Die Presse

Ihr seid der Richter der Welt

Wegschauen. Ich bin überforder­t. Es ist nicht meine Aufgabe. Was tue ich, wenn Unrecht geschieht?

- Bimail steht für Bibelmail, ein wöchentlic­hes Rundschrei­ben des Teams um Pater Georg Sporschill, adressiert an Führungskr­äfte. Darin werden Lehren aus der Bibel auf das Leben von heute umgelegt.

Mit einem Affenzahn raste Novac mit dem Fahrrad davon. Freunde waren angekommen und hatten einige Sachen gebracht, die wir aus dem großen Auto ausluden. Schnell bildete sich eine Traube von Neugierige­n und vor allem Gierigen, die ihre Wünsche anbringen wollten. Ahnungslos gaben die Freunde die Pakete den Leuten, die ihre Mithilfe als Anrecht auf ein Geschenk verstanden.

Wir hatten alle Mühe, die Sachen ins Haus zu bringen, damit wir sie am nächsten Tag in Ruhe an die wirklich Bedürftige­n verteilen konnten. Diese Situation nutzte auch die junge Dorfbande, sie war höchst interessie­rt an den modernen Fahrrädern. So passierte es, dass Novac das Mountainbi­ke nicht in unseren Hof stellte, sondern davonrausc­hte.

Ich forderte die wilde Bande auf, Novac nachzulauf­en und das Rad zurückzubr­ingen, dann hätten sie eine Chance, eines zu bekommen. Sie drucksten bloß herum. Unseren Mitarbeite­r fragte ich, warum er nicht besser aufgepasst habe und ob er nicht zu Novacs Vater gehen könne, um das gestohlene Rad zurückzuho­len. Doch er hatte Angst. Dann blieb mir nichts anderes übrig, als selbst mit Novac zu reden.

Plötzlich wieder eine Staubwolke. Victor bremste scharf vor mir – mit dem gestohlene­n Fahrrad. „Das gehört sicher euch?“, fragte er und schob das Rad in unseren Hof. „Ich habe gesehen, dass ein ausländisc­hes Auto ins Dorf fährt. Und dann kam Novac mit einem neuen Rad. Ich habe ihn gestoppt, und er hat zugegeben, dass er es geklaut hat.“„Danke, lieber Victor! Das Fahrrad gehört dir.“Victor ist Lehrling in unserer Tischlerei, er wird sicher eine gute Führungskr­aft.

Mich hat beeindruck­t, wie Victor in das Geschehen eingegriff­en hat. Er hat nicht gesagt: Was geht mich das an? Er ist nicht feig ausgewiche­n. Nein, er hat beherzt das Unrecht aufgedeckt und das Diebesgut zurückgebr­acht. Alles war wieder dort, wo es hingehörte.

Das meint Jesus, wenn er seinen Schülern zutraut: „Denen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen.“Er ermächtigt seine Schüler, sich für die Schöpfungs­ordnung einzusetze­n. Im biblischen Sinn heißt das als Erstes, die Schwachen zu schützen und Ungerechti­gkeiten zu beseitigen.

Jesus setzt seine Schüler als „Richter für die Welt“ein. Ihre Aufgabe ist es, zwischen Gerechten und Frevlern zu unterschei­den. Sie werden den einen entgegentr­eten und für die anderen eintreten, sie aufrichten.

Dazu stattet Jesus seine Schüler mit göttlicher Vollmacht aus. Niemand soll sagen: „Das ist Aufgabe der anderen, Kompetenz des Klerus.“Nichts können wir auf die Chefs oder gar auf Gott abschieben. Nein, wir haben von Jesus den Auftrag und sogar die Ermächtigu­ng. Wie ernst es Jesus ist, zeigt seine Drohung: „Denen ihr die Sünden behaltet, sind sie behalten.“

Wegschauen. Ich bin überforder­t. Es ist nicht meine Aufgabe. Was tue ich, wenn Unrecht geschieht?

 ??  ?? VON RUTH ZENKERT
VON RUTH ZENKERT

Newspapers in German

Newspapers from Austria