In diesem Musikstück geschehen Zeichen
Wien modern. Ein Schlüsselwerk der Avantgarde: Griseys „Espaces Acoustiques“, vorbildlich dirigierend gestaltet.
Ein paar Werke gibt es im Kanon der musikalischen Avantgarde, denen Kultstatus zukommt. Friedrich Cerhas „Spiegel“gehören dazu, und auch Gerard´ Griseys „Espaces Acoustiques“. Es sind Stücke, die Zeichen gesetzt haben.
Und das in jeder Bedeutung des Wortes. Die Zeichenhaftigkeit von Griseys Kunst war auch in der erneuten Aufführung des Zyklus bei „Wien modern“dominantes Gestaltungsmittel – nicht nur akustisch, was im Wesen der Komposition liegt, sondern auch optisch. Der Anteil an Konzert-Inszenierung ist in diesen Stücken nicht zu vernachlässigen, ein Schlagzeuger, der zum Beckenschlag ausholt, dann aber „stumm“bleibt, gehört dazu; ein Bratschist, der zuerst das Geschehen ganz allein dominiert, dann abgeht, um zuletzt für ein kurzes Memento wiederzukehren.
Drumherum dreht sich alles um die Klangerzeugung: Von der Auffaltung des Einzeltons in seine Spektraltöne bis zur Frage, wie weit das Spiel auf Instrumenten in kratzende, knarrende Geräuschentwicklung denaturiert, um im Kontext eines Werks doch noch als „musikalisches“Ereignis empfunden zu werden.
Ausgangspunkt: der einzelne Ton
Ein Kompendium der avantgardistischen Methoden also, der Studien in Sachen Klanganalyse vorangegangen sind, denen Grisey seine Inspiration verdankt. Die Erfahrungen, die er als Akustiker gemacht hat, beeinflussten seine kompositorischen Form-Pläne. Tatsächlich wirken die „Espaces“wie ein gigantisches Experiment, das aus dem Spiel mit Einzeltönen eines einzelnen Musikers immer neue, immer kühnere Emanationen heraufbeschwört. Aus dem Solo wird Kammermusik, daraus ein gigantisches Orchestertableau – und immer wieder kehrt der Komponist zu seinem Ausgangspunkt zurück, dem einzelnen Ton, in wechselnder Gestalt, als immer wiederkehrende Repetition im Bratschensolo (konzentriert und sicher: Rafał Zalech), insistierend im Solo-Kontrabass oder über mehrere Oktaven gespreizt in allen Streichern.
In Letzterer Gestalt führt er im vorletzten Stück, „Transitoires“, zu einem gewaltigen Orchester-Crescendo und markiert den Kulminationspunkt des Geschehens, von dem aus sich die „Handlung“wieder retour entwickelt. Es gibt dank der oft sehr charakteristischen Klangbilder, die Grisey malt, deutliche Reprisenwirkungen, Echos, Anklänge, die der Zuhörer, der bei dieser Art von Klangmalerei, die viel mit abstrakter Bildender Kunst zu tun hat, zum Zuschauer wird, der Gestalten, Motive, Symbole wiedererkennen kann, Verwandtschaften begreift.
Durchwegs stellt der Bezug zu Zentraltönen jedoch so etwas wie die einheitsstiftende Kraft dar, die das fantastisch wuchernde freie Kunstwerk letztlich formal bündelt. In jahrelanger Arbeit ist Grisey damit ein gigantischer, über 100 Minuten dauernder Zyklus gelungen, der – wie die „Spiegel“Cerhas – einzigartig bleiben muss. Wenn Hans Weigel einmal meinte, dass nach der „Eroica“jeder Komponist, der eine Symphonie schreiben wollte, jeweils eine ganz bestimmte Symphonie schreiben musste, dann gilt das für die avantgardistischen Klangexperimente umso eher: Alles, was ungefähr so daherkommt wie die einzelnen Teile dieser „Espaces Acoustiques“, ist zum Scheitern verurteilt.
Ein Dirigent ist mehr als ein Metronom
Das wohl ausgearbeitete Erstlingsstück aber wird zum Schlüsselwerk. Diesmal engagierte sich die Webern Kammerphilharmonie der Wiener Musik-Universität dafür. Simeon Pironkoff dirigierte – und bewies, dass die seit Strawinsky für die musikalische Moderne sakrosankte Abwertung des Maestros zum lebenden Metronom eine grobe Reduktion des Berufsstands ist: Natürlich kann man auch Grisey dirigierend gestalten, muss nicht nur für die punktgenauen Einsätze der Klangereignisse sorgen, sondern darf zum Wohle der Dramaturgie auch um entsprechend engagierte, besonders zarte oder über die Maßen kraftvolle Akzente bitten. Wenn man kann. Pironkoff kann – was nicht unwesentlich zum Erfolg der Übung beitrug.