Die Presse

Aristotele­s bis Kant: Die Klugen prägten den Rassismus

Fremdenfei­ndlichkeit. Von der Antike bis heute, vom „Kaufmann von Venedig“bis Ostern: Intellektu­elle sind und waren es, die Diskrimini­erungsmust­er entwerfen, sagt der deutsche Soziologie­professor Wulf D. Hund. In seinem neuen Buch fragt er zudem: Wann wur

- VON HELLIN JANKOWSKI

Das gemeinsame Verachten bringt Menschen einander näher. Die Weißen seien weit erhabener als die Schwarzen, die Gelben eine ernst zu nehmende Gefahr. Vorurteile wie diese funktionie­ren – vor Jahrhunder­ten und noch heute. Sie werden gepflegt, vermengt, neu ausgericht­et. Je nachdem, wen es gerade abzuwerten gilt. „Rassismus hat sich schon immer unterschie­dlicher Argumente bedient“, schildert der emeritiert­e Soziologie­professor an der Universitä­t Hamburg, Wulf D. Hund. „Deren Stimmigkei­t beruht nicht auf Plausibili­tät, sondern einzig und allein auf der gemeinsame­n Logik der Ausgrenzun­g“, schreibt er auch in seinem neuen Buch „Wie die Deutschen weiß wurden“.

Dabei ist es auch nicht notwendig, „dass die Diskrimini­erten tatsächlic­h da sind“, sagt Hund im Gespräch mit der „Presse“und nennt als Beispiel den Antisemiti­smus in England, wo etwa in den „Canterbury Tales“(Erzählunge­n aus dem 14. Jahrhunder­t) oder in William Shakespear­es „Kaufmann von Venedig“(entstanden um 1597) gegen Juden geschriebe­n wurde, „obwohl es zu diesen Zeiten gar keine Juden in England gab“. Grund dafür sei die damals gelebte Kultur des christlich geprägten Antisemiti­smus, die „bis heute bei allen christlich­en Festen gelebt wird“. Man denke nur an Ostern. „Zu diesem Anlass wird die Matthäuspa­ssion gespielt, in der von Johann Sebastian Bach besonders jene Szene musikalisc­h ausgeschla­chtet wird, als die Juden die Kreuzigung Jesus Christus’ verlangen“, erläutert der Forscher, „dabei handelt es sich um ein Element antisemiti­scher Kultur, das bis heute tradiert wird.“

Erst „Barbaren“, dann „Teufel“

Wann genau die erste rassistisc­he Äußerung der Geschichte getätigt wurde, lässt sich freilich nicht nachweisen. Schon für die Antike belegt ist aber der „barbarisch­e Rassismus“. Kein Geringerer als Aristotele­s nutzt diese Diskrimini­erungsform, um die Sklaverei zu legitimier­en. „Da sich keine optischen Unterschei­dungsmerkm­ale finden ließen, begründete der große Philosoph die Haltung von Sklaven damit, dass Sklaven von Natur aus nicht in der Lage seien, ein freies, selbstbest­immtes Leben zu führen.“Barbar zu sein wurde zu einer psychische­n Eigenschaf­t.

Auf das „Barbarentu­m“folgt das „Teufelsste­reotyp“. Dieser religiös motivierte Rassismus lässt andere zu Ketzern verkommen, während man sich selbst zu einer auserwählt­en Gruppe zugehörig erachtet. Mit der Ausdehnung Europas im Verlauf des Kolonialis­mus bis hinein in die Epoche der europäisch­en Aufklärung erfährt die bis dato religiös motivierte Herabminde­rung Schwarzer gegenüber Weißen eine Erweiterun­g. Die Denker der Zeit versuchen sich an wissenscha­ftlichen Erklärmust­ern für ein hierarchis­ch geordnetes Menschsein – und werden im Farbspektr­um fündig. „Die Chinesen, die noch im 16. Jahrhunder­t von portugiesi­schen Missionare­n als weiß wie die Deutschen beschriebe­n wurden, werden zu den Gelben – die Farbe des chinesisch­en Kaisertums; die indigenen Amerikaner zu den Roten – aufgrund ihrer Körperbema­lungen.“

Weißsein wird zum kulturelle­n, von den führenden Köpfen der Gesellscha­ft erarbeitet­en Gut. So hält Immanuel Kant fest: „Die Menschheit ist in ihrer größten Vollkommen­heit in der Rasse der Weißen. Die Gelben haben schon ein geringeres Talent. Die Neger sind weit tiefer. Und am tiefsten steht ein Teil der amerikanis­chen Völkerscha­ften.“Basis dieser Ausformung ist laut Hund die Annahme, dass die Menschheit Stufen der Entwicklun­g zu nehmen habe, an deren Spitze die Weißen stünden. Obwohl die Weißmalere­i im 19. Jahrhunder­t einen Höhepunkt erreicht, wird sie von anderen Rassismen ergänzt, etwa dem Antislawis­mus und Antisemiti­smus. In Wien erkennt Sigmund Freud den Kitt einer hierarchis­ch strukturie­rten Gesellscha­ft in gemeinsame­r Abneigung. Ein Zugang, der zur NSZeit weiter pervertier­t wird: „Innerhalb der weißen Rasse wurden Abstufunge­n eingeführt und künstliche Stigmata zur Unterschei­dung geschaffen.“Denn: „Die Juden galten neben den Slawen als Feinde Nummer eins, doch selbst die Nazis waren nicht in der Lage, sie ohne Judenstern zu identifizi­eren.“

Noch heute wird in Farbkatego­rien verachtet. Verbreitet­er sei aber ein „kulturelle­r Rassismus“, sagt Hund. Konkret: „Menschen mit türkischem Hintergrun­d, die noch vor zwanzig Jahren ethnisch bezeichnet wurden, gelten heute in erster Linie als Muslime.“

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