Neue Einsatzbereiche für Produkte aus Zuckerrübe
Biotechnologie. Europa droht eine Überproduktion von rund 300.00 Tonnen Zucker pro Jahr. Grazer Forscher testen daher alternative Verwertungsmöglichkeiten wie Kosmetika, Tierfutter oder Putzmittel.
Es sei spezifisch wie ein chirurgisches Messer und zugleich robust wie ein Hammer. Der Biotechnologe Bernhard Nidetzky ist begeistert von seinem Werkzeug. Die sogenannte Phosphorylase, ein aus Saccharose, also Rübenzucker, gewonnenes Enzym, soll wichtige Bausteine für alternative Einsatzbereiche von Zucker schaffen: etwa für natürlich abbaubare Kosmetika und Reinigungsmittel oder leicht verrottende Plastikflaschen. Und das in großen Mengen, wie die Industrie sie braucht. Das EUProjekt „Carbafin“soll in den nächsten vier Jahren den Weg zur Anwendung ebnen.
Die Zeit drängt, denn einerseits werden die Konsumenten gesundheitsbewusster – und wollen weniger Zucker in ihren Nahrungsmitteln, und andererseits fallen die Zuckerpreise weltweit. Denn die EU-Zuckermarktregelung, die seit 1968 den Export und Import von Zucker geregelt hat, ist mit Ende September 2017 ausge- laufen. Damit gelten für die in der EU angebauten Zuckerrüben keine Mindestpreise mehr, die internationale Konkurrenz wächst. „Wir erwarten in Europa einen Saccharoseüberschuss von etwa 300.000 Tonnen im Jahr“, erklärt Nidetzky. Der Biotechnologe lehrt und forscht an der TU Graz und ist außerdem wissenschaftlicher Leiter des von Technologie- und Wissenschaftsministerium geförderten Kompetenzzentrums Austrian Centre of Industrial Biotechnology, kurz Acib.
Plastikflasche auf Biobasis
Von diesen beiden Einrichtungen aus werden die sechs weiteren Projektpartner in Österreich, Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden auch koordiniert. Insgesamt fließen 6,1 Millionen Euro in die Forschung. Auf dieser ruhen schließlich auch große Hoffnungen. Die Grundlagenforschung ist bereits in Vorgängerprojekten erfolgt. Jetzt gelte es, sie mit biotechnologischen Verfahren für den Industriemaßstab, also für Produk- tionsmengen von vielen Tonnen, vorzubereiten, erklärt Barbara Petschacher von der TU Graz.
„Es geht darum, dass die Technologien tun, was sie tun sollen“, sagt Nidetzky. Das klingt lapidar, aber die Reaktionen müssen auch in großem Maßstab verlässlich ablaufen. Zur weiteren Verwertung wird die Saccharose in Glukose und Fruktose aufgespaltet. Daraus lassen sich dann Verbindungen mit anderen Molekülen herstellen: aus der Glukose etwa für Kosmetikartikel oder Reinigungsmittel. Und aus der Fruktose Süßungsmit-
ist, was der Laie als Haushaltszucker kennt. Sie ist vor allem in der Zuckerrübe, aber auch in Zuckerrohr und Zuckerpalme in wirtschaftlich nutzbaren Mengen enthalten. Chemiker unterscheiden, abhängig von der Struktur, weit mehr Zuckerarten.
ist ein aus Rübenzucker gewonnenes Enzym. Es soll als wichtiger Baustein für neue Produkte wirken. tel oder – über weitere Verarbeitungsschritte – Harze, Farben, Klebstoffe, Biokraftstoff oder Biopolymere, also Kunststoffe auf natürlicher Basis.
Die Nutzer einbinden
Die neuen, biobasierten Produkte sollen helfen, die Umwelt zu schonen: „Man produziere im Vergleich zur chemischen Synthese fünfmal weniger Abfälle“, heißt es. Außerdem sollen die neuen Verfahren rund 30 Prozent der Produktionskosten sparen. Damit die Produkte zu guter Letzt auch akzeptiert werden, wollen die Forscher im EU-Projekt künftige Konsumenten ebenfalls zu Diskussionen einladen. Auch im Interesse der Industrie, denn: „Produkte, die nicht akzeptiert werden, werden sich schwieriger auf dem Markt durchsetzen“, sagt Nidetzky.
„Carbafin“startet am 1. Jänner 2018. Präsentiert wurde es bei der Esib, der europaweiten Fachtagung für industrielle Biotechnologie, die diese Woche in Graz stattfand.