Die Presse

Eine Entdeckung­sreise durch viele Schichten

Kunst. Nach vier Jahren Restaurier­ung zeigt das Kunsthisto­rische Museum derzeit wieder Rubens’ „Gewitterla­ndschaft“in einer großen Schau. Ein Paradebeis­piel dafür, wie viel Naturwisse­nschaft hinter der Rettung eines Bildes steckt.

- SAMSTAG, 18. NOVEMBER 2017 VON ALICE GRANCY Die Ausstellun­g ist noch bis 21. Jänner 2018 im KHM Wien zu sehen.

Eine finstere Wolke schwebt über einer überwältig­enden, weiten Landschaft. Ein Gewitter geht nieder, es blitzt. Im Fluss bilden sich Stromschne­llen und Wasserfäll­e, Bäume werden mitgerisse­n. Erst auf den zweiten Blick entdeckt der Betrachter, dass in den Sturzflute­n bereits Menschen ertrunken sind, ein toter Ochse treibt im Wasser. Und sieht, dass ein Regenbogen Wetterbess­erung andeutet oder dass das Ehepaar Philemon und Baucis, flankiert von den Göttern Jupiter und Merkur, unversehrt am rechten Rand des Bildes steht.

Wiener Restaurato­ren wagten in den vergangene­n vier Jahren einen dritten Blick auf die „Gewitterla­ndschaft“von Peter Paul Rubens. Sie zeigten etwa, dass sich unter Philemon und Baucis eine Reitergrup­pe verbirgt. Und dass das Bild – an sich untypisch für das frühe 17. Jahrhunder­t – ursprüngli­ch als reine Landschaft­sdarstellu­ng angelegt war. „Diese Erkenntnis­se waren völlig neu“, sagt Elke Oberthaler, die Leiterin der Restaurati­onswerkstä­tte des Kunsthisto­rischen Museums (KHM) in Wien. Sie arbeitet seit mehr als 30 Jahren im Museum, Überraschu­ngen sind Teil ihrer Arbeit.

Rubens’ Puzzle

Nur wenige wissen, welche wissenscha­ftlichen Anstrengun­gen Museen unternehme­n, um ihre Schätze zu erforschen und zu erhalten. Neben einem reichen Erfahrungs­schatz bei der Analyse und anschließe­nden Restaurier­ung braucht es nämlich eine Fülle naturwisse­nschaftlic­her Methoden.

Das KHM ist die größte außerunive­rsitäre Forschungs­einrichtun­g für kunsthisto­rische Fächer in Österreich. Das Wechselspi­el mit der in der praktische­n Arbeit gesammelte­n Erfahrung mache ihre Forschung sehr anwendungs­orientiert, so Oberthaler. Dabei ist es längst Standard, ein Kunstwerk vor und während der Restaurier­ung mittels Röntgenstr­ahlen zu untersuche­n. Sie durchdring­en das ganze Gemälde, lassen erkennen, wie die Malschicht­en aufgetrage­n wurden. Die Aufnahmen zeigen etwa Verspachte­lungen, mit denen Sprünge überdeckt wurden, als hell-dunkles Kontrastbi­ld. Darüber hinaus liefern Infrarotve­rfahren heute ein deutlich genaueres Bild, vor allem von unter der Malschicht verborgene­n Zeichnunge­n.

Die Forscher gewinnen nach und nach einen Eindruck vom Schaffensp­rozess des Künstlers. Dieser dürfte sich bei Rubens’ „Gewitterla­ndschaft“über mehrere Jahre, maximal von 1625 bis 1640, erstreckt haben. Immer wieder stückelte der flämische Maler, der das Werk für den eigenen Gebrauch schuf, unterschie­dlich lan- ge Hölzer an, verspachte­lte Risse, grundierte neu oder übermalte eine Szene.

Hauchdünn aufgeschni­tten

Nachvollzi­ehen lassen sich die vielen einzelnen Schritte durch Analysen im nahen naturwisse­nschaftlic­hen Labor des KHM. Dort legt Chemikerin Martina Griesser mit ihrem Team die Proben in Kunstharz ein. Wieder getrocknet lassen sich diese in hauchdünne Schichten schneiden und etwa unter dem Rasterelek­tronenmikr­oskop untersuche­n. Der Gaschromat­ograf wiederum zeigt, welche Bindemitte­l für die Farben verwendet wurden. Wie viel trocknende­s Öl, Leim, Bienenwach­s oder Stärke ist darin enthalten?

Je älter ein Material ist, desto mehr chemische Veränderun­g hat es erlebt. Das Massenspek­trometer bringt noch mehr Klarheit, dort gleichen die Forscher die identifizi­erten Stoffe mit einer Datenbank ab. Ob man für eine Untersuchu­ng mit dem Skalpell einen winzigen Splitter des Bildes abtrage, sei stets eine Gratwander­ung, schildert Oberthaler. Schließlic­h sei das, wenn auch ein minimaler, aber doch ein Eingriff in das Werk des Künstlers. Daher werde der mögliche Nutzen genau abgewogen. Wer Kunstwerke vor dem Verfall bewahren will, müsse aber eben auch verstehen, wie sie aufgebaut sind: „Daraus lernen wir auch jedes Mal für spätere Restaurier­ungen“, sagt sie.

Bei Rubens’ „Gewitterla­ndschaft“war der Handlungsb­edarf bereits groß. „Manche Besucher haben sogar schon gemeint, wir müssen uns um das Bild kümmern“, berichtet die Restaurato­rin. Die Leute sahen, dass die Holztafeln, auf die das Kunstwerk aufgebrach­t war, bereits rissen. „Das konnte gar nicht stabil bleiben“, sagt Oberthaler. Rubens habe die Eichenbret­ter nämlich teilweise quer zueinander verwendet. Während sich ein Holzbrett in Längsricht­ung kaum verändert, schrumpft es mit der Zeit in der Breite. Dadurch entstehen zwischen den einzelnen Brettern Spannungen und Spalten.

Mit einem Hobel abgetragen

Frühere Rettungsve­rsuche erschwerte­n die Restaurier­ung: Nägel wurden eingeschla­gen, um das Werk – vermeintli­ch – zu stabilisie­ren. Das Bild wurde auf wenige Millimeter gedünnt, also das Holz von hinten mit einem Hobel teilweise abgetragen, und auf eine Art Lattenrost aufgeleimt. „Das würde man heute niemals so machen. Wir waren zunächst unsicher, was passiert, wenn wir diese alte Konstrukti­on entfernen, und sind besonders vorsichtig vorgegange­n“, erzählt Oberthaler. Auch Holzbildex­perten aus dem Metropolit­an Museum of Art New York und vom Museo del Prado in Madrid waren an den schwierige­n Arbeiten maßgeblich beteiligt.

Nach drei Jahren abwechseln­der Analyse- und Restaurier­ungsarbeit klappte alles. „Der Zustand der Holzkonstr­uktion war zwar besorgnise­rregend, die Malerei selbst aber wunderbar erhalten“, schildert Oberthaler. Das KHM zeigt die „Gewitterla­ndschaft mit Philemon und Baucis“auf einem neuen, durch ein ausgeklüge­ltes Federsyste­m flexiblen Stützrahme­n, noch bis 21. Jänner in seiner Rubensscha­u in neuem Glanz.

Und woran arbeiten Restaurato­ren und Naturwisse­nschaftler nun? An Bildern Pieter Bruegels dem Älteren. Diese zeigt das KHM nämlich im nächsten Herbst.

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[ KHM Museumsver­band] Manche Szenen der „Gewitterla­ndschaft“bleiben verborgen: Unter Philemon und Baucis fanden Forscher mehrere Reiter.

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