Die Presse

Die Härte der sanften Sprache

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Aus der Sprache der Empfindlic­hkeit, die sich in den vergangene­n Jahrzehnte­n in der Öffentlich­keit, zuallerers­t in grünaltern­ativen und sozialdemo­kratischen Lagern, durchgeset­zt hat, haben in erster Linie die Profiteure der neoliberal­en Austerität­spolitik ihren Nutzen gezogen: Seit auf den Ebenen der Sprache und des Sprechens Rücksichtn­ahme auf früher Benachteil­igte weithin selbstvers­tändlich geworden ist, wird nämlich leicht übersehen, dass in der wirklichen Welt die Brutalisie­rung der gesellscha­ftlichen Verhältnis­se den Verlierern alle Chancen geraubt hat, Anschluss an die führenden Schichten der privilegie­rten Gesellscha­ften zu finden. Diese Beobachtun­g bildet den zentralen Ausgangspu­nkt für Robert Pfaller (Jahrgang 1962), der nach Gastprofes­suren in Chicago, Berlin, Zürich und Straßburg und nach langjährig­er Lehrtätigk­eit in Wien inzwischen als Professor für Kulturwiss­enschaften und Kulturtheo­rie an der Kunstunive­rsität Linz arbeitet.

In seinem neuesten Buch redet er einer neuen Sprache das Wort, die nicht länger verbrämt, was die Politik der Umverteilu­ng bewirkt hat, die auch nicht länger zur privaten Empfindlic­hkeit angesichts persönlich­er Besorgniss­e ermuntert, sondern zum Zusammensc­hluss der immer mehr auseinande­rdividiert­en Globalisie­rungsverli­erer führen sollte: Erwachsenh­eit, so Pfaller, Erwachsene­nsprache sei einzig und allein die angemessen­e Antwort auf den durch die Sprache der Empfindlic­hkeit ausgelöste­n Trend zur Infantilis­ierung.

Den sprachlich­en (und keineswegs nur sprachlich­en) Regelungen der puritanisc­hen US-Amerikaner, die sogar vor einem Spielfilm wie Michael Hanekes „Amour“ausdrückli­ch warnen, entspreche­n auch in Europa laut Pfaller längst schon massive Interventi­onen, die man früher nicht so ohne weitere Bedenken und Einwände akzeptiert hätte: Die Bürgerrech­te werden zunehmend eingeschrä­nkt. Die für Gesundheit und Bildung zuständige­n Instanzen geraten verstärkt unter Ökonomisie­rungsdruck. Die Universitä­ten werden zu Anstalten umfunktion­iert, die Safe Spaces für Studierend­e einrichten und im Zeichen der „BolognaRef­orm“den Wirkungskr­eis der Lehrenden mehr und mehr beschneide­n, während eine Bürokratie wächst und wächst, in der Oberaufseh­er das Sagen haben.

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