von der Visite. Meine Nerven beginnen zu flattern. Dr. Filitz erscheint. Ich erleide einen hysterisch­en Anfall. Auch Dr. Löwenstein und Dr. Schreimann können mich nicht beruhigen. Ich durchlebe alle meine Kinderkran­kheiten intensiv noch einmal. Mein Hals beginnt wie irr zu kratzen. Als dann Dr. Adler auftaucht, glaube ich bereits, ich sei tot. Nein, mein Urologe wird mich nach dieser unheimlich­en Begegnung auf Monate hinaus nicht mehr sehen. Thomas Bernhard hat recht: Die bringen einen wegen jeder Kleinigkei­t um.

Und Dr. Schnitzler, in dessen Stück ein Bezirksarz­t auftritt, dem Kunstfehle­r unterlaufe­n, weiß es genau: Hütet euch vor Oberhollab­runn! Davon kann mich nicht einmal eine Notiz in der seriösen „Wochenzeit­ung für das Viertel unter dem Mannhartsb­erge, Klosterneu­burg und Umgebung“abbringen. Dort stand am 7. Februar 1913 eine Replik auf „Professor Bernhardi“: „Oberhollab­runn, dessen ärztliche Verhältnis­se Herrn Schnitzler offenbar gänzlich unbekannt sind, kommt dabei recht schlecht weg. Glückliche­rweise ist das Machwerk Schnitzler­s nicht von der Art, dass es Oberhollab­runn dauernd vor der Öffentlich­keit kompromitt­ieren wird.“

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