Vom richtigen Zeitpunkt eines (un)würdigen Rückzugs
Macht Politik süchtig? Warum manche Funktionsträger offenbar eine schlechte Nachrede weniger fürchten als die Folgen eines Entzugs an Aufmerksamkeit etc.
Politik macht süchtig. Das wird spätestens dann klar, wenn ein erfolgloser Kandidat auch noch viele Jahre nach seiner Niederlage sagt, er würde alles darum geben, hätte er nur gewonnen. Alles? Man merkt es, wenn eine ehemalige Parteichefin mit ihrem Leben nach der Politik absolut nichts Produktives mehr anzufangen weiß, obwohl sie vom Alter her noch so viel hätte leisten können. Und dennoch nichts?
Eine der Substanzen in der Droge Politik ist die öffentliche Aufmerksamkeit. Ob positiv oder negativ ist trotz gegenteiligen Beteuerungen einerlei, Hauptsache Aufmerksamkeit. Eine andere ist Machtausübung – auf welcher Ebene immer. Eine dritte ist die Bewunderung bis Lobhudelei der Umgebung, ob aus ehrlicher Überzeugung oder verstecktem Karrierekalkül heraus. Aus vielerlei Gründen hat diese Substanz in Österreich besondere Wirksamkeit.
Das alles sollte man bedenken, wenn so manche Karriere in der Politik ein unwürdiges Ende findet, obwohl es alternative Verhaltensweisen gegeben hätte. Auf die Frage „Hat er/sie es denn notwendig?“gibt es oft keine vernünftige Antwort, sofern man den Suchtfaktor nicht mitbedenkt. Meist sind es nicht die Krisen an sich, die das Ende einer langen und oft verdienstvollen Karriere erzwingen, sondern wie eine bestimmte Person diese Krisen handhabt. Die unvermeidliche schlechte Nachrede wird gar nicht mehr einkalkuliert. Sucht kann eben auch zu Realitätsverlust führen.
Nehmen wir nur als aktuellstes Beispiel den Fall Peter Pilz. Nicht die Anschuldigungen der sexuellen Belästigungen allein haben den Verzicht auf das Nationalratsmandat erzwungen, sondern sein unzumutbares Verhalten danach. Was hat er sich nur dabei gedacht? Zuerst Zerknirschung und Rückzug, dann Vernaderung einer Mitarbeiterin und trotzige Ankündigung des Verbleibs, dann wieder Rückzug. Fragt man: Was hat er denn inhaliert, um diese Art der Selbstzerstörung nicht zu merken, ist die Antwort klar: Den Dunst der Politik! So werden alle seine Verdienste um Kontrolle und Parlamentarismus, um Antikorruption und Rhetorik im Hohen Haus verblassen. In Erinnerung wird die unrühmliche Art seines Abgangs bleiben.
Oder nehmen wir als ganz anderen Fall den Bürgermeister Wiens, Michael Häupl, her. Die Tragikomödie, die sich zurzeit in der Bundeshauptstadt politisch abspielt, hätte von Häupl vermieden werden können. Und wieder war es nicht so sehr die nicht vorbereitete Nachfolge, sondern die Art und Weise, wie Häupl sich seit seinem letzten Wahlsieg 2015 verhalten hat.
Hat er es notwendig, im Bezug auf seine Nachfolge und andere Themen den Eindruck der totalen Selbstüberschätzung zu hinterlassen. Wer hat ihm eingeredet, er sei noch Herr in seinem (Rat-)Haus? Warum hat ihn niemand darauf aufmerksam gemacht, dass er gerade dabei ist, nicht nur sich selbst, sondern seiner ganzen Partei auf Stadt- und Bundesebene zu schaden, dass er nicht für das populäre Wien, sondern für den Niedergang der SPÖ in Erinnerung bleiben wird?
Es gibt/gab auch Fälle, bei denen die Nachfolge absichtsvoll so geregelt wurde, dass das eigene Karriereende immer noch im besseren Licht zu sehen ist als alles, was nachher kommt. Bruno Kreisky war mit der Wahl von Fred Sinowatz als Nachfolger 1983 so ein Fall. Auch Kreisky hätte sich bei einem Rückzug 1981 viel erspart.
Man kann sich natürlich auch rechtzeitig vom Tropf nehmen. Niederösterreichs Erwin Pröll hat das besonders geschickt gemacht, bevor die Sache mit der Privatstiftung politisch unangenehm geworden ist. Als sie von Kontrolloren kritisiert wurde, war Pröll schon weg.
Und was ist mit der Selbstzerstörungskapazität von Frauen in der Politik? Fragen Sie Hillary Clinton. Es wäre besser, sie würde endlich schweigen. In Erinnerung wird ihr Jammern bleiben. Soll man nun Verständnis für Suchtverhalten aufbringen? Vielleicht. Jedenfalls kann es einiges erklären.