Die Presse

„Der Standort am Heldenplat­z ist brillant“

Museum. Der Direktor des deutschen Hauses der Geschichte, Hans Walter Hütter, beobachtet das österreich­ische Projekt seit Langem. Die politische­n Diskussion­en hier seien harmlos im Vergleich zu denen im Deutschlan­d der Achtzigerj­ahre, meint er.

- VON KATRIN NUSSMAYR Das Interview fand auf Einladung des Hauses der Geschichte Österreich statt.

Die Presse: Sie gehörten in den Achtzigerj­ahren zum Aufbauteam des Hauses der Geschichte in Bonn. Seit wann verfolgen Sie die Diskussion um ein österreich­isches Haus der Geschichte? Hans Walter Hütter: Seit über 20 Jahren. Ich war, bevor dieses aktuelle Projekt begann, bestimmt zehn Mal in Wien für Diskussion­en und Beratungen. Wolfgang Schüssel war seinerzeit bei uns in Bonn zu Besuch, um sich zu informiere­n. Dass es so lange dauert, ist bei Projekten dieser Art gar nicht so unüblich. Nach der politische­n Entscheidu­ng vergehen immer zehn Jahre bis zur Realisieru­ng – und fünf, zehn, gar 20 Jahre Diskussion vorher sind auch nicht unüblich.

Im November 2018 soll das Haus der Geschichte Österreich eröffnen. Wie beurteilen Sie den Stand der Entwicklun­gen? Es ist ein gutes Verfahren, mit einem ersten Modul zu beginnen, das später in eine erweiterte Gesamtauss­tellung eingehen kann. Der Vorteil ist: Das Team kann experiment­ieren. Wir haben das damals auch gemacht mit sogenannte­n Werkstatta­usstellung­en, die wir dann evaluiert haben. Dadurch haben wir eine Menge gelernt und im großen Haus anschließe­nd Fehler vermieden.

Was für Fehler waren das denn? Wir hatten uns Gestaltung­selemente überlegt, von denen wir glaubten, dass sie symbolhaft für historisch­e Entwicklun­gen stünden. Ein Beispiel: Wir glaubten, Drahtglas wäre ein tolles Symbol für die innerdeuts­che Grenze. Man kommt nicht durch, man kann durchschau­en, aber nur verschwomm­en. Wir waren so stolz auf diese Idee! Dann haben wir die Besucher befragt: Kein Mensch hat das so verstanden. Sie mussten auch eine Sammlung von null aufbauen. Was würden Sie, rückblicke­nd, den österreich­ischen Kollegen raten? Gezielt Objekte zu sammeln, die eine Geschichte erzählen können. Wir haben etwa den Adenauer 300, Adenauers ersten Dienstwage­n. Dieses Auto verkörpert den Willen des ersten Bundeskanz­lers, wieder unter den Staatsmänn­ern präsent zu sein. Damit war er etwa im September 1955 in Moskau, als es um die Rückführun­g der letzten Kriegsgefa­ngenen ging. Da ist er mit seinem eigenen Auto über den roten Platz gefahren, um Eigenständ­igkeit zu demonstrie­ren. Oder den Schabowski-Zettel: den Schmierzet­tel, vom dem das ZK-Mitglied Günter Schabowski am 9. November 1989 in einer Pressekonf­erenz die neuen Reiseregel­ungen verlesen wollte. An jenem Abend fiel die Mauer aufgrund seiner unglücklic­hen Mitteilung. Wir haben auch ein Flüchtling­sboot, eine sieben Meter lange Nussschale, auf dem rund 80 Menschen von Nordafrika nach Malta geflohen sind. Das Boot hat der Kölner Erzbischof erworben und symbolhaft als Altar genutzt, wir können damit in der neuen Ausstellun­g das Thema Flüchtling­skrise visuell attraktiv präsentier­en. Die jüngste Geschichte auszustell­en, ist die schwierigs­te Aufgabe.

geboren 1954 in Mönchengla­dbach) war Geschichte- und Lateinlehr­er, bevor er 1986 am Aufbau des Hauses der Geschichte in Bonn mitarbeite­te. 1991 wurde er dort stellvertr­etender Direktor, 2007 Präsident der Stiftung Haus der Geschichte, die heute ein Museum in Bonn, eines in Leipzig und zwei in Berlin umfasst. Es gab doch auch die Überlegung, was mit dem Lkw des Berliner Terroransc­hlags passieren soll. Den ganzen Lkw zu übernehmen, stand nie zur Diskussion. Nur: Nimmt man einen Teil davon, das Nummernsch­ild etwa, in die Sammlung? Inzwischen haben wir zum Anschlag einige sehr interessan­te Memorialob­jekte – Kondolenzb­ücher, Erinnerung­sstücke, die der Pfarrer der Gedächtnis­kirche gesammelt hat. Die sind wichtiger als das Auto, weil sie die Opfer dokumentie­ren.

Wie sieht Ihr Publikum aus? Alle Altersschi­chten, alle Bildungssc­hichten, Familien, Einzelbesu­cher, Gruppen. Das internatio­nale Publikum macht in Bonn fünf bis sieben Prozent aus, in Berlin am Tränenpala­st sind es im Sommer bis zu 50 Prozent. Das ist beim HGÖ ein wichtiger Faktor: In Wien gibt es ein unglaublic­hes internatio­nales Publikum, man muss es nur ansprechen. Der Standort am Heldenplat­z ist dazu brillant. Und das Gebäude ist für die Dauerausst­ellung ideal, es ist selbst das größte Objekt.

Der Europarat hat seinen Mitgliedss­taaten schon 1996 empfohlen, Museen nach Ihrem Beispiel zu errichten. Wozu braucht die Gesellscha­ft solche Einrichtun­gen? Um Kenntnisse zu vermitteln – denn die Schule kann das gar nicht leisten. Um zu Diskussion­en anzuregen. Und: Um zur Bildung einer eigenen Meinung beizutrage­n.

Kann ein Geschichts­museum wirklich das Demokratie­bewusstsei­n fördern? Allein nicht. Das geht nur im Verbund. Im Spektrum der außerschul­ischen Geschichts­vermittlun­g sind die Museen sicherlich wichtig. Den historisch­en Spielfilm und den historisch­en Roman erreichen wir in unserer Wirkung aber leider nicht. Sollte man dann nicht den Aufwand und die Expertise, die man in ein Geschichts­museum steckt, auch in den Film stecken? Nein, gerade der Film ist ein außerorden­tlich problemati­sches Medium, weil er den Gesetzen der Dramaturgi­e folgen muss, um erfolgreic­h zu sein. Das Museum aber muss immer wissenscha­ftlichen Standards gerecht werden. Und es kann multipersp­ektivisch arbeiten, es kann unterschie­dliche Meinungen präsentier­en, ohne den Besuchern eine Meinung vorzugeben. Dann erkennen diese: Da sehen die einen dasselbe Faktum ganz anders als die anderen – warum eigentlich?

Hat es in Ihren Museen je Interventi­onen vonseiten der Politik gegeben? Zu Gestaltung und Inhalt der Ausstellun­g? Nein, nie. Es gab heftigste Diskussion­en im Vorfeld, zur Zeit des Historiker­streits in Deutschlan­d, der hochemotio­nal geführt wurde. Was in Österreich zu hören ist, ist harmlos dagegen.

In Deutschlan­d gibt es mit dem Deutschen Historisch­en Museum ein weiteres nationales Geschichts­museum. In Österreich ist St. Pölten der Hauptstadt Wien zuvorgekom­men. Kann das gut gehen? Ich halte das für eine wunderbare Ergänzung. Natürlich gibt es auch bei Museumsleu­ten Eitelkeite­n – und manchmal einen Wettlauf um ein Objekt. Aber in der Präsentati­on von Zeitgeschi­chte gibt es viele Möglichkei­ten, man muss nur kreativ sein. Etwa zur Flüchtling­skrise: Wir haben jetzt das Boot. Aber es gibt sicher zehn genauso herausrage­nde Objekte, die andere Museen zeigen können. Ein gesunder Wettbewerb ist auch in der Museumslan­dschaft gut.

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