Frostgefahr bei Professor Bernhardi
Theater in der Josefstadt. Janusz Kica hat Arthur Schnitzlers Komödie kühl und dennoch intensiv inszeniert. Es stand ihm ein großes Ensemble zur Verfügung, das viel Charakter zeigt.
Extreme Kälte strahlt das Bühnenbild für das Drama „Professor Bernhardi“aus, das diesen Donnerstag am Theater in der Josefstadt unter der Regie von Janusz Kica Premiere hatte. Vielleicht wird auch deshalb in den mehr als drei Stunden so häufig mit Mänteln hantiert. Die bis auf eine fromme Krankenschwester männliche Belegschaft der Privatklinik Elisabethinum betritt Räume, die Karin Fritz spärlich wie fürs Bauhaus ausgestattet hat, oft weiß man nicht, wo abzulegen ist. Selbst das Hinsetzen und Aufstehen scheint in dieser äußerst gelungenen, wenn auch episch zu breiten Inszenierung ein Rangordnungskampf zu sein. Es passt genau zu diesem bösen Spiel, das Arthur Schnitzler als Komödie bezeichnet.
Zu Recht: Ohne Ironie wäre dieser Fünfakter, der die Intrigen, den manifesten Antisemitismus und das selbstbewusste Ärztewesen in Wien um 1900 wie mit einem Seziermesser bloßlegt, kaum zu ertragen. Die Uraufführung fand 1912 nicht in Wien, sondern am Kleinen Theater in Berlin statt. Deutschnationale und Christlichsoziale in Wien hetzten erfolgreich gegen dieses Meisterdrama – bis zum Ende der Habsburgermonarchie war es in Österreich verboten. So viel Systemkritik durfte einfach nicht sein.
Euphorie vor dem sicheren Tod
Schnitzlers Medizin gegen allerlei Bösartigkeiten, die er raffiniert in Lokalkolorit verpackt, wirkt noch immer. Worum geht es im „Skandal Bernhardi“? Der Titelheld, Direktor der Klinik, behandelt eine junge Patientin, die abgetrieben hat und wegen einer Blutvergiftung im Sterben liegt. In ihrer letzten Stunde wirkt sie euphorisch, wartet sogar darauf, dass der Liebhaber, der sie verlassen hat, zu ihr zurückkommt. Bernhardi (Direktor Herbert Föttinger) will ihr die Illusion nicht nehmen und die Todesangst er- sparen, er verhindert, dass sie von Pfarrer Franz Reder (Matthias Franz Stein) besucht wird, der ihr das Sterbesakrament erteilen soll. Die Befürchtungen des Arztes bewahrheiten sich. Die Patientin stirbt im Schock, als die Schwester ihr mitteilt, dass der Geistliche für die letzte Ölung gekommen sei.
Dem jüdischen Klinikleiter aber wird seine Handlung als Religionsstörung ausgelegt. Willig tragen deutschnationale, christlichsoziale, aber auch jüdische Kollegen, die diesen Fall für ihre Karriere nutzen wollen, dazu bei, dass Bernhardi abmontiert wird. Förderer wenden sich ab, die Politik mischt sich ein, Falschaussagen werden gemacht, sodass aus der Vorverurteilung schließlich ein Urteil wird: zwei Monate Haft für den Arzt, der schon zuvor nach unerträglichem Mobbing seine Direktorenstelle gekündigt hat. Selbst seine Rehabilitierung wird am Ende zu einer abgründigen Wiener Farce.
Die Stunde der Wendehälse
Der komplexe Text spielt gekonnt mit Emotionen, er entwickelt starke Sogwirkung. Sie vermittelt auch das tolle Ensemble dieser intensiven Inszenierung. Es ist fantastisch, wie Florian Teichtmeister als Antagonist des Titelhelden skrupellos die Fäden zieht. Gegenüber diesem Dr. Ebenwald, der vom Vizedirektor zum interimistischen Leiter aufsteigt, kann man Hassgefühle entwickeln. Die Verbündeten Bernhardis zeigen sie in emotionalen Szenen beinahe unverhüllt. Genauso schön aber ist die breite Grauzone der Angepassten, Wendehälse und künftigen Nutznießer anzusehen. Lauter kleine Charakterstudien. Wenn ein Blickwechsel die Karriere befördern kann – hier wird’s Ereignis. Allein die stets wechselnden Gruppierungen verraten so viel. Sogar Verharren kann ein Überlaufen bedeuten. Da packt ein eben von Bernhardi gegen große Widerstände beförderter Arzt umständlich die Tasche, tut so, also ob er sich den Verteidigern des Chefs anschließen, die Sitzung verlassen wolle – und bleibt bei den Gegnern sitzen. Da weiß man wieder, warum Schnitzler es Komödie nennt.
Inmitten dieser Machtkämpfe ist Föttinger ein leidender, stets nur kurz aufbrausender Protagonist. Er setzt als prägendes Mittel vor allem auch Pathos ein, während Ironie und Sarkasmus sehr sparsam dosiert sind. Die Konfrontationen mit dem Pfarrer erhalten deshalb fast heiligen Ernst.
In Hochform kommt Föttinger bei seinen Konfrontationen mit der Politik. Auftritt Flint, ein Jugendfreund und spätererer Gegner Bernhardis, der zum Minister avancierte. Bernhard Schir spielt diese schillernde Figur mit so viel Lust an der Übertreibung, dass er schockierend zeitgemäß und zeitlos gültig scheint. Diese Begegnungen sind Höhepunkte, so wie auch jene von Bernhardi mit dem abenteuerlich gewitzten Hofrat Dr. Winkler. Martin Zauner spielt ein Viech von einem Beamten. Jetzt weiß man genau: Kakanien hat uns wieder.
Das Ensemble und alle Mitarbeiter haben diese Premiere Ulrike Zemme gewidmet. Die langjährige Chefdramaturgin der Josefstadt ist am Dienstag während der Endproben zu „Professor Bernhardi“gestorben.