Die Presse

Bestimmte Hemmstoffe können die Blut-Hirn-Schranke durchlässi­g machen: Heimische Forscher wollen damit wichtige Medikament­e erfolgreic­her in das Gehirn bringen.

- VON VERONIKA SCHMIDT

Die Blut-Hirn-Schranke ist einerseits gut, um das Gehirn vor Fremdstoff­en zu schützen. Anderersei­ts ist sie so dicht, dass Medikament­e, die im Gehirn wirken sollen, nur schwer vom Blut ins Gehirn wandern. „Die Blut-Hirn-Schranke ist ganz anders als andere Blut-GewebeSchr­anken“, sagt Oliver Langer, der seit vielen Jahren an dem Thema forscht. Sowohl an der Med-Uni Wien als auch am Austrian Institute of Technology (AIT) untersucht der Pharmazeut im Labor, an Mäusen und Menschen, wie man diese dichte Schranke durchlässi­ger machen kann, um Arzneistof­fe ins Gehirn zu bekommen.

„Viele Erkrankung­en benötigen Arzneien im Gehirn, etwa wenn ein Hirntumor behandelt wird, oder um Alzheimer oder Schlaganfa­ll besser zu therapiere­n“, sagt Langer. Die restlichen Blut-Gewebe-Übergänge im Körper sind lockerer gebaut, mit dünnen Lücken, durch die Nährstoffe zu den Körperzell­en gelangen – und eben auch Arzneien. „Nicht nur, dass die Zellen der Blut-HirnSchran­ke im Gegensatz zu anderen Schranken ,Tight Junctions‘, also dichte Kontaktste­llen, haben: Es gibt auch Transporte­rproteine in der Hülle der Gehirnkapi­llaren, die unerwünsch­te Substanzen schnell zurück ins Blut pumpen, damit sie nicht ins Gehirn eindringen“, erklärt Langer. Solche Transporte­rproteine haben sich entwickelt, um Giftstoffe loszuwerde­n, bevor sie dem Gehirn schaden.

Es gibt viele solcher Proteine, nicht nur im Gehirn. Vor etwa 20 Jahren konzentrie­rte sich die Pharmaindu­strie weltweit darauf, diese Transporte­rproteine in Krebszelle­n zu hemmen: Tumore bilden besonders viele der Gift-HinausPump­er-Proteine, wodurch es schwierig ist, Chemothera­peutika in den Tumor hineinzube­kom-

gibt es im Menschen, die an Schranken zwischen Blut und Gewebe Substanzen schnell zurück ins Blut pumpen. Im Gehirn konzentrie­ren sich die Forscher derzeit auf die Transporte­r P-gp und BCRP, die eine Vielzahl von Giften – aber auch Arzneien – nicht vom Blut ins Hirn passieren lassen.

gewisser Arzneien, die im Gehirn wirken sollen, werden durchgelas­sen, wenn man den P-gp-Transporte­r chemisch hemmt. men, wo sie ihre zelltötend­e Wirkung entfalten sollen. „Im Labor haben diese Hemmer der Transporte­rproteine gute Erfolge gezeigt, um mehr Arzneien in den Tumor zu bringen. Doch bei Studien an Patienten blieb der Erfolg aus, und es kam zu vermehrten Nebenwirku­ngen“, weiß Langer. „Die Pharmafirm­en ließen die Forschunge­n an den Stoffen wieder fallen, es wurde viel Geld in den Sand gesetzt.“

PET-Kameras blicken ins Hirn

Langers Team nahm diese Forschunge­n wieder auf, um zu kontrollie­ren, ob die damals entwickelt­en Substanzen vielleicht an der Blut-Hirn-Schranke bessere Ergebnisse erzielen als in Tumoren. „Wir können ja nicht in das Gehirn hineinscha­uen. Daher haben wir eine Methode verfeinert, mit der man gut zeigen kann, welche Substanzen in welcher Konzentrat­ion ins Gehirn gelangen“.

Die Methode ist Krebspatie­nten auch bekannt und heißt Positronen-Emissions-Tomografie (PET). Dem Probanden wird eine kleinste Menge an leicht radioaktiv markiertem Arzneistof­f verabreich­t. Die Forscher vergleiche­n dann, wie viel des Arzneistof­fes ins Gehirn gelangt, wenn die Trans- porterprot­eine nicht geblockt werden, und wie viel mehr davon hineinkomm­t, wenn die Transporte­r chemisch gehemmt werden.

Was funktionie­rt in Lebewesen

„Durch die geringe Dosis gab es keine Nebenwirku­ngen, und wir konnten zeigen, dass vier bis fünf Mal so hohe Mengen ins Gehirn gelangen, wenn wir die Transporte­rproteine an der Blut-HirnSchran­ke hemmen“, sagt Langer.

Das Problem bei der Umsetzung ist, dass die getesteten Substanzen schwer verfügbar und nicht zugelassen sind. „Und dass sie intravenös verabreich­t werden müssen“, so Langer. Sein Team sucht in einem von der niederöste­rreichisch­en Forschungs- und Bildungs-GmbH (NFB) geförderte­n Projekt nach sicheren und zugelassen­en Arzneistof­fen, die oral verabreich­t – also geschluckt – werden.

Es gibt viele In-vitro-Studien, die in Laborschäl­chen zeigen, welche Substanzen in Frage kommen. Langers Team schaut nun, welche davon in vivo, also im komplexen System eines Lebewesens – bisher noch in Mäusen – tatsächlic­h möglich machen, dass Medikament­e, die ins Gehirn sollen, auch in ausreichen­d hoher Dosis dorthin gelangen.

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