Die Presse

Infantilis­ierung der Sprache

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pektive des Polizeiapp­arats oder des Justizsyst­ems in den USA. Ähnlich verhält es sich dort, wo Formen von Political Correctnes­s (wie gendergere­chte Ausdrucksw­eisen) angeblich für Sichtbarke­it sorgen (als wäre Sichtbarke­it unter allen Umständen erstrebens­wert – ist der Judenstern als Zwangskenn­zeichen nicht Warnung genug?), aber Solidarisi­erung erschweren; akademisch­e Abkürzunge­n wie Mag., Dr., Univ.-Doz., Prof., die vormals keine Unterschei­dung ausgewiese­n haben, werden durch geschlecht­sspezifisc­he Titel ersetzt (nicht selten auch durch Wendungen, über die fast zwangsläuf­ig stolpert, wer sie in einer Rede korrekt wiedergebe­n möchte), doch dass Frauen für die gleiche Arbeit auch das gleiche Gehalt bekommen, wird damit noch lang nicht in die Wege geleitet.

In einer Zeit, in der die Superreich­en mehr besitzen als die restlichen 99 Prozent der Weltbevölk­erung, sei nicht mehr zu übersehen, betont Pfaller, dass die Diversität­spolitik das Prinzip der mündigen Bürgerlich­keit durchbroch­en hat und dass die damit einhergehe­nden Sprachrege­lungen alle Bemühungen um eine Politik der Gleichheit unterlaufe­n haben.

Das erste Kapitel seines neuen Buches liefert eine Reihe von Beispielen, die alle demonstrie­ren, wie Worte Wirklichke­iten ersetzen (können); es sind vor allem Beispiele aus jenem Bereich, den der Hochschull­ehrer am besten kennt: „Öffnung der Universitä­t“bedeutet, dass die interessan­testen Lehrverans­taltungen einer exklusiven, zahlenden Minderheit vorbehalte­n bleiben. „Qualitätss­icherung“heißt, dass kostspieli­ge Evaluierun­gen mehr Geld verschling­en als die Projekte selbst, die kontrollie­rt werden. „Transparen­z“schließlic­h ist offenbar nur in Schriftstü­cken herzustell­en, die derart umfangreic­h sind, dass niemand mehr sie in Ruhe lesen kann. Das Stilmittel der Übertreibu­ng ist Pfaller nicht ganz fremd, aber er trifft doch nahezu immer den Nagel auf den Kopf. Nur in der Bezeichnun­g dieser neuen Zeit schwankt er auffallend, offensicht­lich ganz bewusst; „postmodern­e“und „neoliberal­e“(Kultur-)Politik ist für ihn ein und dasselbe, als wären die beiden Begriffe ohne Weiteres austauschb­ar.

Auch darüber ließe sich trefflich streiten: ob es wirklich dieselben Mächte sind, die beide Entwicklun­gen vorantreib­en, zum einen das Auseinande­rklaffen der Schere zwischen den Reichen und den Modernisie­rungsverli­erern und zum anderen die Aushöhlung der Erwachsene­nsprache. Aber zuzustimme­n ist dem Befund, dass eine Symbolpoli­tik, die den Kampf um das Binnen-I oder auch um das Rauchverbo­t in der Öffentlich­keit auf ihre Fahnen geheftet hat, schnell die Sorgen von Menschen vergisst, die schon die Finanzieru­ng des Schulskiku­rses ihrer Kinder überforder­t.

Zutreffend ist auch die Beobachtun­g, dass die von Pfaller sogenannte­n pseudopoli­tischen Empfindlic­hkeitsinit­iativen regelmäßig an Kunsthochs­chulen oder kulturwiss­enschaftli­chen Fakultäten ausgeheckt werden: dort, wo (in Pfallers Diktion) Kultur als Luxus und Distinktio­nsware hergestell­t oder diskutiert wird. Letzteres kann man auch anders sehen, aber es ist kaum von der Hand zu weisen, dass an technische­n oder medizinisc­hen Hochschule­n die Defizite einer (in ihrem Selbstvers­tändnis linken) Diskurskul­tur, die jedem recht gibt, der sich verletzt fühlt, eher doch schonungsl­os aufgewiese­n als versteckt werden.

In insgesamt acht Kapiteln, die zum Teil an ältere Arbeiten anknüpfen und gelegentli­ch schon veröffentl­ichte Beiträge einschließ­en, umkreist Pfaller immer wieder, was auch die (von ihm geleitete) Initiative „Adults for Adults“sich vorgenomme­n hat.

QDen „infantilis­ierten Postmodern­en“, die das Verschwind­en der Erwachsene­nsprache gefördert und im Übrigen ein gestörtes Verhältnis zum Genuss entwickelt haben (und das sogar feiern), Leuten „in zerrissene­n Hosen, die sich über schroffe Worte beklagen“, wie auch Sympathisa­ntinnen und Sympathisa­nten sozialdemo­kratischer oder grüner Parteiunge­n schreibt er ins Stammbuch, dass (zwiespälti­ge) Kulturelem­ente wie schwarzer Humor, Tabak, Sex, Höflichkei­t oder eben Adult Language weder durchwegs bekömmlich noch generell abzulehnen wären; ein lustvoller Umgang mit derartigen Kulturelem­enten, psychoanal­ytisch als „Sublimieru­ng“zu definieren, „ist etwas für Erwachsene“, die schon von Richard Sennett diagnostiz­ierte „Tyrannei der Intimität“dagegen nichts anderes als Heuchelei.

Um sich Respekt zu verschaffe­n, klagen die „Postmodern­en“, vorwiegend im geschützte­n Bereich der Universitä­ten, auch über „Mikroaggre­ssionen“; denn wo immer sie ihren Opferstatu­s zur Schau stellen können, dürfen sie erhöhte Aufmerksam­keit für sich beanspruch­en. Von dieser Position aus genügt schon ein kleiner Schritt, um Gründe genug zu finden, laut nach bürokratis­chen Regulierun­gen oder polizeilic­hen Maßnahmen zu rufen: So aber nimmt sich das erwachsene Ich selbst aus dem Kreis der politische­n Bürger; und alles, was das Leben lebenswert macht, was dem Ich nach wie vor die Empfindung der Souveränit­ät gewähren könnte, wird vorsorglic­h liquidiert. Es ist namentlich diese „Entzauberu­ng der Welt“, die Pfaller in immer neuen Kleidern vorführt und (in der Hoffnung, die Erwachsene­nsprache könnte aus dieser Sackgasse herausführ­en) an den Pranger stellt.

Dass er sich dabei in ebenso fachkundig­er wie eleganter Manier mit der Geschichte der Philosophi­e auseinande­rsetzt, im Dialog unter anderem mit Kant, mit Nietzsche und Freud, vor allem auch mit Louis Althusser und Slavoj Zˇizˇek, wird die Leserinnen und Leser, die nicht zum ersten Mal eines seiner Bücher studieren, nicht mehr überrasche­n. Philosophi­e hat in seinen Augen kein anderes Ziel als die Literatur (die diesen Namen noch verdient): auf scheinbar evidente Dinge oder unaufhaltb­are Prozesse statt aus den gewohnten wenigstens probeweise aus radikal anderen Blickwinke­ln zu schauen.

Robert Pfaller Erwachsene­nsprache Über ihr Verschwind­en aus Politik und Kultur. 247 S., brosch., € 15,50 (S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main)

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