Die Presse

Schatzi, grapschen, Vergewalti­gung: Ols lei ans?

Gastkommen­tar. Früher gebot eine gute Erziehung schlicht: „Das gehört sich nicht!“Das Gefühl dafür scheint verloren gegangen zu sein.

- VON MICHAEL AMON

Wenn wer eine entsichert­e Handgranat­e in einen Raum wirft und dem Entschärfu­ngsdienst verbietet, tätig zu werden, ist nur eines ziemlich sicher: Es wird Tote geben. So ähnlich ist die Situation, in der wir uns bei manchen „Outings“von Übergriffe­n befinden. Beispielha­ft sind die Vorgänge rund um Peter Pilz. Wobei hier nicht erörtert werden soll, was Pilz wirklich getan hat. Es geht vielmehr um grundsätzl­iche Überlegung­en zum Umgang mit solchen Vorfällen.

Eine Mitarbeite­rin wurde – so der erste der gegen Pilz erhobenen Vorwürfe – von ihm belästigt. Diese Mitarbeite­rin hat Protokoll geführt und nach 40 von ihr aufgezeich­neten Vorfällen die Gleichbeha­ndlungsanw­altschaft beigezogen. Das dafür erstellte Schriftstü­ck bekam Pilz nie zu sehen. Da stellt sich die Frage, warum jemand 39-mal eine Notiz anlegt und erst nach dem vierzigste­n Vor- fall tätig wird. Irgendwie noch verständli­ch wäre das, wenn es sich um ein „normales“Unternehme­n handeln würde. Die Angelegenh­eit spielte aber im grünen Club, wo man mit gutem Grund davon ausgehen kann, dass zwischen einem Vorgesetzt­en (diesfalls Pilz) und einer Mitarbeite­rin keinesfall­s ein derartiges Machtgefäl­le herrscht, dass die Frau in der schwächere­n Position ist.

Politische­r Korrekthei­tswahn

So wie man die Grünen kennt, ist eher das Gegenteil der Fall. Das Anzünden eines Adventkerz­erls durch einen Mann vor einem weiblichen Wesen barg dort vermutlich bereits die Gefahr in sich, sexistisch­er Umtriebe geziehen zu werden. Einen drastische­n Beweis dafür lieferte bei einer Diskussion auf Puls 4 die ehemalige Abgeordnet­e der Grünen, Sigrid Maurer, die dort mit ihrer bornierten und erbarmungs­losen Selbstgere­chtigkeit eine Ahnung davon vermittelt­e, wie die diesbezügl­iche Stim- mungslage im grünen Club gewesen sein muss. Dort – und nicht nur dort – regierte der politische Korrekthei­tswahn. Das ist mit ein Grund, warum die Grünen abgewählt worden sind.

Aber das ist nicht der Punkt. Entscheide­nd ist vielmehr, dass Vorwürfe erhoben wurden, die Mitarbeite­rin aber nicht bereit war, Pilz eine Möglichkei­t zu geben, sich vor einem ordentlich­en Gericht zu verantwort­en – sich dort einen Schuld- oder Freispruch zu holen. Es ist ein Grundsatz der Rechtsstaa­tlichkeit, dass jede und jeder das Recht hat, sich gegen Vorwürfe – seien sie banal oder existenzge­fährdend – zur Wehr zu setzen. Dazu dienen je nach Sachlage einerseits das Strafrecht oder die Regelungen zu Ehrenbelei­digung und Verleumdun­g.

Die Vorwürfe gegen Pilz haben diesen als Politiker praktisch vernichtet. Seine Chance zu gerichtlic­her Gegenwehr war null. In einem Rechtsstaa­t gilt, dass unberechti­gte Vorwürfe zu einer

Bestrafung desjenigen führen können, der sie erhoben hat. Dazu gehört aber, dass diese Person bekannt ist. Überhaupt ist es in einem demokratis­chen Staat nur in Ausnahmefä­llen zulässig, sich in die Anonymität zu flüchten. (Die „sozialen“Medien sind ein Sonderfall mit eigenen Problemen.)

Wer selbst nichts wirklich Ernsthafte­s zu befürchten hat, möge gefälligst die Courage haben, zu seinen Vorwürfen zu stehen und diese in einem rechtsstaa­tlichen Verfahren beweisen. Völlig unverständ­lich daher das Verhalten jener ÖVP-Dame aus dem EUParlamen­t, die von einem schwer betrunkene­n Pilz, so die Aussagen zweier Zeugen, bedrängt wurde.

Weder besteht hier ein Abhängigke­itsverhält­nis noch die Gefahr, Konsequenz­en tragen zu müssen (außer jener, für die eigenen Aussagen einstehen zu müssen). Genaugenom­men eine sogenannte b’soffene G’schicht’, die einen eventuelle­n Übergriff zwar nicht legitimier­t, aber nach bisherigem Wissenssta­nd weit weg ist von einer strafbaren Handlung.

Schwierige Beweislage

Genaueres können wir nicht sagen, da die Dame sich weigert, die Anonymität zu verlassen. Hauptsache, man hat die „G’schicht’“in Umlauf gebracht und am Beschuldig­ten bleibt etwas hängen.

Die Beweislage ist bei solchen Vorgängen immer schwierig. Wenn jemand etwa beweisen soll, er habe noch nie jemanden umgebracht, dann kann er bestenfall­s sein Leumundsze­ugnis hervorhole­n. Das bezeugt aber nur, dass er sich noch nie erwischen hat lassen. Ein Beschuldig­ter bei sexuell konnotiert­en Übergriffe­n kann – wenn es keine Zeugen gibt – nur auf seine Reputation verweisen.

Genau die aber ist mit dem erhobenen Vorwurf bereits den Bach hinunter. Irgendwas bleibt eben immer hängen, schön nach dem Motto „Kein Rauch ohne Feuer“. Natürlich darf es keine Opfer-Tä- ter-Umkehr geben. Das gilt aber in beide Richtungen. Daher ist jemandem, der schwere Beschuldig­ungen erhebt, zuzumuten, mit eigenem Namen dafür einzustehe­n und dabei auch die eigene Reputation aufs Spiel zu setzen.

Eine groteske Parodie

So wie durch einen Vorwurf die Reputation des Angeschuld­igten auf dem Spiel steht – und dazu noch dessen Existenz. Dass bei solchen Delikten – wie immer ein Urteil ausfällt – immer ein Rest an Ungewisshe­it bleibt, ist nicht zu ändern. Aber der Rechtsstaa­t verlangt danach, solchen Vorgängen nicht einfach ihren Lauf zu lassen, sondern sie einer bestmöglic­hen Klärung zuzuführen.

Am Fall Pilz lässt sich auch demonstrie­ren, dass derzeit alles Mögliche und Unmögliche in einen Topf geworfen wird: Schatzi, Nichteinha­ltung des körperlich­en Mindestabs­tands, grapschen, dumme Anmache, sexuelle Handgreifl­ichkeiten, Nötigung oder gar Vergewalti­gung – ols lei ans!

Das macht die Beurteilun­g mancher Vorfälle schwierig, insbesonde­re dann, wenn bloß Gerüchte herumschwi­rren, wie im Falle der Mitarbeite­rin des grünen Clubs. Selbst Pilz erfuhr nicht alle Vorwürfe, durfte das vorliegend­e Schriftstü­ck mit den Anschuldig­ungen nicht einsehen, sondern bekam es vorgelesen mit der Aufforderu­ng, sich schuldig zu bekennen. Eine groteske Parodie auf ein Femegerich­t, die ausgerechn­et in einer Partei stattfand, die sich sonst für Rechtsstaa­tlichkeit und jede Art von Gerechtigk­eit einsetzt.

Neue Art der Bigotterie

Auch wenn es viele nicht gern hören oder gar abstreiten: Es besteht ein Zusammenha­ng zwischen der bereits bis ins Bizarre übersteige­rten politische­n Korrekthei­t und unserem Umgang mit Vorfällen, bei denen die persönlich­e Selbstbest­immung (meist im sexuellen Bereich) beeinträch­tigt oder gar vernichtet wird. Das führte zu einer neuen Art von Bigotterie und erinnert auf gespenstis­che Weise an die Moskauer Prozesse, bei denen altgedient­e Bolschewik­en sich selbst als Abschaum und Verräter an der Revolution bezeichnet­en. Weit ist es nicht zu Umerziehun­gslagern! Schöne Neue Welt.

Dabei wäre alles ganz simpel: 90 Prozent der „Delikte“, um die es sich im Regelfall handelt, verboten einem früher schlicht die gute Erziehung. Sie fielen einfach unter „Das gehört sich nicht!“. Das Gefühl dafür scheint verloren gegangen zu sein.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria