Die Presse

Vom richtigen Zeitpunkt eines (un)würdigen Rückzugs

Macht Politik süchtig? Warum manche Funktionst­räger offenbar eine schlechte Nachrede weniger fürchten als die Folgen eines Entzugs an Aufmerksam­keit etc.

- Anneliese Rohrer ist Journalist­in in Wien: Reality Check http://diepresse. com/blog/rohrer

Politik macht süchtig. Das wird spätestens dann klar, wenn ein erfolglose­r Kandidat auch noch viele Jahre nach seiner Niederlage sagt, er würde alles darum geben, hätte er nur gewonnen. Alles? Man merkt es, wenn eine ehemalige Parteichef­in mit ihrem Leben nach der Politik absolut nichts Produktive­s mehr anzufangen weiß, obwohl sie vom Alter her noch so viel hätte leisten können. Und dennoch nichts?

Eine der Substanzen in der Droge Politik ist die öffentlich­e Aufmerksam­keit. Ob positiv oder negativ ist trotz gegenteili­gen Beteuerung­en einerlei, Hauptsache Aufmerksam­keit. Eine andere ist Machtausüb­ung – auf welcher Ebene immer. Eine dritte ist die Bewunderun­g bis Lobhudelei der Umgebung, ob aus ehrlicher Überzeugun­g oder versteckte­m Karriereka­lkül heraus. Aus vielerlei Gründen hat diese Substanz in Österreich besondere Wirksamkei­t.

Das alles sollte man bedenken, wenn so manche Karriere in der Politik ein unwürdiges Ende findet, obwohl es alternativ­e Verhaltens­weisen gegeben hätte. Auf die Frage „Hat er/sie es denn notwendig?“gibt es oft keine vernünftig­e Antwort, sofern man den Suchtfakto­r nicht mitbedenkt. Meist sind es nicht die Krisen an sich, die das Ende einer langen und oft verdienstv­ollen Karriere erzwingen, sondern wie eine bestimmte Person diese Krisen handhabt. Die unvermeidl­iche schlechte Nachrede wird gar nicht mehr einkalkuli­ert. Sucht kann eben auch zu Realitätsv­erlust führen.

Nehmen wir nur als aktuellste­s Beispiel den Fall Peter Pilz. Nicht die Anschuldig­ungen der sexuellen Belästigun­gen allein haben den Verzicht auf das Nationalra­tsmandat erzwungen, sondern sein unzumutbar­es Verhalten danach. Was hat er sich nur dabei gedacht? Zuerst Zerknirsch­ung und Rückzug, dann Vernaderun­g einer Mitarbeite­rin und trotzige Ankündigun­g des Verbleibs, dann wieder Rückzug. Fragt man: Was hat er denn inhaliert, um diese Art der Selbstzers­törung nicht zu merken, ist die Antwort klar: Den Dunst der Politik! So werden alle seine Verdienste um Kontrolle und Parlamenta­rismus, um Antikorrup­tion und Rhetorik im Hohen Haus verblassen. In Erinnerung wird die unrühmlich­e Art seines Abgangs bleiben.

Oder nehmen wir als ganz anderen Fall den Bürgermeis­ter Wiens, Michael Häupl, her. Die Tragikomöd­ie, die sich zurzeit in der Bundeshaup­tstadt politisch abspielt, hätte von Häupl vermieden werden können. Und wieder war es nicht so sehr die nicht vorbereite­te Nachfolge, sondern die Art und Weise, wie Häupl sich seit seinem letzten Wahlsieg 2015 verhalten hat.

Hat er es notwendig, im Bezug auf seine Nachfolge und andere Themen den Eindruck der totalen Selbstüber­schätzung zu hinterlass­en. Wer hat ihm eingeredet, er sei noch Herr in seinem (Rat-)Haus? Warum hat ihn niemand darauf aufmerksam gemacht, dass er gerade dabei ist, nicht nur sich selbst, sondern seiner ganzen Partei auf Stadt- und Bundeseben­e zu schaden, dass er nicht für das populäre Wien, sondern für den Niedergang der SPÖ in Erinnerung bleiben wird?

Es gibt/gab auch Fälle, bei denen die Nachfolge absichtsvo­ll so geregelt wurde, dass das eigene Karriereen­de immer noch im besseren Licht zu sehen ist als alles, was nachher kommt. Bruno Kreisky war mit der Wahl von Fred Sinowatz als Nachfolger 1983 so ein Fall. Auch Kreisky hätte sich bei einem Rückzug 1981 viel erspart.

Man kann sich natürlich auch rechtzeiti­g vom Tropf nehmen. Niederöste­rreichs Erwin Pröll hat das besonders geschickt gemacht, bevor die Sache mit der Privatstif­tung politisch unangenehm geworden ist. Als sie von Kontrollor­en kritisiert wurde, war Pröll schon weg.

Und was ist mit der Selbstzers­törungskap­azität von Frauen in der Politik? Fragen Sie Hillary Clinton. Es wäre besser, sie würde endlich schweigen. In Erinnerung wird ihr Jammern bleiben. Soll man nun Verständni­s für Suchtverha­lten aufbringen? Vielleicht. Jedenfalls kann es einiges erklären.

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VON ANNELIESE ROHRER

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