Eine Entdeckungsreise durch viele Schichten
Kunst. Nach vier Jahren Restaurierung zeigt das Kunsthistorische Museum derzeit wieder Rubens’ „Gewitterlandschaft“in einer großen Schau. Ein Paradebeispiel dafür, wie viel Naturwissenschaft hinter der Rettung eines Bildes steckt.
Eine finstere Wolke schwebt über einer überwältigenden, weiten Landschaft. Ein Gewitter geht nieder, es blitzt. Im Fluss bilden sich Stromschnellen und Wasserfälle, Bäume werden mitgerissen. Erst auf den zweiten Blick entdeckt der Betrachter, dass in den Sturzfluten bereits Menschen ertrunken sind, ein toter Ochse treibt im Wasser. Und sieht, dass ein Regenbogen Wetterbesserung andeutet oder dass das Ehepaar Philemon und Baucis, flankiert von den Göttern Jupiter und Merkur, unversehrt am rechten Rand des Bildes steht.
Wiener Restauratoren wagten in den vergangenen vier Jahren einen dritten Blick auf die „Gewitterlandschaft“von Peter Paul Rubens. Sie zeigten etwa, dass sich unter Philemon und Baucis eine Reitergruppe verbirgt. Und dass das Bild – an sich untypisch für das frühe 17. Jahrhundert – ursprünglich als reine Landschaftsdarstellung angelegt war. „Diese Erkenntnisse waren völlig neu“, sagt Elke Oberthaler, die Leiterin der Restaurationswerkstätte des Kunsthistorischen Museums (KHM) in Wien. Sie arbeitet seit mehr als 30 Jahren im Museum, Überraschungen sind Teil ihrer Arbeit.
Rubens’ Puzzle
Nur wenige wissen, welche wissenschaftlichen Anstrengungen Museen unternehmen, um ihre Schätze zu erforschen und zu erhalten. Neben einem reichen Erfahrungsschatz bei der Analyse und anschließenden Restaurierung braucht es nämlich eine Fülle naturwissenschaftlicher Methoden.
Das KHM ist die größte außeruniversitäre Forschungseinrichtung für kunsthistorische Fächer in Österreich. Das Wechselspiel mit der in der praktischen Arbeit gesammelten Erfahrung mache ihre Forschung sehr anwendungsorientiert, so Oberthaler. Dabei ist es längst Standard, ein Kunstwerk vor und während der Restaurierung mittels Röntgenstrahlen zu untersuchen. Sie durchdringen das ganze Gemälde, lassen erkennen, wie die Malschichten aufgetragen wurden. Die Aufnahmen zeigen etwa Verspachtelungen, mit denen Sprünge überdeckt wurden, als hell-dunkles Kontrastbild. Darüber hinaus liefern Infrarotverfahren heute ein deutlich genaueres Bild, vor allem von unter der Malschicht verborgenen Zeichnungen.
Die Forscher gewinnen nach und nach einen Eindruck vom Schaffensprozess des Künstlers. Dieser dürfte sich bei Rubens’ „Gewitterlandschaft“über mehrere Jahre, maximal von 1625 bis 1640, erstreckt haben. Immer wieder stückelte der flämische Maler, der das Werk für den eigenen Gebrauch schuf, unterschiedlich lan- ge Hölzer an, verspachtelte Risse, grundierte neu oder übermalte eine Szene.
Hauchdünn aufgeschnitten
Nachvollziehen lassen sich die vielen einzelnen Schritte durch Analysen im nahen naturwissenschaftlichen Labor des KHM. Dort legt Chemikerin Martina Griesser mit ihrem Team die Proben in Kunstharz ein. Wieder getrocknet lassen sich diese in hauchdünne Schichten schneiden und etwa unter dem Rasterelektronenmikroskop untersuchen. Der Gaschromatograf wiederum zeigt, welche Bindemittel für die Farben verwendet wurden. Wie viel trocknendes Öl, Leim, Bienenwachs oder Stärke ist darin enthalten?
Je älter ein Material ist, desto mehr chemische Veränderung hat es erlebt. Das Massenspektrometer bringt noch mehr Klarheit, dort gleichen die Forscher die identifizierten Stoffe mit einer Datenbank ab. Ob man für eine Untersuchung mit dem Skalpell einen winzigen Splitter des Bildes abtrage, sei stets eine Gratwanderung, schildert Oberthaler. Schließlich sei das, wenn auch ein minimaler, aber doch ein Eingriff in das Werk des Künstlers. Daher werde der mögliche Nutzen genau abgewogen. Wer Kunstwerke vor dem Verfall bewahren will, müsse aber eben auch verstehen, wie sie aufgebaut sind: „Daraus lernen wir auch jedes Mal für spätere Restaurierungen“, sagt sie.
Bei Rubens’ „Gewitterlandschaft“war der Handlungsbedarf bereits groß. „Manche Besucher haben sogar schon gemeint, wir müssen uns um das Bild kümmern“, berichtet die Restauratorin. Die Leute sahen, dass die Holztafeln, auf die das Kunstwerk aufgebracht war, bereits rissen. „Das konnte gar nicht stabil bleiben“, sagt Oberthaler. Rubens habe die Eichenbretter nämlich teilweise quer zueinander verwendet. Während sich ein Holzbrett in Längsrichtung kaum verändert, schrumpft es mit der Zeit in der Breite. Dadurch entstehen zwischen den einzelnen Brettern Spannungen und Spalten.
Mit einem Hobel abgetragen
Frühere Rettungsversuche erschwerten die Restaurierung: Nägel wurden eingeschlagen, um das Werk – vermeintlich – zu stabilisieren. Das Bild wurde auf wenige Millimeter gedünnt, also das Holz von hinten mit einem Hobel teilweise abgetragen, und auf eine Art Lattenrost aufgeleimt. „Das würde man heute niemals so machen. Wir waren zunächst unsicher, was passiert, wenn wir diese alte Konstruktion entfernen, und sind besonders vorsichtig vorgegangen“, erzählt Oberthaler. Auch Holzbildexperten aus dem Metropolitan Museum of Art New York und vom Museo del Prado in Madrid waren an den schwierigen Arbeiten maßgeblich beteiligt.
Nach drei Jahren abwechselnder Analyse- und Restaurierungsarbeit klappte alles. „Der Zustand der Holzkonstruktion war zwar besorgniserregend, die Malerei selbst aber wunderbar erhalten“, schildert Oberthaler. Das KHM zeigt die „Gewitterlandschaft mit Philemon und Baucis“auf einem neuen, durch ein ausgeklügeltes Federsystem flexiblen Stützrahmen, noch bis 21. Jänner in seiner Rubensschau in neuem Glanz.
Und woran arbeiten Restauratoren und Naturwissenschaftler nun? An Bildern Pieter Bruegels dem Älteren. Diese zeigt das KHM nämlich im nächsten Herbst.