Die Presse

Sonne, Durst und Sterne

Namibia. Unterwegs wie in einem Geologiebu­ch, Erdzeitalt­er früher: 85 Kilometer lang windet sich die Tour durch den zweitgrößt­en Canyon der Welt – den Fish River beziehungs­weise Fischfluss-Canyon.

- VON KAI ALTHOETMAR

Der Abstieg in eine Welt aus einer anderen Zeit beginnt: In 550 Metern Tiefe liegt rötlich-braun ein gewaltiges Erosionsta­l in die Landschaft eingeschni­tten. Träge windet sich ein dünner Wasserlauf zwischen den Klüften dieser fantastisc­hen Mondlandsc­haft. 160 Kilometer lang ist der Fish River Canyon, das größte Landschaft­swunder im kargen Süden Namibias – und der zweitgrößt­e seiner Art weltweit. Nur der amerikanis­che Grand Canyon ist länger, gewaltiger. 85 Kilometer unter der unbarmherz­igen südwestafr­ikanischen Sonne liegen vor uns. Die Tour durch den Canyon ist eine Teststreck­e für Zivilisati­onsmüde. Zehn Wanderer wollen die Unwirtlich­keit bezwingen.

Einstieg in Serpentine­n

Diesmal droht Wassermang­el. „Das Wasser im Fish River Canyon hat den niedrigste­n Stand seit mehr als zehn Jahren erreicht“, schreibt die Verwaltung des Naturreser­vats in ihrem Wasserberi­cht. „Emergency exits“, Notausstie­gspfade, existieren nur zwei: bei Kilometer 15 und Kilometer 68. Dazwischen könnte nur ein Rettungshu­bschrauber aus der Schlucht he- raushelfen – vorausgese­tzt, es gäbe Mobilfunke­mpfang.

Gleich geht es steil bergab. Geröll liegt auf dem Zickzackpf­ad, an gefährlich­en Stellen schützt eine Kette vor dem Sturz in die Tiefe. An die 15 Kilo schleppt jeder im Rucksack mit: Das sind Proviant für vier Tage, ein Schlafsack und eine Isomatte, Kleidung, Kamera, Campingkoc­her. Fast zwei Stun-

Nami\ia gehört zu den \elie\testen Reiselände­rn in Afrika und ist Ziel von geführten wie individuel­len Sel\stfahrerre­isen (etwa mit Camper und/oder Allradfahr­zeug). Das Straßennet­z ist gut ausge\aut, detto die Versorgung ü\er Land durch Lodges. Es gi\t auch gut ausge\aute Campingplä­tze (mit Grillstell­en). Mehrere Direktflüg­e nach Windhoek a\ Deutschlan­d.

Hauptanzie­hungspunkt­e in dem großen, extrem dünn \esiedelten südwestafr­ikanischen Land sind vor allem landschaft­liche: die Wüste Nami\ mit ihren \is zu 400 Meter hohen Dünen \ei Sossusvlei, die Skelettküs­te, das Naukluftge\irge, der Fish River Canyon und vor allem der Etosha-Nationalpa­rk mit seiner reichen Tierwelt. Nami\ia verfügt ü\er zahlreiche und große Schutzge\iete (an die 43 Prozent der den dauert der Abstieg ins Flussbett, die Dämmerung naht. Bei Einbruch der Dunkelheit erreichen wir die Talsohle, wo der Fluss eher einem schmalen Teich ähnelt. Im Ufersand rollt jeder seinen Schlafsack aus, niemand schleppt ein Zelt mit. Instantsup­pen und Fertignahr­ung aus Armeebestä­nden köcheln vor sich hin. Der Sternenhim­mel: einfach unglaublic­h – gesamten Landesfläc­he) und ist das erste Land der Welt, das den Naturschut­z fest in seiner Verfassung verankert hat. Städte wie Windhoek in der Landesmitt­e und Swakopmund an der kühlen Atlantikkü­ste sind e\enfalls verdichtet und funkelnd wie im Planetariu­m.

Findlinge und Köcherbäum­e

Morgens um sechs Uhr ist es hell, um sieben erfolgt der Abmarsch. Erst geht es durch tiefen Sand. Schon bald kommen Geröllfeld­er, der Fish River existiert nur noch abschnitts­weise. Die zahllosen Findlinge ergeben einen einzigen „not to \e missed2. Von der frühen Besiedlung zeugen Tausende Jahre alte Felsmalere­ien wie etwa am Brand\erg.

vom 1. Mai \is 15. Septem\er. Erforderli­ch: Genehmigun­g und ärztliches Attest, das nicht älter als 40 Tage ist. Tipp: Monate im Voraus \uchen. Kleine Gruppen (drei \is max. 30 Teilnehmer), Kinder erst a\ zwölf. Für Ausrüstung und Proviant ist sel\st zu sorgen. Einstieg in die Schlucht: am Hauptaussi­chtspunkt etwa zehn Kilometer westlich vom Camp Ho\as. Ü\er die Wassersitu­ation informiert die Rangerstat­ion in Ho\as. Nami\ia Wildlife Resorts, Windhoek. www.nrw.com.na

Impfungen oder Visa sind für Nami\ia nicht erforderli­ch, der Süden des Landes ist malariafre­i.

Nami\ia Tourism Board. www.nami\ia-tourism.com Hüpfparcou­rs. Bereits um zehn Uhr steht die Sonne fast senkrecht über der Schlucht, es geht auf die 30 Grad zu, Schatten kennt der Mittag nicht. Nur Schilf, etwas Gebüsch, ein paar Kameldorn- und Köcherbäum­e, aus deren Ästen die Buschmänne­r und Nama einst die Köcher für ihre Pfeile gefertigt haben, säumen hier und dort den Weg. Jeder sucht und findet sein eigenes Tempo. Die erste Tagesetapp­e, obwohl nur 17 Kilometer lang, wird die schwerste. Kein Windhauch. Die Geröllmass­en sind sonnendurc­hglüht. Die Stille ist nicht zu überhören.

Wasser mit Wirkung

Auf der Suche nach der absoluten Einsamkeit habe ich nach 13 Kilometern die anderen abgehängt. In der nächsten Canyon-Kurve lasse ich den Notausstie­g hinter mir. Noch eine nicht enden wollende Kurve der 300 Meter breiten Schlucht, und das Etappenzie­l ist erreicht: Palm Springs – ein paar Palmen und eine heiße Quelle stark schwefelha­ltigen Wassers. Zwei deutsche Soldaten waren 1915 im Ersten Weltkrieg hierhergef­lohen. Der eine hatte Hautkrebs, der andere Asthma – nach zwei Monaten regelmäßig­en Badens in der Quelle waren sie kuriert, so die Überliefer­ung.

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