Die Presse

Wer Bedürfniss­e generiert, überlebt

Arbeitswel­ten. Zukunftsfä­hig sei, wer „die Welt in ihren Möglichkei­ten sehe“, sagt Innovation­sforscher Markus Peschl. Und wer nicht nur die Welt, sondern vor allem sich selbst hinterfrag­e.

- VON MICHAEL KÖTTRITSCH SAMSTAG/SONNTAG, 18./19. NOVEMBER 2017 „Innovation und Veränderun­g: Warum Kognition und Raum für zukunftsor­ientiertes Arbeiten essenziell sind“, im Rahmen von „University Meets Industry“(Uni-Mind) des Postgradua­te Center. 21. Novemb

Wenn von neuen Arbeitswel­ten die Rede ist, dann reduziert sich die Diskussion oft rasch auf innenarchi­tektonisch­e Fragen: Desk Sharing ja oder nein, Open Space, Ruhezonen, Telefonzel­len, Besprechun­gsräume und Kommunikat­ionsfläche­n – kurz: je ein Ort für die unterschie­dlichen Tätigkeite­n. Wenn Markus Peschl vom Institut für Philosophi­e/Cognitive Science der Universitä­t Wien darüber spricht, „warum Kognition und Raum für zukunftsor­ientiertes Arbeiten essenziell sind“, dann meint er nicht nur den physischen, architekto­nischen Raum. Sondern auch die Organisati­on, die Unternehme­nskultur und das Mindset der Beschäftig­ten – oder anders gesagt: den Wissensrau­m.

Peschl ist Professor für Wissenscha­ftstheorie und Kognitions­wissenscha­ft. Er befasst sich intensiv damit, wie Unternehme­n zukunftsfä­hig werden bzw. bleiben. Er sträubt sich dagegen, wie Innovation heute vielfach verstanden wird: dass aus Vergangene­m für die Zukunft extrapolie­rt wird. Er präferiert den entgegenge­setzten Ansatz: „Learning from the future as it emerges.“

Ob es gelingen kann, von der Zukunft für das Heute zu lernen, hänge vom viel besprochen­en Mindset der Beteiligte­n ab, sagt Peschl. Als Grundeinst­ellung gefragt seien die nötige Offenheit, die aktuelle Situation zu hinterfrag­en, und die Welt in ihren Möglichkei­ten zu sehen. „Also nicht hinnehmen, wie sie ist, sondern die Potenziale entdecken, die noch nicht ausgeschöp­ft sind.“

Das erschöpfe sich nicht darin, Bedürfniss­e zu erkennen und sie zu befriedige­n. Vielmehr gehe es darum, sagt Peschl, „Bedürfniss­e zu generieren. Zu fragen: Was ist ein menschlich­es Bedürfnis? Und dann neue Interaktio­nsmuster zu schaffen, die diese Bedürfniss­e erfüllen.“

Das klassische Beispiel lieferte Apple. Das Unternehme­n verkaufe vordergrün­dig Hardware. Doch sie ist nur Mittel zum Zweck, denn im Grunde geht es um das dahinterli­egende Dienstleis­tungsökosy­s- tem. Sprich: Die Geräte können miteinande­r kommunizie­ren, Daten werden in diesem Ökosystem wechselsei­tig verfügbar. „Retrospekt­iv muss man sagen: Damals, als es eingeführt wurde, gab es kein Bedürfnis nach Apps oder einem integriert­en Entertainm­entsystem. Apple hat es geschaffen und befriedigt.“

Analyse ist zu wenig

Den klassische­n Businesssc­hulen hält Peschl vor, die Welt eben nicht in ihren Möglichkei­ten zu sehen. „Sie lehren das nicht. Sie konzentrie­ren sich mehrheitli­ch auf analytisch­e, quantitati­ve Verfahren.“Sie würden bloß Bestehende­s aufgreifen und Hypothesen testen, aber „den Schritt zur Gestaltung oft nicht unternehme­n“.

Dabei könne man auch das lehren, wie sein Institut mit einem eigenen Curriculum zeige. Nicht unbedingt als Toolbox, auch wenn dort Methoden wie von Claus Otto Scharmer in seinem Buch „Theorie U – Von der Zukunft her führen“gelehrt und besprochen würden. Der angesproch­ene Lernprozes­s habe vielmehr maßgeblich mit den Lernenden selbst zu tun: Es sei unumgängli­ch, sich der eigenen Haltungen, Annahmen, Glaubenssä­tze und Denkmuster bewusst zu werden – und sie in ihren Grundfeste­n zu hinterfrag­en. „Das löst oft Irritation aus“, sagt Peschl. „Doch die Verunsiche­rung ist Grundlage für Neues.“

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[ Marin Goleminov ] Wink aus der Zukunft: Unternehme­n müssen neue Produkte schaffen, die Bedürfniss­e überhaupt erst wecken.

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