Essen stiftet Gemeinschaft
QDer Mensch ist das einzige Säugetier, das gemeinsam isst. Die Bearbeitung des Übergangs von der Natur der Produkte zur Kultur des Essens stiftet Gemeinschaft. Gemeinsames Essen ist in den meisten Familien heute eine Wunsch-/Wochenendveranstaltung. Ausgerichtet am bürgerlichen Ideal, scheitert es in der Praxis oft, weil rigide Tischsitten und patriarchale Hierarchie weder zeitgemäß sind noch von den Eltern umgesetzt werden wollen. Väter wollen Anerkennung für ein mehrstündig vorbereitetes Menü, Kinder lieber es, vor dem Fernseher zu essen. Sitzt man doch zusammen, kämpft man gegen die tyrannische Aufmerksamkeitsforderung eingehender Facebook-Nachrichten auf dem Handy.
Gesellschaftliche Teilhabe zeigt sich in Essenseinladungen. Dabei geht es weniger um „Wer isst was?“, sondern um „Wer isst mit wem?“. Wie beim „Promi-Dinner“wächst mit steigendem Einkommen die Erlebniserwartung. Essen als Bühne zur Darstellung des eigenen, unverwechselbaren, exquisiten Geschmacks. Die „feinen Unterschiede“werden in der Auswahl und Zusammensetzung der Speisen deutlich. Die Mahlzeit soll beeindrucken, überraschen, vielleicht sogar schockieren, zu nähren braucht sie die Gäste nicht. Wer dagegen bei „einfachen Leuten“zu Gast ist, wird im Vorfeld gefragt, was man gerne isst; wichtig ist, dass es schmeckt und ausreichend ist.
Dank ihrer Arbeit bekommt Nicole Seiler öfter Essenseinladungen: „In der arabischen Kultur ist Gastfreundschaft ganz wichtig. Man wird sofort nach Hause eingeladen und bekommt einen Teller mit Essen hingestellt. Einen Gast gut zu bewirten ist das Wichtigste. Wir haben das ja nicht so, da wird man nicht so schnell nach Hause eingeladen.“Aber auch außerhäusliches Essen hat vergemeinschaftende Wirkung. Dazu die Soziologin Eva Barlösius: „Die Mahlzeit als Institution kann Gefühle der Zusammengehörigkeit und des Verstehens erzeugen, selbst zwischen Menschen, die sich im Alltag nicht nahestehen oder sogar gegensätzliche Ideen oder Interessen vertreten und sie für eine bestimmte Zeit oder einen bestimmten Zweck verbinden.“